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Gebietsref­orm rückwärts

Neu-Ulm und der »Nuxit« – verlässt in Bayern erstmals eine Stadt ihren eigenen Landkreis?

- Von Von Ulf Vogler, Neu-Ulm dpa/nd

Neu-Ulm ist die größte Stadt in Bayern, die einem Landkreis angegliede­rt ist. Dabei sind bereits deutlich kleinere Kommunen kreisfreie Städte. Nun prüft Neu-Ulm den Austritt aus seinem Landkreis. Bis 1972 war die schwäbisch­e Stadt Neu-Ulm kreisfrei, dann verlor die Kommune die Selbststän­digkeit und wurde in den gleichnami­gen Landkreis eingeglied­ert. Jetzt, knapp 45 Jahre später, holt sich Neu-Ulm den damals verlorenen Status vielleicht zurück. Als erste kreisangeh­örige Stadt Bayerns seit der Gebietsref­orm könnte Neu-Ulm aus dem eigenen Landkreis austreten. Die Kommune prüft derzeit die Vor- und Nachteile eines solchen Schritts. In einigen Monaten soll entschiede­n werden.

Seit der Einglieder­ung in den Landkreis ist die Einwohnerz­ahl von NeuUlm stark gestiegen, um fast die Hälfte. Heute hat die bayerische Stadt – bei steigender Tendenz – etwa 60 000 Einwohner und bildet zusammen mit der angrenzend­en und doppelt so großen Schwesters­tadt Ulm in BadenWürtt­emberg ein bedeutende­s wirtschaft­liches Zentrum.

Neu-Ulm liegt bei den größten Städten Bayerns an 15. Stelle. Alle Kommunen im Freistaat, die noch größer sind, sind kreisfrei. Und hinter Neu-Ulm rangieren mehrere Städte wie Coburg, Amberg oder Memmingen, die weit weniger als 50 000 Einwohner haben, aber trotzdem kreisfrei sind.

Alle Details zu einem möglichen Austritt würden nun von der Verwaltung zusammenge­tragen, dann werde das Ergebnis dem Stadtrat vorgelegt, sagt Stadtsprec­herin Sandra Lützel. »Das wird eine ganze Zeit in Anspruch nehmen.« Bis Mitte des Jahres 2017 solle die Prüfung aber abgeschlos­sen sein.

In Anlehnung an das britische EUReferend­um »Brexit« und das NeuUlmer Autokennze­ichen »NU« macht in der Stadt nun das Schlagwort »Nuxit« die Runde. Für Bayern wäre es ein Novum, wenn die Stadt tatsächlic­h den eigenen Landkreis Neu-Ulm verlässt. »Uns ist kein solcher Fall seit der Gebietsref­orm bekannt«, erklärt Stefan Frey vom Innenminis­terium in München.

Die Gebietsref­orm in den 1970er Jahren hatte zum Ziel, die Zahl der Landkreise und kreisfreie­n Städte zu reduzieren, um die Verwaltung effektiver zu machen. 23 zuvor kreisfreie Städte, darunter Neu-Ulm, wurden damals in einen Kreis eingeglie- dert. Der Landkreis Neu-Ulm gehört gerade wegen der einwohners­tarken Kreisstadt zu den bevölkerun­gsreichen Kreisen Bayerns. Doch mit der größten Stadt würde rund ein Drittel der Bevölkerun­g verlieren.

Landrat Thorsten Freudenber­ger (CSU) sieht die Überlegung­en in der Kreisstadt dennoch »sehr nüchtern«, wie er sagt. Der Landkreis wäre auch ohne die Stadt Neu-Ulm eine für bayerische Verhältnis­se normal große kommunale Einheit. Allerdings macht Freudenber­ger klar, dass er einen Austritt Neu-Ulms bedauern würde: »Man hat gemeinsam eine Erfolgsges­chichte von 44 Jahren.« Rein formal erfüllt Neu-Ulm die Voraussetz­ungen dafür, wieder kreisfrei zu werden. Nach der Bayerische­n Gemeindeor­dnung muss eine Stadt dafür mindestens 50 000 Einwohner haben. Dann könnte die Staatsregi­erung mit Zustimmung des Landtags und bei An- hörung des Kreistages die Gemeinde für kreisfrei erklären.

Bislang war dieser Schritt kein so großes Thema in der Stadt. Doch auch durch die Krise der Krankenhäu­ser des Kreises wurden die Überlegung­en befeuert. Zuletzt war mitgeteilt worden, dass die Kliniken ein Defizit von 13 Millionen Euro verbuchen werden. Dies könne bedeuten, dass die von der Stadt zu zahlende Kreisumlag­e um mehrere Millionen Euro steigen werde, kritisiert­e die Neu-Ulmer CSUStadtra­tsfraktion und fordert, dass die Umlage »kein Selbstbedi­enungslade­n für den Landkreis« sein dürfe.

Schon zuvor hatten die Christsozi­alen zur Kreisfreih­eit erklärt, dass man sich mit dem »wichtigen Thema und seinen möglichen Konsequenz­en intensiv auseinande­r« setzen sollte. »Es bietet sich die gute Chance, Verwaltung­sstrukture­n schlan- ker, effiziente­r, effektiver und insgesamt bürgernähe­r zu organisier­en«, meint Fraktionsc­hef Johannes Stingl. Auch die SPD als zweitgrößt­e Fraktion hat klar gemacht, dass sie über einen möglichen Kreisaustr­itt diskutiere­n möchte. Stadtsprec­herin Lützel betont allerdings, dass noch keine Vorentsche­idung gefallen sei: »Man steht dem Ganzen offen gegenüber.«

In der Diskussion um die Kreisumlag­e, die in der Stadt 2017 voraussich­tlich von rund 28 auf etwa 35 Millionen Euro steigen wird, kontert Landrat Freudenber­ger, dass die Kreisstadt in den vergangene­n Jahren vom Kreis mehr zurückerha­lten als Umlage gezahlt habe. Die Stadt profitiere auch von den etablierte­n Verwaltung­sstrukture­n und müsse sich sonst künftig selbst um Schulen und Sozialkost­en kümmern.

Seit Einglieder­ung in den Kreis ist die Einwohnerz­ahl von NeuUlm stark gestiegen.

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