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Viele Minijobber ohne Mindestloh­n

Studie belegt Kontrollde­fizite

- Agenturen/nd

Berlin. Viele Minijobber erhalten offenbar nicht den gesetzlich­en Mindestloh­n, obwohl er ihnen zusteht. Das Wirtschaft­s- und Sozialwiss­enschaftli­che Institut der gewerkscha­ftsnahen Hans-Böckler-Stiftung veröffentl­ichte am Montag eine Untersuchu­ng, wonach im Jahr 2015 knapp die Hälfte der geringfügi­g Beschäftig­ten mit einem Minijob als Haupterwer­bsquelle weniger als 8,50 Euro brutto die Stunde erhielten. Der Mindestloh­n wurde Anfang 2015 in Deutschlan­d eingeführt, zum Jahresbegi­nn 2017 wurde er auf 8,84 Euro erhöht.

Die Verfasser der Studie erklärten, die Zahlen ließen »keinen Zweifel daran, dass die Betriebe bei einem erhebliche­n Teil der Minijobber nicht wie gesetzlich vorgeschri­eben die Löhne erhöht haben«. Kritiker monieren fehlende Kontrollen der sogenannte­n 450-EuroJobs, bei denen die Arbeitnehm­er weder Steuern noch Sozialabga­ben zahlen müssen. Da die Verdiensto­bergrenze festgelegt ist, kann eine Erhöhung des Stundenloh­ns nur über eine Verringeru­ng der Arbeitszei­t erfolgen.

Bundesweit verteilt sich die Finanzkont­rolle Schwarzarb­eit auf 113 Einsatzsta­ndorte. Neun davon liegen in Thüringen und Westsachse­n und gehören zum Hauptzolla­mt Erfurt. Ein Besuch bei dessen Chef. Soeben wurde der Mindestloh­n das erste Mal erhöht. Pro Arbeitsstu­nde beträgt er nun 8,84 Euro. Wer ihn erhält – und das sind fast vier Millionen Beschäftig­te – wird nicht reich davon. Bei 40 Wochenstun­den kommt man auf gut 1500 Euro im Monat, brutto. Die Finanzkont­rolle Schwarzarb­eit beim Zoll kontrollie­rt die Einhaltung des Mindestloh­ns. Chef der Prüfer beim Hauptzolla­mt Erfurt ist Zolloberam­tsrat Bernhard Pohlmann. Er versichert nach zwei Jahren Mindestloh­nkontrolle: Inzwischen finde man keinen Beschäftig­ten mehr, der »im Arbeitsver­trag weniger als den vorgeschri­ebenen Stundensat­z stehen hat«.

Allerdings fügt er sofort hinzu: »Papier ist geduldig, da kann man alles drauf schreiben.« Ein Vertrag sei für die Fahnder denn auch »das geringste Entlastung­smittel«. Gerade in Ostdeutsch­land, wo häufig genau 8,84 Euro vereinbart würden, schaue man sich etwa die real entlohnten Zeitstunde­n genauer an. Die Praxis zeige, dass es manchem Arbeitgebe­r noch nicht vollends klar sei, »was eine Stunde Arbeit ausmacht«.

Zudem darf laut Pohlmann ein Großteil der üblichen Zuschläge – Qualitätsp­rämien, Akkordzula­gen, Nacht- oder Mengenzusc­hläge – nicht in jene 8,84 Euro einfließen. Denn die Zulagen seien zweckgebun­den. Auch die Überlassun­g von Dienstklei­dung oder Werkzeug bleibe unberücksi­chtigt, ebenso alle Trinkgelde­r. Auch Weihnachts- und Urlaubsgel­d dürfe allenfalls in dem Monat, in dem es konkret ausgezahlt wird, auf den Mindestloh­n angerechne­t werden.

Nicht immer wüssten dies die Chefs, räumt Pohlmann ein. Doch Un- wissenheit schütze nicht vor Strafe. So werde es schnell teuer für einen Unternehme­r, wenn er den Mindestloh­n nicht oder zu spät zahle oder bei der gesetzlich­en Aufzeichnu­ngspflicht schludere. Wer keinen Mindestloh­n zahle, führe auch zu geringe Beiträge an die Sozialkass­en ab und hinterzieh­e unter Umständen Steuern. So arbeiten die Prüfer oft parallel zu den Staatsanwa­ltschaften. Sei ein Verdacht »hinreichen­d stark, erwirken wir beim Gericht einen Durchsuchu­ngsbeschlu­ss«, so Pohlmann.

Selten seien es Anzeigen, die die Kontrolleu­re auf solche Fälle hinweisen würden, versichert er. Weder Leute, die »uns mitteilen, ihr schon lange arbeitslos­er Nachbar gehe dennoch jeden Morgen in Arbeitskle­idung aus dem Haus und komme erst abends wieder«, noch Anrufer, die »20 Ausländer auf einer Baustelle« entdecken, seien ihre erste Quelle. Die allermeist­en Indizien erhalte der Zoll aus eigenen Prüfungen. »Wir lassen uns von unserer Erfahrung leiten, ha- ben viel Feldkenntn­is, viel Branchenwi­ssen«, sagt der Zolloberam­tsrat. Man agiere dort, wo »uns Verdächtig­es auffällt – und das stets unangemeld­et, selbst nachts und an den Wochenende­n«.

Damit eine Firma erfolgreic­h beim Lohn tricksen kann, müssen die Beschäftig­te in der Regel mitspielen, meint der Chef der Prüfer.

Ihre meisten Informatio­nen schöpft die Finanzkont­rolle Schwarzarb­eit aus bundesweit­en Schwerpunk­tprüfungen wie kürzlich in der Bauwirtsch­aft: »Damit erarbeiten wir uns in den besonders relevanten Branchen ein Lagebild zum aktuellen Geschäftsg­ebaren: Gibt es Verstöße, welcher Art sind diese, wie werden sie kaschiert?« Dazu prüfe man in Krankenhäu­sern, an Tankstelle­n, in der Gastronomi­e, aber auch in Ingenieurb­etrieben, sofern diese Leute beschäftig­en, für die vor allem das Mindestloh­ngesetz gemacht wurde.

Die Prüfer würden Betriebsun­terlagen, »die uns offengeleg­t werden müssen«, mit dem abgleichen, was sie selbst sehen: »Lässt sich etwa mit der vorgefunde­nen Zahl an Leuten sowie in der aus den Arbeitsver­trägen hervorgehe­nden – mithin entlohnten – Arbeitszei­t jener Umsatz oder jene Produktion­smenge schaffen, die die Bilanzunte­rlagen ergeben?«

Pohlmann verweist auf ausgewiese­ne Spezialist­en in den Prüfteams. »Wir wissen, was ein Lkw oder ein Taxi kosten und wie viel Stunden sie am Tag rollen müssen, damit sie sich amortisier­en. Wir wissen, wie viel Leute in wie viel Stunden 1000 Quadratmet­er Estrich verlegen oder eine Tonne Stahl biegen – und können daraus schnell Schlüsse zur realen Entlohnung ziehen«, erzählt er.

Hinzugehol­t werden Profis für Fragen der IT-Forensik, die elektronis­che Datensätze auswerten. Hierzu hätten sie Befugnisse wie eine Polizeibeh­örde. So träten Zöllner meist zu dritt auf, wären mit Pistole und Pfefferspr­ay bewaffnet und zögen »prinzipiel­l schusssich­ere Westen unter«.

Damit ein Arbeitgebe­r erfolgreic­h beim Lohn tricksen kann, muss nach Pohlmanns Überzeugun­g» der Beschäftig­te inder Regel mitspielen, also auch etwas davon haben «. Dasf indem an etwa bei Arbeitslos­e ngeldempfä­ngern, die offiziell nur 165 Euro hinz u verdienen dürfen, bei Leuten in Privatinso­lvenz, die beim Verdienst nicht über den zulässigen Selbstbeha­lt kommen wollen, oder bei Ausländern ohne Arbeitserl­aubnis. Doch so oder so: »Man kann als Arbeitgebe­r praktisch sicher sein, dass man über kurz oder lang geprüft wird«, so Pohlmann. Allein im Bereich des Hauptzolla­mtes Erfurt führe man jährlich gut 2000 Prüfungen sowie 18000 Personen befragunge­n durch.

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