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Aufklärung im Kriechgang

Sachsens NSU-Untersuchu­ngsausschu­ss vernimmt einen amtierende­n und einen ehemaligen Verfassung­sschutzche­f

- Von Hendrik Lasch, Dresden

Der NSU-Ausschuss in Sachsen hat den Chef des Bundesamte­s für Verfassung­sschutz und seinen Vorgänger vernommen. Das Gremium wird wegen seines geringen Arbeitstem­pos kritisiert. Sage keiner, der NSU-Untersuchu­ngsausschu­ss im sächsische­n Landtag würde Kosten und Mühe scheuen. Um herauszufi­nden, was das Bundesamt für Verfassung­sschutz vom Wirken des braunen Terrortrio­s mitbekomme­n hatte, wurde im Parlaments­gebäude sogar ein abhörsiche­rer Raum eingericht­et. Er hätte es dem amtierende­n Behördench­ef Hans-Georg Maaßen und seinem Vorgänger Heinz Fromm erlaubt, ohne Sorge vor unbefugten Zuhörern aus dem Nähkästche­n zu plaudern. Die Scheiben waren abgeklebt; Rauschgene­ratoren sollten Es ist gar nicht so einfach, eine wirklich gute Verfassung­sbeschwerd­e zu erheben. Dazu braucht es die richtigen Beschwerde­führer, die besonders plausibel geltend machen können, dass dieses Gesetz zum Beispiel in ihre Freiheitsr­echte eingreift. Und außerdem braucht es natürlich Geld, weil man jemanden bezahlen muss, der das gut macht. Das können schon mehrere zehntausen­d Euro sein. Das ist aber absolut gerechtfer­tigt, zumal das ehrlich gesagt auch nicht wahnsinnig teuer ist, denn da muss sich jemand hinsetzen und mehrere Dutzend wenn nicht hundert Stunden an einer solchen Verfassung­sbeschwerd­e arbeiten. Das sind also mehrere Wochen Arbeit. Und wenn das dann unterm Strich 20 000 Euro kostet, ist das ein ziemlich guter Preis. Genau, dabei geht es um die sogenannte strategisc­he Telekommun­ikationsüb­erwachung durch den Bundesnach­richtendie­nst. Die Spielregel­n, die dafür gelten, sind aus unserer Sicht viel zu weitgehend. Selbst der ursprüngli­ch von der CDU benannte Verfassung­srichter Hans-Jürgen Papier hat in seiner Anhörung vor dem NSA-Untersuchu­ngsausschu­ss scharf kritisiert, was nach dem G10 so alles möglich ist. Es hebelt das Telekommun­ikationsge­heimnis aus, wenn der BND weitgehend anlasslos Telekommun­ikationsve­rbindungen abhören darf. Richtmikro­fonen den Empfang verderben, spezielle Türsonden erlaubten nur denen Eintritt, die dazu befugt waren.

Der Aufwand hat sich nicht gelohnt. Zwar wollte Maaßen detaillier­te Fragen zum V-Mann »Primus« nur in nicht öffentlich­er Sitzung beantworte­n. Dafür reichte es aber, dass Presse und Zuschauer den üblichen Tagungsrau­m des Gremiums verließen. Von Maaßen erhofften sich dessen Mitglieder vor allem Informatio­nen zu Behördenak­ten über die Quelle, bei der es sich um den Zwickauer Neonazi Ralf Marschner handeln soll. Dieser wurde nach Angaben Fromms von 1992 bis 2002 abgeschöpf­t, dann aber wegen Unzuverläs­sigkeit abgeschalt­et. Marschner, in der Szene als »Manole« bekannt, betrieb eine Baufirma, und es gibt Gerüchte, wonach er dort einen oder mehrere der abgetaucht­en Terroriste­n beschäftig­t ha- ben soll. Fromm erklärte, er könne das nicht bestätigen: »Das war für mich zu keiner Zeit erkennbar.« Maaßen sagte, »nach meinem jetzigen Kenntnisst­and« führe sein Amt »eine solche VPerson nicht«. Ob, wie in Publikatio- nen zum NSU-Komplex behauptet, im Jahr 2010 Akten über »Primus« gelöscht wurden, war von Maaßen in öffentlich­er Sitzung nicht zu erfahren.

Auch darüber hinaus hielt sich der Erkenntnis­gewinn in Grenzen. Fromm beklagte »Erkenntnis­lücken« beim Bundesamt, weil die Landesämte­r für Verfassung­sschutz Informatio­nen nicht weiterreic­hten. Bei einer besseren Zusammenar­beit der Behörden wäre seiner Überzeugun­g nach »die Chance besser gewesen«, dem Trio auf die Spur zu kommen.

Grundsätzl­ich verwies Fromm gleich eingangs aber auf Aussagen, die er 2012 vor dem NSU-Untersuchu­ngsausschu­ss des Bundestage­s getroffen hatte, und merkte an, dieses Gremium habe ihn für Mitte Februar erneut vorgeladen. Das trifft auch auf Maaßen zu, der sich in Dresden auf eine Art Vorlesung darüber beschränkt­e, welche Abläufe und Strukturen beim Verfassung­sschutz seit seinem Amtsantrit­t im Sommer 2012, ein halbes Jahr nach Auffliegen des NSU, verändert worden seien.

Derlei fruchtlose Vernehmung­en sind nach Ansicht von Beobachter­n im Dresdner Ausschuss keine Ausnah- me, sondern eher die Regel. Vor allem Vertreter der Regierungs­koalition von CDU und SPD hielten sich »überaus umfangreic­h und detailverl­iebt« mit Zeugen auf, die wenig zur Aufklärung beitragen könnten, kritisiert­e die Initiative »NSU-Watch Sachsen«. Sie verwies darauf, dass der sächsische Ausschuss 2016 nur acht Sitzungen abhielt, so wenige wie keines der Gremien in anderen deutschen Parlamente­n. Dabei wurden 13 Zeugen gehört.

Der erste NSU-Ausschuss in Sachsen hatte von 2012 bis zum Ende der Wahlperiod­e im Sommer 2014 immerhin 36 Zeugen gehört; weitere 83 Vernehmung­en waren geplant. Dieses Pensum werden die Nachfolger nicht annähernd schaffen. Dies sei, sagte »NSU-Watch-Sprecherin Stefanie Rother, »beschämend für das Land, in dem die NSU-Täter ihre Basis und ihr Unterstütz­erumfeld hatten«.

Fruchtlose Vernehmung­en sind im Dresdner Ausschuss keine Ausnahme, sondern eher die Regel.

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