Zuckerguss auf Schwarzbrot
Christoph Ruf über billige Tricks der Selbstvermarktung von Spielern zwischen Shanghai und Giesing
Vor ein paar Wochen, genauer gesagt am Heiligabend des Jahres 2016, hat der brasilianische Spieler Oscar seinen Wechsel von Chelsea nach Shanghai bekannt gegeben. Mit einem dürren Dreizeiler der Londoner Presseabteilung war es dabei allerdings nicht getan, der gute Mann holte etwas weiter aus. »Es war immer schon ein Traum von mir, mal für einen Club wie Shanghai zu spielen«, ließ er über die Netzwerke wissen – und kam ins Plaudern: »Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie ich in Sao Paolo aufwuchs und die Red Eagles auf dem kleinen Fernseher spielen sah, den meine Familie hatte.« Für diejenigen, die die Moral von der Geschicht´ immer noch nicht begriffen haben, folgte dann noch ein Satz: »Es ist nicht wegen des Geldes.« Als ob ihm das jemand hätte unterstellen können...
Das Interessante an der Schote ist dabei gar nicht mal der doch einigermaßen leicht zu durchschauende Versuch, Zuckerguss auf Schwarzbrot zu streuen und einen handelsüblichen Vereinswechsel aus den handelsüblichen Gründen mit einem gefühligeren Überbau zu versehen. Selbst die Tatsache, dass es die Red Eagles noch gar nicht gab, als Oscar seine Adoleszenz durchlebte und bereits Sympathisant des chinesischen Clubs gewesen sein will, nötigt einem eher ein Schmunzeln ab. Interessant ist allerdings, dass Oscars Management offenbar dachte, dass so ein Wechsel leichter zu vermitteln ist, wenn man die eigentlichen Motive etwas zu kaschieren sucht. Haben die Drahtzieher der Branche also etwa Zweifel, ob das »Produkt«, von dem sie so gerne reden, in seiner Reinform nicht mehr ganz so gut zu verdauen ist? Fast scheint es so.
Der Verdacht bestätigte sich am Freitag Abend, als ein paar tausend Menschen, denen es wirklich ernst sein muss mit ihrer Liebe zu 1860 München, bei arktischen Temperaturen in die Münchner Nord-Suburbs fuhren, um sich dort das Spiel gegen Greuther Fürth anzutun. Doch wenn 15.600 Zuschauer, die eher nach 10.600 aussehen, in einem Stadion herumfrieren, in das 70.000 hineinpassen, bleibt der Eindruck von physischer und emotionaler Leere.
Und da das auch für die Regie bei 1860 voraussehbar war und Temperaturen von minus sechs Grad auch nicht zu spontanen Gefühlaufwallungen passen, dachte man sich dort offenbar, dass ein klein wenig vorproduzierte Emotion ganz gut zum Großen, Ganzen und Kalten passen könnte. Also wurde von der gigantischen Anzeigetafel herab der Stürmer Christian Gytkjaer eingeblendet, ein nordischer Posterboy, dessen Dienste man sich einige Tage zuvor gesichert hatte und der brav berichtete, dass er sich ungeheuer auf die kommenden zweieinhalb Jahre bei 1860 freue. Das wollte man ihm ja auch gerne glauben. Doch offenbar reichte das der Regie nicht, denn am Schluss seines Statements sagte er dann noch einmal mit niedlichem skandinavischem Akzent: »Einmal Löwe, immer Löwe«.
Das war einfach zu viel, wie man den Gesichtern der Kurvengänger ansah. Denn das ist ein Satz, den Fans sagen dürfen, die noch nachts am Hauptbahnhof rumlungern, bis der letzte Zug nach Hause in ein oberbayrisches Gebirgsdorf fährt. Ein Dorf, in dem der Nachwuchs – und vielleicht auch schon die eigenen Kinder – längst an den großen FC Bayern verloren sind und sich über den blauen Loser-Club mit seinem drolligen dicken Investor lustig machen. Auch Karsten Wettberg oder Thomas Miller dürfen »Einmal Löwe, immer Löwe« sagen, wie überhaupt alle ehemaligen Spieler und Trainer, die nach dem Karriereende gezeigt haben, dass die Zeit in Giesing Spuren hinterlassen hat. Normale Spieler, die heute hier, morgen da spielen, dürfen einen solchen Satz nicht sagen. Oder anders gesagt: Sie müssen ihnen nicht sagen. Man erwartet ja auch von einer Kassiererin keine Liebesschwüre für Rewe oder Aldi.
Wir leben in Zeiten, in denen mit jedem neuen Fernsehvertrag die Spielergehälter einen neuerlichen explosionsartigen Sprung machen, in denen nicht mal mehr die Trainer so tun, als fühlten sie sich an Verträge gebunden und in denen die einzigen, für die ein Verein nicht austauschbar ist, die Fans sind. Das führt dazu, dass die wenigen Spieler (Torsten Mattuschka, Kevin Großkreutz, etc.), von denen man weiß, dass sie sich einem Verein besonders verbunden fühlen, noch in Jahrzehnten Gesprächsthema sein werden, wenn weitaus höher begabte Kollegen längst in Vergessenheit geraten sind. Es führt aber auch dazu, dass vorgetäuschte Loyalitäten längst als das empfunden werden, was sie sind: Billige Tricks der Selbstvermarktung.