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Der Vincent van Gogh von Duisburg

Ein Leben mit den Bildern des niederländ­ischen Malers

- Von Dorothea Hülsmeier, Duisburg

Ein Kranführer wird zu einem romantisch­en Komponiste­n und besessenen Maler. Jedes Ölbild von Vincent van Gogh will Wolfgang Müller nachmalen. Mehr als 600 hat er schon geschafft. Grau sind die Fassaden in Duisburgs herunterge­kommenen Stadtteil Meiderich, doch in einem Atelier im Hinterhof glühen die Farben Vincent van Goghs. Auf einem Flügel spielt Wolfgang Müller in den schäbigen Räumen einer ehemaligen Polsterei eigene romantisch­e Kompositio­nen. Hinter ihm sind die Wände über und über mit Interpreta­tionen der Bilder des Wegbereite­rs der Moderne, Vincent van Gogh (1853-1890), bedeckt. Müller hat sie alle selbst gemalt: die Sonnenblum­en, Felder, Bauernhäus­er, die Porträts und Selbstport­räts.

Müller (48) kommt aus DuisburgMa­rxloh, einst Stahlstand­ort, heute ein Problemvie­rtel. Musik und Kunst waren dem einstigen Kranführer nicht in die Wiege gelegt. Er stammt aus einer einfachen Familie, ist der zweitältes­te von acht Brüdern. Aber er hat die Musikalitä­t schon als Kind ge- spürt. Das Klavierspi­el brachte sich Müller als Jugendlich­er selbst bei. Und er war schon über 30, als er sein zweites Talent entdeckte: das Malen.

Müller hat ein Projekt, dem er sein ganzes Leben unterordne­t: Er will jedes einzelne der rund 860 Gemälde van Goghs nachmalen – nicht kopieren, sondern interpreti­eren. »Die Größen meiner Bilder und meine Far- ben sind anders«, sagt er. »Ich will meine Gefühle und meine Leidenscha­ft dort hineinlege­n.«

Rund 620 Bilder hat Müller in den letzten 15 Jahren gemalt. Oft arbeitet er an 30 Werken parallel. Van Gogh malte auf dem Höhepunkt seines Schaffens 350 Bilder in 400 Tagen. In ihrer Besessenhe­it ähneln sich Müller und sein Vorbild. In Regalen stehen bemalte Leinwände dicht an dicht. Anfangs ließ Müller die Bilder noch rahmen, dafür ist längst kein Platz mehr. Seine Küche mit dem alten Holztisch, der funzeligen Lampe und dem roten Teekessel ist dem Gemälde »Die Kartoffele­sser« nachempfun­den. Eine Kaffeemasc­hine und eine elektrisch­e Kochplatte gönnt er sich als Beitrag der modernen Technik.

»Diese Herzlichke­it und Menschlich­keit in seinen Motiven macht van Gogh so stark«, sagt Müller. Er fühlt eine starke Seelenverw­andtschaft zu dem Niederländ­er. Wie van Gogh kommt er aus einer Großfamili­e, ist Autodidakt, probierte mehrere Jobs und fing spät mit dem Malen an. »Ich war auf Thyssen Kranführer. Dann habe ich Zivildiens­t geleistet, im Altenheim stand eine Orgel und ich sollte jeden Tag für die alten Menschen spielen. Eigentlich bin ich ein Komponist«, sagt er. Er spielt ein romantisch­es Stück am geliehenen weißen Flügel, unter dem Noten, vanGogh-Bücher und Farbtuben liegen.

1999 stellte sich Müller bei der Franz-Liszt-Hochschule in Weimar vor und bekam eine Zeit lang Privatunte­rricht in Kompositio­nslehre. Doch das erhoffte Stipendium erhielt er nicht, auch wenn er rund 350 Stücke selbst komponiert hat. Das Arbeitsamt habe ihn zu einer Umschulung geschickt und ein Praktikum bei dem Künstler und Galeristen Pino Juliano machen lassen. Juliano zeigte Müller die ersten Schritte des Malens. Und Müller fing gleich mit van Gogh an, einen anderen Künstler gibt es für ihn nicht. Dabei ist van Gogh, der zu Lebzeiten kaum ein Bild verkaufte, einsam blieb und sich mit 37 Jahren erschoss, nicht gerade ein Vorbild für Lebensglüc­k. Auch Müllers Begleiter ist die Einsamkeit. »Aber ich bin erfüllt mit dem, was ich tue.« Bis zu zehn Stunden arbeitet er am Tag. Er lebt von Musik-Auftritten und Besuchergr­uppen in seinem Atelier.

Wenn er Geld braucht, verkauft Müller ein Bild – und malt es gleich wieder neu. In zwei bis drei Jahren will er durch sein mit van Goghs Ölgemälden. Eine Wanderauss­tellung wäre sein Traum. Im Louvre hat er Bilder van Goghs gesehen. Er war auch im Geburtsort des Künstlers in den Niederland­en. Aber in Südfrankre­ich, wo van Gogh seinen größten Schaffensr­ausch erlebte, war Müller noch nie. »Später«, sagt er. »Ich muss erst das Gefühl haben: Ich bin frei.«

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Foto: dpa/Roland Weihrauch Wolfgang Müller in seinem Atelier

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