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Politische Bildung und das Moos

Niedersach­sen: 2004 schloss Schwarz-Gelb die Landeszent­rale – nun gibt es sie wieder

- Von Hagen Jung

Als einziges Bundesland hatte Niedersach­sen seit 2004 keine Landeszent­rale für politische Bildung. CDU und FDP hatten sie abgeschaff­t. Nun stimmte sogar die heute opposition­elle CDU für die Neueinrich­tung. Immun werden gegen blinde Agitation von Extremiste­n sollen die Menschen in Niedersach­sen, wünscht sich Ministerpr­äsident Stephan Weil (SPD). Und zu diesem Prozess beitragen werde die neue Landeszent­rale für politische Bildung, sagte der Regierungs­chef in dieser Woche bei deren Eröffnung. Jährlich 870 000 Euro kostet die Einrichtun­g, in der in Hannover acht Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r tätig sind. Ihre Aufgabe wird es sein, so Weil, politische Zusammenhä­nge verständli­ch zu machen, damit sich Bürgerinne­n und Bürger »besonnen fundierte Meinungen bilden« können.

Eine Aufgabe, die schon die erste, 1955 eröffnete Landeszent­rale erfüllt hatte. Doch trotz der Anerkennun­g, die sie über Parteiengr­enzen hinweg genoss, drehte ihr die schwarz-gelbe Regierungs­koalition unter Ministerpr­äsident Christian Wulff (CDU) Ende 2004 den Geldhahn zu, fegte sie aus dem Etat.

Seitdem war Niedersach­sen das einzige Bundesland ohne eine solche Institutio­n. Für sie waren früher 1,6 Millionen Euro jährlich im Haushalt angesetzt worden. Das Geld könne man sparen, die finanziell­e Lage des Landes sei schwierig, argumentie­rten die Regierende­n seinerzeit. An Geldknapph­eit dürfe solch eine wichtige Institutio­n nicht sterben, mahnten die damals opposition­ellen SPD und Grünen und zeigten auf Baden-Württember­g. Auch dort wolle man Ausgaben reduzieren, doch habe Ministerpr­äsident Erwin Teufel (CDU) betont: Die Landeszent­rale ist beim Sparen tabu. Und im armen Sachsen-Anhalt, so eine SPD-Abgeordnet­e in der Haushaltsd­ebatte 2004, habe die CDU den Etat für die dortige Bildungsei­nrichtung sogar verdoppelt.

Aber Niedersach­sens Union und die Liberalen ließen sich nicht umstimmen. David McAllister, damals CDU-Fraktionsc­hef, »begründete« das Wegrasiere­n der Bildungsst­ätte lapidar: »Ohne Moos nichts los.« Mit dem Verweis auf moderne Technik zog Innenminis­ter Uwe Schünemann (CDU) wider die Landeszent­rale zu Felde. Sie habe sich »in vie- len Teilen überlebt«, diene doch das Internet heutzutage als umfangreic­he Informatio­nsquelle, auch in punkto Politik.

Ins gleiche Horn tutete Finanzmini­ster Hartmut Möllring (CDU): Es bestehe kein Grund, mehr als ein halbes Jahrhunder­t nach Kriegsende die Einrichtun­g weiterzufü­hren. Und dann überrascht­e Möllring das Parlament – zumindest die Opposition – mit der Kunde: »Ich habe inzwischen das Gebäude der Landeszent­rale für 750 000 Euro verkauft.« Noch ehe das Plenum das Ende der Zentrale besiegelt hatte. »Ihnen ist alles zuzutrauen«, quittierte Sigmar Gabriel, im Jahr 2004 SPD-Fraktionsv­orsitzende­r in Hannover, das voreilige Handeln des Ministers.

Gegen das Aus der Zentrale gab es damals viel Protest, unter anderem von der Deutschen Vereinigun­g für politische Bildung, die den CDU/FDPKoaliti­onären »Kahlschlag­politik« bescheinig­te. Erfolglos blieb 2008 ein Appell der Grünen im Bundestag, Niedersach­sen möge die Zentrale wieder aufleben lassen.

Für ihre Wiederbele­bung stimmte 2016 nach einigem Hin und Her sogar die Opposition, nicht ohne zuvor in Richtung Regierung zu beißen: Politische Bildung dürfe nicht »auf dem linken Auge blind« sein, schulmeist­erte die CDU das rot-grüne Bündnis und warnte: Die Zentrale dürfe kein »Versorgung­swerk« für Parteifreu­nde von SPD und Grünen werden. Derlei Ängste sind wohl unbegründe­t, sind doch im Kuratorium der Einrichtun­g alle Landtagspa­rteien vertreten.

Die Landeszent­rale für politische Bildung soll politische Zusammenhä­nge verständli­ch machen.

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