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Der Köln-Mythos

- Von Paula Irmschler

21 Jahre lang habe ich in Dresden gewohnt, bis es nicht mehr auszuhalte­n war. Ein großes Nerv-Problem ist die Opfermenta­lität der Ahnungslos­en. Der 13. Februar 1945 ist ein ständiges Thema. Als Kind lernten wir, dass angeblich ganz doll viele süße Zootiere bei der echt unnötigen Bombardier­ung der Stadt ums Leben kamen, in der Schule sammelten wir kollektiv Spenden für den Wiederaufb­au der Frauenkirc­he. Unsere Frauenkirc­he! Unser Dresden muss schöner werden. »Make Dresden great again« hätte der Slogan lauten können, hätte der Witz damals schon funktionie­rt.

Dann jedes Jahr Naziaufmar­sch und heulende Omas mit Kerzen und die fiese Antifa, die wieder alles kaputtmach­en wollte. Zumindest das falsche Gedenken und die Stilisieru­ng der Dresdner zu DEN Opfern des Krieges machte sie letztendli­ch wirklich kaputt. Seit ein paar Jahren sind die latschende­n Nazis an diesem Datum überschaub­ar. Dafür dann Pegida, Elsässer, Höcke und Konsorten – und das das ganze Jahr über. Toll.

Auch da wieder zu vernehmen das Krakeelen der Kulturscha­ffenden und ihrer Nutznie- ßer, dass das eine Schande für Elbflorenz sei und eine ständige Angst vor dem Imageverlu­st.

Also bin ich nach Köln gezogen, weil hier der Tellerrand ein paar Quadratmet­er mehr umfasst und das Stadtbild ein tatsächlic­h Buntes ist – nee, nicht nur wegen Karneval. Doch ich hatte die Rechnung ohne den kölschen Lokalpatri­otismus und den hiesigen Umgang mit der Silvestern­acht 2015/16 und 2016/17 gemacht. »Kölle, du bes e Jeföhl«, müssen allerorts und immer wieder die Höhner zitiert werden, und zugegeben: Es klingt harmloser als »Mir sin das Volk«. Dahinter steckt jedoch Ähnliches: Wir fühlen uns gern angegriffe­n und wollen unangreifb­ar sein. Wir ahnen, dass es Differenze­n gibt und bekämpfen sie mit mantra-artiger Beschwörun­g eines »Wir«.

In Artikeln von Kölnern, auf Podien, in Gesprächen und sogar in der Außenwahrn­ehmung scheint es, als sei die berüchtigt­e Silvestern­acht nicht etwas, das Frauen (und in diesem Jahr Nichtweiße­n) passiert ist, nein, es ist Köln passiert. Geschändet wurden der Dom, das Image und das Jeföhl. Hintergrün­de oder Erklärunge­n – weggewisch­t von der Betroffenh­eit der Bewohner. So verwundert nicht mal der absurde Vergleich in den Medien zwischen dem Einsturz des Stadtarchi­vs 2009 und den aktuellen Ereignisse­n. Die Konstante lautet daher: Buhu. Es sind Angriffe auf eine unschuldig­e Stadt.

Der Stadtpatri­otismus und das Abgrenzen gegen das Andere im Falle Dresdens und Kölns ist eine absolute Selbstlüge und noch dazu fragil. Tolerant und gut sei man, und das auch bei eindeutig das Gegenteil beweisende­r Faktenlage. »Kölle, du bes e Jeföhl?« – Antifa, do it again!

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