Paukenschlag im Bahntower
Führungskrise bei der Bahn nach überraschendem Rücktritt von Chef Rüdiger Grube
»Grube hat das Kerngeschäft, den inländischen Schienenverkehr, ausbluten lassen« Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) freute sich darauf, mit Bahnchef Rüdiger Grube »in den nächsten Jahren noch viele gemeinsame Termine machen zu können«. Diese Aussage von vor wenigen Tagen wurde am Montag von der Realität eingeholt: Grube trat zurück. Um gemeinsame Termine muss sich Dobrindt also keine Gedanken mehr machen – wohl aber um die Zukunft der Bahn. Monika Lege, Verkehrsreferentin beim Umweltverband Robin Wood
Eigentlich sollte der Vertrag des Bahnchefs verlängert werden – doch Grube selbst löste ihn am Montag auf. Nun drohen dem Konzern neue Probleme. Es war ein Paukenschlag. Wie ein Lauffeuer machte die Nachricht vom Rücktritt des Bahnchefs Montagmittag die Runde. Er habe den Aufsichtsrat der Deutschen Bahn AG (DB) gebeten, »mit sofortiger Wirkung seine Bestellung zum DB-Vorstandsvorsitzenden aufzuheben und seinen laufenden Vertrag durch eine Auflösungsvereinbarung zu beenden«, ließ Rüdiger Grube die Öffentlichkeit wissen. Seinen Arbeitsplatz im Berliner Bahntower wollte der 65-Jährige sofort räumen. Grube hatte im Frühjahr 2009 den Chefposten übernommen, nachdem sein Vorgänger Hartmut Mehdorn wegen eines Datenskandals vorzeitig abtreten musste.
Damit nahm die Sondersitzung des Aufsichtsrats der DB eine für alle Beobachter und wohl auch die meisten Akteure hinter den Kulissen völlig überraschende Wendung. Ein zentraler Tagesordnungspunkt war die von Grube gewünschte Verlängerung seines Ende 2017 auslaufenden Anstellungsvertrags um drei Jahre. Dazu waren Medienberichten zufolge die Aufsichtsräte nach längerem Tauziehen bereit, nachdem sich wochenlang Spekulationen über eine auf zwei Jahre verkürzte Frist gehalten hatten. Grube habe im Gegenzug auf eine Gehaltserhöhung verzichtet, besagen Meldungen. Dass im Aufsichtsrat dann doch nur von zwei Jahren Verlängerung die Rede gewesen sein soll, habe Grube derart erzürnt, dass er kurzentschlossen die Brocken hinwarf, so eine gängige Mutmaßung.
Im 20-köpfigen Aufsichtsrat der DB sitzen jeweils zehn Vertreter des Eigentümers Bund und der Beschäftig- tenseite. Obwohl in deutschen Aufsichtsräten die meisten Entscheidungen nach Abstimmung einvernehmlich getroffen werden, war es bei der DB dem Vernehmen nach in den vergangenen Monaten zunehmend zu längeren kontroversen Aussprachen gekommen. So stießen zeitweilige Pläne Grubes zur Teilprivatisierung der DB-Auslandstöchter DB Arriva und DB Schenker auf massive Kritik und wurden vorerst ad acta gelegt.
»Offenbar sind die Regierenden unheilbar traumatisiert von den Börsenplänen, die einst Hartmut Mehdorn vorangetrieben hat«, hatte die »Frankfurter Allgemeine Zeitung« im Herbst den Rückzieher kritisiert: »All die schönen, teuer bezahlten Börsenpläne sind jedenfalls für die Katz, in den Papierkorb befördert von einer Regierung aus hysterischer Angst vor dem Volk, gefangen in dem Gedanken, es drohe ein Aufstand aller Bahnfahrer, wenn die auch nur aus der Ferne das Teufelswort ›Börse‹ hören«.
Der Unmut, der sich gerade auch in Regierungskreisen über die anhaltende Krise des Konzerns angestaut hatte, machte sich auch an anderen »Baustellen« fest. So an den »roten Zahlen« in der Konzernbilanz 2015 oder dem unzulänglichen Zustand der Infrastruktur. Unbehagen und Kopfschmerzen bereiten vielen hinter vor- gehaltener Hand die ausufernden Kosten für das umstrittene Megaprojekt Stuttgart 21. Viele Kritiker haben die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass »S21« doch noch scheitert, was für DB und Regierung ein gewaltiger Imageverlust wäre.
Dauerbrennpunkt bleibt die Krise bei der Güterverkehrstochter DB Cargo. Hier war zwischen 2008 und 2016 der Marktanteil am bundesweiten Schienengüterverkehr von 79 auf 56 Prozent gesunken. Gewerkschafter und Betriebsräte bemängeln, dass schwerwiegende Managementfehler und ein rasanter Wechsel von Führungskräften die Krise vertieft hätten. Statt Schrumpfkurs und weiterem Rückzug aus der Fläche fordern sie ein »Wachstumskonzept«.
Grubes Rücktritt wirft die Frage nach der Nachfolge auf. Viele Beobachter hatten vermutet, dass Grube bis 2020 in Absprache mit der Regierung hierfür das für Bahninfrastruktur, Wirtschaft, Recht und Regulierung zuständige Vorstandsmitglied Roland Pofalla aufbauen werde. Der 57-jährige Jurist ist seit geraumer Zeit als »Kronprinz« im Gespräch. Anders als die meisten Führungskräfte der alten Staatsbahn hat er den Schienenverkehr nicht von der Pike auf gelernt und bringt keinen naturwissenschaftlichtechnischen Hintergrund mit. Damit passt er gut in das auf Rendite getrimmte Bahnmanagement, wo schon längst Juristen und Betriebswirte das Regiment übernommen haben und sich viele Eisenbahner und Techniker an den Rand gedrängt sehen.
Der Aufsichtsrat werde »zeitnah über eine Nachfolge entscheiden«, teilte die DB-Pressestelle mit. Als kommissarischer DB-Konzernchef amtiert ab sofort Finanzvorstand Richard Lutz. Der gelernte Betriebswirt ist seit der formalen Privatisierung 1994 für die DB tätig und hat sich in der Finanzabteilung hochgearbeitet.
»Rüdiger Grube war nach Mehdorn der Richtige, um die Deutsche Bahn wieder zur Ruhe zu bringen«, sagt Martin Burkert (SPD), Vorsitzender des Verkehrsausschusses im Bundestag und Vorstandsmitglied der Bahngewerkschaft EVG. Auch in anderen »Nachrufen« ist von Grubes vermeintlichen »Verdiensten« um den Konzern die Rede. Demgegenüber trauern ihm die Privatisierungskritiker von »Bahn für Alle« keine Träne nach: »Grube hat das Kerngeschäft, den inländischen Schienenverkehr, ausbluten lassen«, bilanziert Monika Lege, Verkehrsreferentin beim Umweltverband Robin Wood, im Namen von »Bahn für Alle« die zurückliegenden acht Jahre. Das Bündnis vermutet, dass es bei Grubes Abgang nicht nur um das Managersalär ging: »Stuttgart 21 steht auf der Kippe«, heißt es. »Pofalla kann auf keinen Fall Nachfolger von Grube werden, denn er hat noch als Kanzleramtsminister persönlich auf den DB-Aufsichtsrat Druck ausgeübt, weitere Milliarden für Stuttgart 21 zu genehmigen«, so Bündnissprecher Bernhard Knierim. »An die Spitze der DB gehört wieder eine Person mit echtem Eisenbahnsachverstand. Und diese Person muss als erste Amtshandlung Stuttgart 21 stoppen, um weiteren Schaden von der Bahn abzuwenden«, verlangt die Abgeordnete Sabine Leidig (LINKE).