Nichts ist gut in Afghanistan
Vor einem Jahr zogen im Gasthaus von Gohrisch geflüchtete Familien ein. Zuvor herrschte Pogromstimmung im Dorf. Viele Einwohner befürchteten Sodom und Gomorra. »Keine Einkaufsmöglichkeiten mehr, kaum noch Busse, langsames Internet, ein schlechtes Mobilfunknetz – und jetzt bringt ihr uns noch Flüchtlinge!«, sagten manche. Für mich als Linke verbot sich Wegducken und ich wurde ehrenamtliche Flüchtlingsunterstützerin der Diakonie.
Treten wir Anwohner heute aus der Haustür, schallt ein freundliches »Hallo« der Flüchtlinge herüber. Gemeinsam mit den Familien aus Afghanistan, Syrien oder dem Irak wanderten wir in der Sächsischen Schweiz. Unvergesslich, wie sie uns auf dem Pfaffenstein am Wahrzeichen Barbarine mit einem afghanisch-syrischen Picknick überraschten. Dr. André Hahn, MdB aus Gohrisch, lud alle zum Sommerfest nach Heidenau ein. Als André Hahn kürzlich eine Besuchergruppe im Bundestag empfing, war auch der junge Yama aus Kabul dabei. Er gewann einen Wissensquiz mit kniffligen politischen Fragen gegen 45 Deutsche!
Inzwischen gibt es ein großes Netzwerk von Helfern, die sich im Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge für Geflüchtete engagieren. Wir sehen, wie glücklich die Kinder hier geworden sind, nachdem sie Kitas und Schulen besuchen können. Daheim unterdrückt, verhüllt bis zu den Zehenspitzen, Schlägen durch Lehrer ausgesetzt, haben sich vor allem die Mädchen hier zu fröhlichen, selbstbewussten Kindern und Jugendlichen entwickelt, die rasant schnell Deutsch lernen. Ihre Mütter – bisher von Bildung ausgeschlossen – lernen Lesen und Schreiben.
Wir haben uns gegen die Abschiebung von Flüchtlingen nach Afghanistan engagiert. Man schaue sich nur einmal die Reisewarnungen des Auswärtigen Amtes für dieses Land an. Deutschen Staatsbürgern wird dringend davon abgeraten, Afghanistan zu bereisen. Aber wir schieben die Geflüchteten dorthin ab. Wie niederträchtig ist das nur! Ich schäme mich für jene deutschen Politiker, die das ohne Not taten. Es bedarf eines Umdenkens, weil nach wie vor Frau Käßmanns Wort gilt: »Nichts ist gut in Afghanistan!«. Anja Oehm, Gohrisch