Neue Magdwirtschaft
Die Dienstleistungsgesellschaft beschert uns eine Rückkehr in feudale Verhältnisse. Von Silvia Ottow
Eine Frau muss täglich bis zu 18 Stunden im Haushalt schuften. Sie wird von der Familie ihres Arbeitgebers geschlagen, gekratzt und beschimpft. Sie darf nicht aus dem Haus gehen, bekommt noch nicht einmal ein Gehalt. Ernähren muss sie sich von dem, was die Familie übrig lässt. Kein Film, keine Erfindung. Was anmutet wie eine Geschichte aus vergangenen Zeiten, in denen Sklaverei an der Tagesordnung war und Mägde Freiwild ihres Dienstherrn oder ihrer Dienstfrau, spielte sich in der Jetztzeit ab. Hier und heute, mitten in Berlin. Die Indonesierin Dewi Ratnasari, angestellt bei einem saudischen Diplomaten in Berlin, ertrug diese Misshandlungen über 19 qualvolle Monate, bis es ihr gelang zu entkommen und in ihr Heimatland zurückzukehren.
Körperverletzung, Freiheitsberaubung, Lohnentzug – und das alles mitten in einer demokratischen Gesellschaft? Die Verursacher können nicht belangt werden, weil sie Immunität genießen? Kaum zu glauben. Dieser kriminelle Fall will einem zunächst als Ausnahme erscheinen, als extremer Auswuchs in tausendfach bewährten Arbeitsverhältnissen, bei denen der eine etwas braucht, was der andere gegen Bezahlung zu geben imstande ist. Und für gewöhnlich scheinen beide zufrieden. Diese Annahme entpuppt sich allerdings als Trugschluss von erheblicher Dimension. Tausende von Diplomaten in Deutschland beschäftigen Personal. Die Beratungsstelle Ban Ying kennt zahlreiche Fälle von moderner Sklaverei aus diesem Bereich. Sie versucht, die betroffenen Frauen zu unterstützen, ihnen zu ihrem unterschlagenen Lohn zu verhelfen und sie wieder zurück nach Hause zu bringen. Die Misshandler kann man in der Regel nicht zur Verantwortung ziehen.
Doch nicht nur in Botschaften findet man solche menschenunwürdigen privaten Beschäftigungsverhältnisse, die korrekt eher Drangsalierungs-oder Erniedrigungsverhältnisse heißen müssten. Sie sind offenkundig nur die Spitze eines Eisbergs, denn nicht nur Diplomaten beschäftigen Mägde und Diener. Auch das neue Bürgertum verhilft diesem Berg, der euphemistisch als moderne Dienstleistungsgesellschaft bezeichnet wird, zu unaufhörlichem Wachstum. Es benötigt hier einen Babysitter und dort einen Lieferanten oder Fensterputzer. Der Germanist und Historiker Christoph Bartmann – seit einigen Jahren Direktor des GoetheInstituts in New York – hinterfragt diesen Trend in seinem neuen Buch. Zurück in die Zukunft? Mit Kammerjungfer, Köchin und Kutscher wie einst? Er spricht von der Rückkehr der Diener und der Manifestation feudaler Verhältnisse, in denen ein Milliardenheer von Servicepersonal für alte und neue Reiche sowie Menschen aus der Mittelschicht gering bewertete Haushaltsaufgaben übernimmt, während die so Unterstützten sich ihrer höher bewerteten Arbeit oder in manchen Fälle auch einfach dem Müßiggang widmen können. Allerdings können all die Diener, Chauffeure, Mägde, Putzhilfen, Klavierlehrer, Boten und Gärtner von ihrer Arbeit in den seltensten Fällen ein auskömmliches oder gar gutes Leben führen. Sie sind meistens ungelernt, allein verdienend oder haben einen Migrationshintergund. In Deutschland verdienen sie 40 Prozent des Durchschnittslohns aller abhängig Beschäftigten, in Ländern der südlichen Hemisphäre lediglich ein Fünftel davon. Als Geschäftsmodell könne bezahlte Hausarbeit nur funktionieren, wenn jene, die sie verrichten, sich selbst ausbeuten, schreibt Bartmann. Die Rückkehr der Diener hält er eher für einen unheilvollen Trend, wohl wissend, dass vollkommene Selbstversorgung für Menschen mit einem Vollzeitjob in dieser Gesellschaft kaum möglich ist.
Mindestens 52,6 Millionen Menschen arbeiten weltweit als Vollzeithausarbeiterinnen, wobei hier die weibliche Form des Wortes den Kern trifft, denn nur 20 Prozent davon sind Männer. Seit 1995 stieg deren Zahl um 19 Millionen, zitiert Bartmann aus dem Report der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO). Niedrige Löhne, exzessive Arbeitszeiten, fehlende Ruhetage, mentaler und sexueller Missbrauch sowie die Beschneidung von Freiheitsrechten kennzeichneten ihre Tätigkeit. Für ein Drittel der auf diese Weise Beschäf- tigen existiere kein rechtlicher Schutz. In Deutschland, so heißt es im Report, zählte man im Jahr 2013 mindestens 712 000 Hausarbeiterinnen, laut Gewerkschaftsdachverband waren lediglich 250 000 angemeldet. »Es soll jedoch vier Millionen Haushalte in Deutschland geben, die Hausangestellte beschäftigen, davon 2,6 Millionen regelmäßig«, schreibt Bartmann. Knapp 40 Millionen Haushalte gibt es. Laut DGB-Bundesvorstand arbeite ein überwiegender Teil – Schätzungen gehen von 70 bis 90 Prozent aus – der Hausangestellten in Deutschland irregulär. Das heißt, ohne Steuern zu bezahlen und ohne Anmeldung bei der Sozialversicherung. Damit ist der Privathaushalt als Arbeitgeber ein rechtsfreier Raum, schlussfolgern die Gewerkschafter. Willkommen in der modernen Magdwirtschaft. In dieser arbeitet eine polnische Pflegekraft für 800 Euro Netto im Monat im Haushalt, hier kann sich der Mensch über traditionelle Mundzu-Mund-Propaganda, das altertümliche Branchenbuch oder neue Apps und Internetportale schnelle Hilfe bei der Gartenarbeit, dem Umzug, dem Fensterputzen oder Schneeräumen für ein kleines Entgelt hinzukaufen, schwarz oder legal – ganz nach Belieben.
Es käme schon einer Revolution gleich, so der Autor, wenn sich diese Zustände in absehbarer Zeit ändern sollten. Eher gehe die Rückkehr der Diener nach seiner Beobachtung »mit einer neuen Lust an und einem neuen Verlangen nach asymmetrischen Sozial beziehungen« einher. Postegalitär nennt Bart mann diese kulturelle Tendenz. Während inder Arbeitswelt» flache Hierarchien« der neue Standard seien, breche sich das Begehren nach Unter- und Überordnung, Beherrschung und Unterwerfung anderweitig Bahn. Wahrscheinlich seien flache Hierarchien nicht sexy, so wenig wie das Elterngeld oder Gen der Main streaming,m eint Bartmann. Er mutmaßt gar, die sozialdemokratischen Jahrzehnte hätten bei vielen Menschen eine große Gl eich heits müdigkeit ausgelöst. Kämen die Protagonistendi es esBuch es,Mäg de und Diener, in Scharen auf die Idee, Bartmanns Buch zu lesen, würden sie ihm diese Vermutung aller Wahrscheinlichkeit nach um die Ohren hauen. Doch damit ist wohl kaum zu rechnen.
Eine wunderbare Vision aus Bartmanns Vorstellungen von einer anderen Art und Weise des Umgangs mit dem Thema ist die »umgekehrte« Parade, so bezeichnet in Anlehnung an den Aufmarsch der Tagelöhnerinnen in New York, den man » La Parada« nennt. Jeden Morgen tauchen Frauen lateinamerikanischer Herkunft an einer bestimmten Straßenkreuzung im Stadtteil Brooklyn auf, um (schlecht bezahlte) Jobs bei ultraorthodoxen chassidischen Frauen zu ergattern, die aus religiösen Gründen die Arbeit verweigern. Bartmann könnte sich ein solches Arbeitsvermittlungsszenarium auch einmal andersherum vorstellen: »Kunden öffnen ihre Häuser und Wohnungen für einen Tag der offenen Tür und lassen arbeitssuchende Dienstleister inne nein. Sie zeigen ihnen ihre Staubsauger und Putzmittel, erläutern die Wünsche beim Reinigen an Ort und Stelle und weisen auf ihre besondere Eignung als Arbeitgeber hin.« Wie gesagt: eine Vision. Christoph Bartmann: Die Rückkehr der Diener. Das neue Bürgertum und sein Personal. Carl Hanser Verlag München. 287 S., hardcover, 22 €.