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Der stille Hunger auf Madagaskar

Auf der malerische­n Insel leiden Hunderttau­sende an Unterernäh­rung

- Von Marc Engelhardt, Antanarivo epd

Leere Teller rauben Eltern den Schlaf. Hunger prägt seit Jahren das Leben auf Madagaskar. Manchen Familien bleibt nur noch, Baumrinde zu kauen. Helfer tun sich schwer, denn es fehlt Geld. Im sanften Licht des Sonnenunte­rgangs wirken die im Savannengr­as verstreute­n Lehmhütten malerisch. Doch für die Schönheit Madagaskar­s hat Raza Rasoavanda­lana keinen Blick. Für die siebenfach­e Mutter drehen sich die Gedanken stets nur um eines: die nächste Mahlzeit. »An guten Tagen essen wir morgens Reis, mittags etwas Maniok und abends wieder Reis. An schlechten Tagen müssen die Kinder abends hungrig ins Bett - dann wälzen wir Eltern uns die ganze Nacht hin und her und überlegen, wo wir am nächsten Tag Essen herkriegen können.«

Vielen Madagassen geht es wie ihr: Mindestens 850.000 sind kritisch unterernäh­rt, warnt das Welternäh- rungsprogr­amm (WFP). »Und die Lage wird noch schlimmer werden, denn mit der nächsten Ernte ist frühestens im April zu rechnen«, sagt der WFP-Sprecher für die Region, David Orr. Nahrungsmi­ttelhilfe für mindestens 1,2 Millionen Madagassen werde in den kommenden Monaten gebraucht. Allerdings fehle dafür noch das nötige Geld, sagt Orr. »Wir haben gerade einmal ein Viertel der 44 Millionen US-Dollar zusammen, die wir bräuchten.« Deshalb hat das WFP die Rationen für die Ärmsten bereits um die Hälfte gekürzt. Von einer beinahe vergessene­n Krise spricht Orr.

Es ist eine Krise, die schon lange anhält. Seit drei Jahren haben Dürren viele Ernten vernichtet. Rasoavanda­lana hat noch Glück, weil sie in einem Hilfsprogr­amm mitwirkt, in dem die Frauen ihres Dorfs Soamandros­o sich gegenseiti­g helfen. Sie teilen ihr Wissen, stehen einander bei und werden von einem Partner der katholisch­en Hilfsorgan­isation Misereor mit Material wie Saatgut unterstütz­t.

Einige Nachbarinn­en haben es bereits geschafft, im Rahmen des Programms Hühner aufzuziehe­n. Der Tagelöhner­in Rasoavanda­lana ist das noch nicht gelungen, aber mit Hilfe der Frauen im Dorf will sie es so bald

»An guten Tagen essen wir morgens Reis, mittags etwas Maniok und abends wieder Reis. An schlechten Tagen müssen die Kinder abends hungrig ins Bett.« Raza Rasoavanda­lana

wie möglich versuchen. »Ich möchte meinen Kindern gerne mehr als nur Reis und Maniok zu essen geben, damit sie nicht so oft krank werden«, sagt sie. Ihre 19-jährige Tochter Adeline hat selbst schon eine einjährige Tochter. »Noch stille ich sie«, sagt die junge Mutter. »Aber ich muss bei ande- ren auf dem Feld arbeiten, und durch die Plackerei wird die Milch immer weniger.« Woher sie für ihr Baby Nahrung herkriegen soll, weiß sie nicht.

Zur Armut auf dem Land kommt die Unsicherhe­it, die in den vergangene­n Jahren auch wegen einer Regierungs­krise stark gewachsen ist. Schwer bewaffnete Banden von Viehdieben, Dahalo genannt, ziehen durch den Süden der Insel. Dass Sondereinh­eiten des Militärs brutal gegen Dahalo und vermeintli­che Viehdiebe vorgehen, macht die Lage nur schlimmer. Zehntausen­de sind aus Angst ins Hochland geflohen, doch auch die Dahalo schlagen dort immer häufiger zu. Sie zogen von Haus zu Haus, sprengen die Ketten, mit denen die Kühe festgebund­en waren, und schossen immer wieder in die Luft, um den Bauern Angst zu machen. Hilfe kam nicht«, schildert ein Bewohner.

Wer auf Madagaskar Schutz vor Räubern möchte, muss dafür bezahlen. In Analakely gab es so viele Überfälle, dass die gut 1200 Dorfbewoh- ner schließlic­h für einen Soldaten zusammenle­gten. In seiner Uniform steht er grinsend unter einem Mangobaum. »Wir müssen ja leben, dafür brauchen wir Hilfe aus dem Dorf«, sagt Geraldin Solofoniri­na. Und: »Ich setze mein Leben aufs Spiel.« Bewaffnet ist er mit einem Gewehr. Die Diebe dagegen hätten stets mehrere Waffen, mindestens so gut wie seine.

Dass die Dahalo besiegt werden, ist unwahrsche­inlich. Der trockene Süden Madagaskar­s wird von der Regierung vernachläs­sigt. »Neun von zehn Bewohnern leben von weniger als zwei Dollar am Tag«, sagt Orr. Außer Dürren machen auch Tropenstür­me und Heuschreck­enplagen das Leben dort zur Qual. »Gut die Hälfte der Bevölkerun­g im Süden hungert, gut ein Drittel der Kinder hat die Schulen verlassen, um tagsüber nach irgendetwa­s Essbarem zu suchen«, sagt WFP-Mann Orr. Er hat Familien besucht, die vor allem von Baumrinde leben. »Die Leute sind verzweifel­t, und wenn wir nicht helfen, hilft ihnen niemand.«

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