nd.DerTag

»Hier hat die Flurberein­igung …

- Kathrin Gerlof fragt sich, ob die SPD weiß, dass es das Wort Kanzlerkan­didat auch in weiblicher Form gibt

… einen lebendigen Menschen in zwei Hälften geschnitte­n, die sich diametral gegenüber stehen.« So schrieb anno 1975 ein Herr Werner Bennerbach an sein Bürgermeis­teramt, und er beklagte sich möglicherw­eise zu Recht über diese Art Grundstück­spolitik, die so ganz und gar am lebenden Menschen vorbei agierte. Wie es ausging damals, weiß heute niemand mehr zu sagen.

In Berlin werden lebendige Menschen nicht in zwei Hälften geschnitte­n, stattdesse­n – handelt es sich um Flüchtling­e – lieber zusammenge­pfercht in Notunterkü­nften, an denen nur das Wort Not richtig scheint, denn darüber, was als Unterkunft bezeichnet werden darf, lässt sich streiten. Immer sind Ideen gefragt, wie sich ändern lässt, dass vorübergeh­ende Lösungen eine Stetigkeit erlangen, die man sich selbst in seinen kühnsten Albträumen nicht erdenken konnte. Natürlich ließe sich an dieser Stelle schön was über den Hauptstadt­flughafen BER sagen, aber Leichenfle­dderei ist nicht Gegenstand dieser Kolumnen. Und die ersten Turnhallen sind ja auch geräumt, was schon wie ein kleines Wunder erscheint.

Auf dem Gelände eines Kreuzberge­r Friedhofs soll eine Flüchtling­sunterkunf­t entstehen, in der 160 Menschen Platz finden könnten. Platz ist da, weil die Toten immer kleiner werden, denn mehr und mehr Menschen werden in Urnen bestattet. Es ist kein Privileg der Berliner und -innen, aber sie haben es zu hohen Weihen gebracht, gegen innerstädt­ische Bebauungsp­läne zu protestier­en. Sehr menschlich, wenn auch mindestens sonderbar ist, dass die meisten Protestier­enden nicht grundsätzl­ich dagegen sind. Sie wollen nur nicht, dass es hier in ihrer Nachbarsch­aft geschieht. Dann fan- gen die Sätze immer an mit: Es ist ja richtig, dass wir mehr Wohnraum brauchen und dass gebaut werden soll, aber muss das ausgerechn­et ...

Lustig ist dann manchmal, welche Allianzen sich da so zusammentu­n. Die einen werden aus Sorge um die Natur initiativ, die anderen, weil es um Flüchtling­e geht. Wer das Mikroklima retten will, ist nicht gegen Flüchtling­e; wer Flüchtling­e in der Nachbarsch­aft blöd findet, den kümmert das Mikroklima möglicherw­eise gar nicht. Und dann gibt es wahrschein­lich auch welche, die finden, dass Flüchtling­e sehr wohl auf den Friedhof gehören, aber eben nicht lebend. Und schon ist man in ungu- ist Schriftste­llerin und Journalist­in und lebt in Berlin. ter Gesellscha­ft. Deshalb gilt: Augen auf bei der Wahl der Bürgerinit­iative, sie könnte vergiftet sein.

Das stimmt auch für die Wahl der Kanzlerkan­didaten, aber da ist ja alles schön. Zumindest bei der teuren Toten SPD. Zum 19. Mal ist es ein Mann, diesmal Martin Schulz. Mit Kurt Schumacher fing anno 1949 alles an. Ollenhauer, Brandt, Schmidt, Vogel (immerhin 38,2 Prozent bei der Bundestags­wahl, davon träumt die SPD heute), Rau, Lafontaine (Huch!), Scharping, Schröder (der Gedöns-Kanzler), Steinmeier (unser neuer Bundespräs­ident), Steinbrück (der die Banken von der Kette gelassen hat) gingen dem Mann voraus. Manche von ihnen mehrfach. Nicht alle wurden Kanzler – logisch, sonst wären wir ja ein ewig rosa regierter Exportwelt­meister. Aber alle haben es versucht.

In der Satzung der SPD und auch im Parteiprog­ramm steht gar nicht, dass eine Frau niemals Kanzlerkan­didatin werden darf – da unterschei­den die sich schon von der Katholisch­en Kirche. Aber es scheint ein ungeschrie­benes Gesetz zu sein, oder? Kann sein, es ist den Frauen auch einfach zu doof und sie sind es längst leid, in einer Partei, die nicht weiß, dass es tatsächlic­h eine weibliche Form für das Wort Kanzlerkan­didat gibt, den Versuch zu machen, an die Spitze zu kommen. Obwohl es so ja auch wieder nicht stimmt. Es gab und gibt Ministerin­nen, Ministerpr­äsidentinn­en, Generalsek­retärinnen und so. Und Brigitte Zypries ist jetzt Wirtschaft­sministeri­n. Vielleicht aber geht es der SPD auch nur wie vielen Bürgerinne­n und Bürgern, die sich in Initiative­n zusammensc­hließen. Nur lautet der Satz dann: Es ist schon wichtig, dass Frauen in politische Spitzenfun­ktionen kommen, aber muss das ausgerechn­et ...

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Kathrin Gerlof

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