Sauerstoffmangel im Ozean
Natürliches Phosphat ist nur begrenzt vorhanden. Trotzdem landet vieles davon als Abfall im Meer – mit negativen Folgen für das Leben dort.
Phosphor bildet die Grundlage für alles Leben auf der Erde. Er ist nicht nur wichtig für den Aufbau von menschlichen Knochen, Gewebe, Zellen, Blut und Erbsubstanz, sondern ist ein wichtiger Pflanzennährstoff. In der unbelebten Natur kommt das Element im Wesentlichen gebunden in Phosphat-Mineralien wie Apatit, aber auch in Magmagestein vor. Beim Verwittern dieser Gesteine gelangt ein vergleichsweise geringer Anteil der Phosphate bis in die Weltmeere.
Sind die Phosphate in Wasser gelöst, können die Phosphat-Ionen von Pflanzen über ihre Wurzeln aufgenommen werden. Wasserpflanzen machen da keine Ausnahme. In Gewässern nimmt auch das Phytoplankton Phosphate auf und baut sie in organische Verbindungen ein, die dann im Magen von Fischen landen, die wiederum von Meeresvögeln gefressen werden. Mit den Exkrementen der Vögel, die sie an Land ausscheiden, lagert sich phosphathaltiges Guano an den Meeresküsten ab. Das Gleiche passiert, wenn Weidetiere Pflanzen fressen. Auch hier gelangt Phosphat über die Exkremente wieder in den Boden.
Der natürliche Phosphorkreislauf ist also ein geschlossenes System, welches das Pflanzenwachstum im Gleichgewicht hält – wäre da nicht der Mensch, der Phosphate aus Apatit gewinnt und mit Mineraldünger zusätzliche Phosphatverbindungen in den Kreislauf einbringt. Ein Teil dieser zusätzlichen Dünger-Phosphate gelangt über die Flüsse in die Meere, die auf die zusätzlichen Nährstoffe mit vermehrtem Wachstum von Algen und anderen Wasserpflanzen reagieren. Sterben die Pflanzen ab, werden sie von Mikroorganismen zwar abgebaut, bei diesem Prozess wird aber der vorhandene Sauerstoff nahezu vollständig aufgebraucht, sodass ein eklatanter Sauerstoffmangel entsteht.
In den vergangenen 100 Millionen Jahren kam es in den Weltmeeren immer wieder zu Perioden massiver Sauerstoffarmut. Davon zeugen dunkel gefärbte organische Schiefer in den Gesteinsschichten, die auf sauerstoffarme Zonen zu Zeiten von Klimaerwärmungen verweisen. Glaubt man Andrew J. Watson von der University of Exeter (Großbritannien), befinden sich unsere Ozeane heute wieder am Rande einer sogenannten Anoxie. Im Fachjournal »Science« (Bd. 354, S. 1529) erläutert der Wissenschaftler die Entstehung sauerstoffarmer Zonen in ozeanischen Becken in einigen hundert Metern Tiefe. Neben den Nähr- stoffüberschüssen spielt die Erwärmung eine Rolle, da sie die Bildung des Tiefenwassers verlangsamt und die Löslichkeit von Sauerstoff an der Meeresoberfläche verringert. Möglicherweise begünstigen auch die schnell verwitternden Gesteine die wachsende Nährstoffanreicherung in den Ozeanen. Zwar wird Phosphor durch Sedimentation entfernt, doch wenn die Sedimente mit sauerstoffarmem Wasser in Kontakt kommen, kann dies zur erneuten Freisetzung von Phosphat führen. Die Prozesse, die in der Erdgeschichte zu Sauerstoffmangel führten, beschreibt der Ozeanforscher wie folgt: Hohe Phosphateinträge erhöhten das Pflanzenwachstum, wodurch Sauerstoff verbraucht wurde, genauso wie der aus den Sedimenten freigesetzte Phosphor. Der Kohlenstoff lagerte sich in den Pflanzen an, weshalb sich der Sauerstoffgehalt in der Luft erhöhte. Es kam zu Waldbränden, dadurch verringerte sich wiederum die Vegetation an Land, weshalb weniger Phosphor in die Ozeane eingetragen wurde.
Neueren Modellrechnungen zufolge kann ein einmal begonnener Sauerstoffentzug riesige Meeresareale erfassen und rund 100 000 Jahre dauern. Besonders in den Küstenregionen führen die Nährstoffeinträge aus Flüssen zu lokalem Sauerstoffentzug. Die Zonen verringerten Sauerstoffgehalts (Oxygen Minimum Zone – OMZ) haben sich im östlichen Pazifik und im nördlichen Indischen Ozean vergrößert. Die Sauerstoffkonzentration dort ist laut Watson bereits nahe Null. So genannte Todeszonen finden sich auch vor dem Mississippi-Delta im Golf von Mexiko.
Die sich ausbreitenden Todeszonen haben allerdings nicht nur mit Phosphaten aus der Landwirtschaft zu tun. Im Nordpazifik führt ein koreanisches Forscherteam um den Ozeanographen Kitack Lee von der Pohang University of Science and Technology die Verschlechterungen auf erhöhte Stickstoffeinträge zurück – auch durch Verbrennungsabgase aus der Luft. Lee erläuterte in einem Vortrag, wie sich auf Grund zunehmender Stickstoffeinträge das Nitrat-Phosphor-Verhältnis im Pazifik verschieben wird. Dies wiederum führt zu einer veränderten Zusammensetzung des Phytoplanktons, mit negativen Folgen für das Ökosystem.
Dabei sind, gemessen am Bedarf von Industrie und Industrielandwirtschaft, Phosphate eigentlich Mangelware und schon der Abbau schadet der Umwelt. Rund 80 Prozent aller natürlich vorkommenden phosphathaltigen Gesteine finden sich in Marokko, der Westsahara, China, Südafrika und Jordanien. China, die USA, Marokko, Russland und Tunesien fördern drei Viertel des Phosphatgesteins.
Reiche Industrieländer spüren den Mangel an Phosphat bereits heute. So suchen australische Investoren auf abgelegenen Inseln wie Makatea in Französisch-Polynesien nach neuen Phosphatquellen. Schon einmal wur- de hier zu Beginn bis Mitte der 1960er Jahre Phosphat abgebaut. Fast ein Drittel der Natur war damals zerstört. Inzwischen hat sich die Insel zu einem fantastischen Naturparadies entwickelt. Von einem erneuten Phosphat-Abbau verspricht sich die Düngemittel-Industrie Milliardengewinne.
Auch China verbraucht inzwischen 34 Prozent des weltweiten Bedarfs an Phosphat-Dünger. Dieser wird zumeist im Land selbst hergestellt. Als Abfallprodukt fällt Phosphorgips an, der wegen Verunreinigungen der Ausgangsmaterialien meist mit giftigen Schwermetallen angereichert ist. Die Umweltorganisation Greenpeace hatte 2013 die Abfallhalden chinesischer Phosphatdüngerhersteller untersucht. In neun Proben fanden sich im Phosphorgips unter anderem Arsen, Cadmium, Chrom und Quecksilber. Das Sickerwasser aus den Halden enthielt überdies stark überhöhte Fluoridmengen. Die Gifte belasten das Grundwasser und damit die in der Nähe lebenden Menschen.
Bei gleichbleibendem Verbrauch reichen die Vorkommen in der Erdkruste noch etwa 100 Jahre – wenn er denn gleich bleibt. Doch im September 2013 beziffert eine internationale Gruppe von Chemikern die globale Nachfrage von Phosphor auf 20 Millionen Tonnen jährlich – Tendenz steigend. 90 Prozent der Phosphate werden als Mineraldünger in der Landwirtschaft verwendet. Daneben landen die Phosphate in Spezialzementen und in der Metallurgie. Und obwohl moderne Technologien Phosphor inzwischen aus Abwässern herausfiltern, wird ein großer Teil immer noch in die Meere gespült. Mehr Nachhaltigkeit beim Ackerbau würde helfen, die Verschwendung zu minimieren. So fanden Wissenschaftler der Universität Wageningen in einem Feldversuch heraus, dass der Phosphorbedarf bei jungen Maispflanzen besonders im trockenen Frühjahr auch durch eine Reihendüngung mit injizierter Gülle gedeckt werden kann. Die Erträge waren genauso hoch wie auf jenen Feldern, wo mineralischer Phosphor gedüngt wurde.