Fernsehabend vorm Aquarium
Der RFT-Verein in Staßfurt hat viele Zeugnisse aus der DDR-Produktion aufbewahrt
Staßfurt in Sachsen-Anhalt ist ein Traditionsstandort der Rundfunkund Fernsehgeräteindustrie. In der DDR wurden dort bis zu 550 000 TVGeräte im Jahr produziert. Ganz aufgeben wurde die Tradition nicht. »Hier in das Loch wurde das Wasser gefüllt, wegen der Brechung«, erklärt Franz Korsch einen quadratischen Behälter, der auf einer Halterung steckt. »Konsumgüterproduktion aus den 1950er Jahren«, erinnert er sich und winkt ab. »Ist beides aus einer längst vergangenen Zeit. Die meisten Museumsbesucher können damit nichts mehr anfangen. Aber wer damals ein Fernsehgerät besaß, hatte schnell viele Freunde, die anrückten, um auf die Minibildröhre zu schauen. Da machte sich die Wasserlinse zur Vergrößerung vor der ›Iris‹ schon gut.« »Iris« heißt der erste, ab 1957 in Staßfurt (heute Sachsen-Anhalt) gebaute Fernsehempfänger, bei dem quasi durchs Aquarium in die Röhre geschaut wurde.
Ob »Iris«, »Leningrad«, »Color«-Serie, »Colani-TV«, Musiktruhe oder »Libelle«-Kofferradio – die Sammlung des Vereins »Freunde der Staßfurter Rundfunk- und Fernsehtechnik« vereint sie alle. Der Verein fand sich im Jahr 2000 zusammen, unter den mehr als 100 Mitgliedern sind nicht nur ehemalige Fernsehgerätewerker, die sich um den Erhalt dieser einmaligen technischen Schätze kümmern. Ab diesem Jahr wird die Ausstellungsfläche in der Staßfurter Löderburger Straße auf knapp 250 Quadratmeter vergrößert. Das ermöglicht den Sammlern und Technikern, den wohl in Mitteleuropa bedeutsamsten Bestand an Musikschränken besser zu präsentieren.
Gerade wird eine Ecke im Stil der 1950er zusammengestellt: Nierentisch, Lampe und ein Schrank, der mit seiner Bar einfach zu vielen Wohnungsausstattungen gehörte. Die Vereinsmitglieder konzentrieren sich auf Staßfurter Geräte, wollen aber auch jene Produktionsorte einbeziehen, die etwa mit dem »Leningrad« und »Rembrandt« in Radeberg, Calbe, Berlin oder Halle etwas zur Geschichte des Fernsehers beitrugen.
»Gerade wenn junge Leute uns besuchen, die eben noch mit dem Smartphone gespielt haben, kommt das große Staunen. Es ist wichtig ihnen zu zeigen, das war mal Stand der Tech- nik«, meint der 80-jährige Korsch. Er lebt seit 1960 in Staßfurt und war lange Jahre Direktor des Fernsehwerkes. Er erzählt von der Zeit, als der frühere Chefentwickler Christoph Dziolloß, der in fast allen Entwicklungen des Fernsehgerätewerkes »seine Finger drin gehabt hat«, 1962 hier seine Zelte aufschlug. »Da kam ein Riesenschwung von Jungingenieuren. Klar, der Ort war keine Weltstadt, aber wir fanden unseren Lebensinhalt hier. Heute sind wir Staßfurter.«
Anfang der 1960er Jahre konzentrierte die DDR ihre Fernsehproduktion im Süden des Bezirkes Magdeburg. Franz Korsch kommt auf die zusätzliche Konsumgüterproduktion zurück. »Wir gehörten zu den wenigen Betrieben, die das nicht mitmachen mussten – keine Bügelbretter nebenbei, Flaschenöffner oder so. Es gab für uns eine klare Ansage: Unsere DDRBevölkerung muss mit TV-Geräten beliefert werden. Der Export-Anteil war sehr gering, höchstens fünf Prozent.«
550 000 Geräte jährlich, es reichte trotzdem nicht. 2600 Beschäftigte hatte das Werk, viele von ihnen hat- te die Leiterplatten per Hand zu bestücken. Korsch, dem es wichtig ist, die Tradition des Fernsehgerätebaus nicht in Vergessenheit geraten zu lassen, schaut auf 1969 zurück und zeigt auf den »Color 20«. Zum DDRGeburtstag sollte damals – zwei Jah- re nach der BRD – das Farbfernsehen eingeführt werden. Und zwar volltransistoriert zu Zeiten des Röhrenstandards. »64 Transistoren, temperaturempfindliches Germanium, an Siliziumtransistoren war noch nicht zu denken«, erinnert sich der Vereinsvorsitzende Korsch. »Als 1980 der ›Colormat‹ vom Band läuft, hat der einen Makel: die devisenträchtige Bildröhre aus Frankreich. 1984 sorgen die Berliner Entwickler vom Werk für Fernsehelektronik für eine Eigenentwicklung.«
Unter den rund 600 Exponaten darf eine Rahmenantenne aus den 1920er Jahren ebenso nicht fehlen wie Geräte von »Technisat«, jener Firma, die heute nach vielen Turbulenzen und Konkursen in den 1990er Jahren nun auf dem Staßfurter Gelände produziert. Wenn auf die Nachwendezeit und das rapide Schrumpfen des Standorts zurückgeblickt wird, fällt seitens der Fernsehgeräte-Fans immer wieder der Name Luigi Colani. Der Stardesigner gestaltete 1993 exklusiv für die Staßfurter ein TV-Gerät, von dem er sagte, es sehe, wenn es frei im Raum stehe, von hinten fast besser aus als von vorn. Dass das Ausstellungsstück handsigniert ist, versteht sich da von selbst.
Anfang der 1960er Jahre konzentrierte die DDR ihre Fernsehproduktion im Süden des Bezirkes Magdeburg.
Rundfunk- und Fernsehgerätesammlung Staßfurt, Löderburger Str.73 in 39418 Staßfurt; Mo bis Do 8 bis 14 Uhr, Fr 8 bis 12 Uhr; jeden ersten Samstag im Monat »Bastelsamstag« 9.30 bis 12 Uhr; www.rft-verein-stassfurt.de