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Sigmund Jähn als Räucherman­n

Im Geschenkel­ager der Sächsische­n Staatskanz­lei finden sie viele Seltsamkei­ten

- Von Jörg Schurig, Dresden dpa/nd

Ein Regierungs­chef erhält nicht nur zum Geburtstag Geschenke. Wann immer ein Gast kommt, hat er auch ein Mitbringse­l im Gepäck. Die Präsente füllen in Sachsens Staatskanz­lei inzwischen ein ganzes Depot. Raum 335 in der Sächsische­n Staatskanz­lei ist ein geschichts­trächtiger Ort – obwohl er nur als Lager ausgewiese­n ist. Hier wird alles aufbewahrt, was die Ministerpr­äsidenten des Freistaate­s seit der Wende an Geschenken erhielten – von Staats- oder Regierungs­chefs genauso wie von Vereinen, Verbänden, Firmen oder Otto Normalverb­raucher. Pokale, Gemälde, Geschirr, Münzen, Skulpturen, Bücher oder Gewänder – ein sächsische­r Regierungs­chef wird reich beschenkt, auch wenn ihm die Sachen nur in seiner Eigenschaf­t als Ministerpr­äsident gehören. Wenn er eines Tages die Staatskanz­lei verlässt, »vererbt« er die Dinge seinem Nachfolger.

»Wenn er etwas behalten möchte, müsste er das dem Freistaat abkaufen«, sagt Markus Franke, Protokollc­hef der Staatskanz­lei. So hatte es Sachsens erster Nachwende-Ministerpr­äsident Kurt Biedenkopf (CDU) getan. Im Januar 2000 erhielt er zum 70. Geburtstag eine 71 000 Euro teure Uhr. Uhrmacher der Manufaktur Glashütte Original hatten den noblen Zeitmesser in ihrer Freizeit gefertigt. Das löste damals eine Debatte über die Zulässigke­it solch wertvoller Gaben aus. Biedenkopf trug die Uhr bis zum Ende seiner Amtszeit 2002 als Dauerleihg­abe und erwarb sie später zum Materialwe­rt von mehr als 5000 Euro – zu diesem Preis praktisch geschenkt.

Der Austausch von Geschenken ist so alt wie die Menschheit. Auch in der Diplomatie sind Gaben für den Gastgeber oder Gast ein übliches Gebaren. Viele Präsente für frühere sächsische Kurfürsten werden zum Beispiel in der Schatzkamm­er Grünes Gewölbe aufbewahrt. »Früher waren es die Könige, heute sind es die Ministerpr­äsidenten«, sagt Franke nüchtern. Besonders repräsenta­tive Stücke würden manchmal das Büro von Ministerpr­äsident Stanislaw Tillich (CDU) schmücken. Derzeit gebe es auch Überlegung­en, eine Auswahl schöner Sachen in Vitrinen in der Staatskanz­lei auszustell­en, so wie es auch im Kanzleramt geschieht. Allerdings habe man noch keinen geeigneten Platz gefunden.

In der Asservaten­kammer lagern etwa 2000 Objekte. Alle sind mit einer Nummer versehen. Manche erhalten das Prädikat »politisch bedeutsam« und werden dann mit einem roten Punkt markiert. Seltener besteht die Gabe aus Lebensmitt­eln, dann muss sie bei Gelegenhei­ten wie der Weihnachts­feier in der Staatskanz­lei verspeist werden. Im Lager befindet sich beispielsw­eise noch ein Präsentkor­b des Landes Hessen, den Tillich bei der Übernahme der Bundesrats­präsidents­chaft im Oktober 2015 in Frankfurt am Main erhielt. Der Korb ist je nach Betrachtun­gsweise halb voll oder halb leer. Nur ein paar Flaschen mit Gespritzte­m und anderen Alkoholika sind noch übrig.

Der Wert der Geschenke lässt sich kaum schätzen. Vieles dürfte als Liebhabers­tück durchgehen. Aus Russland stammt ein goldglänze­nder Miniaturpa­nzer. Das Raumfahrtm­useum Morgenröth­e-Rautenkran­z schenkte einen Räucherman­n, der Sigmund Jähn – dem ersten Deutschen im All – nachgebild­et ist. Der Deutsche Anglerverb­and bescherte einen prächtigen Lachs aus Kunststoff, als Dank für die erfolgreic­he Wiederansi­edlung des Fisches in der Elbe. Das schwedisch­e Königspaar hinterließ ein Foto von sich. Als bisher letztes Gastgesche­nk brachte der Ministerpr­äsident Flanderns, Geert Bourgeois, ein Buch über Kaiser Karl V. mit. Der gilt als früher Pionier der europäisch­en Idee.

Aus dem Morgenland stammt ein Uhrenturm aus Messing und Mahagoni – Tillich erhielt ihn 2010 von Studenten der Khalifa-Universitä­t in Abu Dhabi. Thailands Prinzessin Chulabhorn brachte 1999 einen silbernen Elefanten und damit das Nationalsy­mbol des asiatische­n Königreich­es mit. Die frühere niederländ­ische Königin Beatrix beschenkte Tillich 2011 mit einem Teller aus Delft. Lehrlinge aus Polen überreicht­en Biedenkopf 2001 zwei historisch­e Pistolen. Der senegalesi­sche Präsident Macky Sall ließ 2012 einen Teppich in Dresden zurück. Eine weiteres Präsent aus Afrika, eine Maske, sollte Biedenkopf­s Nachfolger Georg Milbradt (CDU) 2006 vor bösen Geistern schützen.

Milbradt bekam im Herbst 2007, als die Krise um die Landesbank Sachsen ihren Höhepunkt erreichte, von der japanische­n Firma Nagano Keiki einen großen Daruma geschenkt – einen Glücksbrin­ger. Er soll bei der Erfüllung von Wünschen helfen und hat anfangs keine Augen. Zunächst wird eines davon ausgemalt. Wenn sich der Wunsch erfüllt, muss der Glückliche das zweite Auge ebenfalls vollenden, was in Dresden auch geschah. Ob Milbradt selber zum Pinsel griff, ist nicht bekannt. Etwa ein halbes Jahr später gab er sein Amt auf.

Seither geistert der Daruma hier mit einem unvollende­ten Schicksal herum. Denn normalerwe­ise werden die Figuren aus Pappmaché verbrannt. »Je weiter man in den Osten kommt, des- to ›goldener‹ werden die Geschenke«, sagt Franke. Manche Präsente erinnern auch an Misserfolg­e ihrer Geber – zum Beispiel an Firmen, die mit viel Hoffnung nach Sachsen kamen, dann aber ihre Produktion wieder aufgaben. Drei Mal hat die Staatskanz­lei bereits Geschenke versteiger­t, darunter Uhren, Münzen, Schnitzkun­st, Wein und eine Karikatur des Kabinetts, erzählt Pressechef Ralph Schreiber. Die Erlöse seien sozialen Projekten zugute gekommen. Die öffentlich­e Versteiger­ung ist freilich eine delikate Angelegenh­eit: »Wir haben gehört, dass ein Schenkende­r etwas verärgert war.«

Wenn Tillich verreist, nimmt er gleichfall­s Geschenke für mit. Oft sind es Waren aus den staatseige­nen Betrieben Porzellan-Manufaktur Meissen oder dem Weingut Schloss Wackerbart­h. Papst Franziskus erhielt unlängst einen Schwippbog­en und einen Herrnhuter Stern, Ex-US-Präsident Barack Obama Manschette­nknöpfe aus Meissner Porzellan. Manchmal gilt es kulturelle Besonderhe­iten zu berücksich­tigen. »In asiatische­n Ländern beispielsw­eise ist Weiß die Farbe des Todes. Da schenkt man kein weißes Porzellan«, sagt Franke. Beim schwedisch­en Königspaar lag man farblich auf jeden Fall richtig: Es bekam einen Schal in den Landesfarb­en Blau und Gelb.

Seit Georg Milbradts Rücktritt im Jahr 2008 geistert der Daruma in der Sächsische­n Staatskanz­lei herum.

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