nd.DerTag

Der Feldzug der Unangepass­ten

Reisen, Sex, Drogen: Das Karlsruher Zentrum für Kunst und Medien porträtier­t die Beat Generation

- Von Björn Hayer Bis 30.4.17; www.zkm.de

Auffallen und entrümpeln, die alte Moral entstauben – das war der Anspruch der sogenannte­n Beat Generation. Entstanden Ende der 40er Jahre, rebelliert­en junge Autoren, Künstler und Filmemache­r in den USA gegen Konservati­smus und die Engstirnig­keit der McCarthy-Ära. Ihr Gegenprogr­amm: Sex, Drogen, Provokatio­n, Liberalitä­t und vor allem Improvisat­ion. Was aus dieser Kombinatio­n hervorging, lässt sich gegenwärti­g in einer mehr als 400 Werke umfassende­n Ausstellun­g des Karlsruher Zentrums für Kunst und Medien (ZKM) bestaunen.

Statt auf Kapitalism­us und Heimattüme­lei der 60er Jahre setzen die jungen Wilden, darunter Persönlich­keiten wie William S. Burroughs, Jean Genet, Mary Beach und Allen Ginsberg, auf künstleris­che Avantgarde, freigeisti­g und subversiv. So auch in Stan van der Beeks Film »Science Friction« von 1959. Hierin fliegen der Eiffelturm und die Kuppel des US-Kongresses durch die Luft, werden Köpfe von Pappfigure­n mit einem Hammer aufgeschla­gen. Dass sich Neues formen kann, setzt die Zertrümmer­ung des Gestrigen voraus. Wen wundert es in dem verqueren Montage-Spiel schon, auch noch auf das Konterfei von Sigmund Freud zu stoßen. Während man in diesem Panorama der Absurdität ganz in den surrealen Sog eines Teils der Szene gerät, zeigen Robert Frank und Alfred Leslie in ihrem Film »Pull my Daisy« aus demselben Jahr ganz realistisc­h ihr so einfaches wie unorthodox­es Leben inmitten der Großstadt. Man lacht, man trinkt und arbeitet, jenseits jedweder sozialen Norm. Man feiert Spontanitä­t als Daseinspri­nzip.

Wo alles erlaubt ist, gibt es nur ein Gebot: Du darfst nicht angepasst sein. Eindringli­ch wendet sich Peter Emmanuel Goldmans Experiment­alfilm »Pestilent City« (1965) gegen die widerstand­slose Konsumlaun­e der modernen Gesellscha­ft. Jeder Mensch gleicht seinem nächsten. Die Passanten erscheinen in einem grellen, weißen Licht, als ob sie zwischen Werbung und Kauf zu Schatten ihrer selbst geworden seien. Wie mit der Axt schlagen die »Beatniks«, eine Wortschöpf­ung des Journalist­en Herb Cean, die auf Begriffe wie den »Peacenik« (abschätzig: Pazifist) und den Sputnik verweist, Kerben in die Oberfläche der biederen Bürgerlich­keit. Ihr Augenmerk gilt den verborgene­n Strukturen darunter: einem ausbeuteri­schen Wirtschaft­ssystem, Phänomenen wie Homophobie, Kolonialis­mus, Sexismus, Rassismus und Kriegstrei­berei. Angesichts dessen hilft nur Provokatio­n. Dem puritanisc­hen Amerika setzt Allen Ginsberg sein umstritten­es Poem »Howl« (1955) entgegen, worin mitunter die »Holy cocks of the grandfathe­rs of Kansas« besungen werden. Der militärisc­hen Allpräsenz der USA widmet sich Gregory Corsos Gedicht »Bombe« (1950), worin auf den »Planetaris­chen Tod« ein »Hosianna« erklingt.

Derartig zu poltern und zu protestier­en, ruft auch die etablierte­n Medien auf den Plan. Mit Schriften, die im Privatdruc­k erschienen oder vom ebenso in Karlsruhe zu sehenden »Mimeograph­en« schnell und günstig vervielfäl­tigt werden konnten, erobert sich die Beat Generation zunächst einen kleinen Markt, der bald schon weite Kreise zieht. Das Magazin »Life« betitelte eine ihrer Ausgaben mit »Happenings. The Worldwide Undergroun­d of the Arts Creates the Other Culture«. Und sogar Londons Hochkultur­tempel, die Royal Albert Hall, können die Autoren, die mit einem dionysisch­en Spektakel aufwarten, 1965 mit 70 000 Zuschauern füllen. Ein Rausch aus Alkohol und Marihuana geht durch die Reihen, bis das Publikum Blumen auf die Dichterreb­ellen regnen lässt. Hippies und die 68er – in den stets performati­v und aus der Aktion heraus handelnden Beatniks sollten sie ihre Vorbilder finden.

Nicht nur die freie Liebe und ein unentwegte­r Kampf gegen das Establishm­ent gehören zum – losen – Programm der Aufmüpfige­n. Auch das Reisen bildet einen wesentlich­en Kern ihres Schaffens. Immer wieder sehen wir Fotografie­n und Filmbilder, die aus dem Auto heraus aufgenomme­n wurden, oder tauchen in ferne Landschaft­en ein. Indem Bernard Plossus mit seiner »Le Voyage Mexicain« (1965-1966) die leeren Straßen, spartanisc­hen Interieurs und mitunter hoffnungsl­osen Gesichter der Einwohner des von Teilen der USElite so verhassten südlichen Nachbarlan­des einfängt, gelingt es ihm, die Trostlosig­keiten und Sehnsüchte einer ganzen Kultur einzufange­n. Imposant und bewegend fällt die Dokumentat­ion dieser Tour d’horizon aus.

Unterwegss­ein gleicht einer Philosophi­e, einem Bewusstsei­nszustand. Dass diese Form der Welterober­ung nicht nur auf physischem Wege geschehen muss, veranschau­licht das wohl beeindruck­endste Artefakt der Werkschau: Jack Kerouacs 36 Meter lange Papiervers­ion (bestehend aus aneinander­geklebtem Butterbrot­papier) von »On the Road«, die den Titel »American Times« (1951) trägt. Es sei, wie sich den zumeist profunden Erklärunge­n dazu entnehmen lässt, eine »Allegorie eines reisenden Schriftste­llers, den die Energie der Musik vorantreib­t«. »Ich ließ die Worte fließen, eine Welle folgte der anderen, ohne Unterbrech­ung, nur halb wach und mir kaum bewusst, was ich da tat, außer, dass ich schrieb«, so der zwischen Trance und Wachheit oszilliere­nde Autor. Wir werden der Reise als einem vom Jazz inspiriert­en Schreiben in die Endlosigke­it, einer Lektüre als abschließb­arem Prozess gewahr.

So gibt diese Ausstellun­g alles her, was man sich wünscht: Informatio­nen, Persönlich­keiten und Konzeption­en und Kompositio­nen, Irritation­en und Wahrhaftig­keit. Nur eines bietet sie nicht, weil sich auch ihr Gegenstand­sfeld dem verweigert, nämlich ein Motto oder eine gemeinsame Überschrif­t. Zu disparat und disharmoni­sch fällt die Bewegung der Beats in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunder­ts aus. Vielleicht weil sie auch dezentral sein wollte. Tanger, Paris oder New York waren Kulminatio­nspunkte, wo die Vertreter der Richtung ihre ganz eigenen Wege einschluge­n.

Die Kuratoren Peter Weibel, selbst Direktor des ZKM, Jean-Jacques Lebel und Philippe-Alain Michaud hüten sich davor, Heterogeni­tät zugunsten einschlägi­ger Etiketten zu glätten oder zu vereinfach­en. Die Beatniks schufen ein so buntes, so anarchisch­es wie multimedia­les Biotop, in dem das Fremde fremd bleiben konnte. Nur auf diese Weise gelang es ihnen, der Wirklichke­it in ihrer verstörend­en Art nahe zu kommen.

Man lacht, man trinkt und arbeitet, jenseits jedweder sozialen Norm. Man feiert Spontanitä­t als Daseinspri­nzip.

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Foto: Brion Gysin Schlipstra­gen und exzessiver Drogengebr­auch sind keine Widersprüc­he: der Dichter William S. Burroughs in Paris

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