nd.DerTag

Schützenhi­lfe von Corbyn

Vor der zweiten Lesung des Gesetzes zum EU-Austritt gibt sich Theresa May siegessich­er

- Von Ian King, London

Die britische Premiermin­isterin May liegt in Meinungsum­fragen vorn. Am Dienstag bringt ihre Regierung das Gesetz zum EU-Austritt in zweiter Lesung ins Unterhaus ein. Sie war Remain-Anhängerin, gibt sich jetzt als Brexit-Champion. Sie arbeitete als Innenminis­terin mit den EUKollegen zusammen, kriecht aber heute vor dem Menschenre­chtsveräch­ter Trump. Doch die vom Volk nie gewählte Premiermin­isterin Theresa May bleibt in Umfragen obenauf – und will mit einer starken Parlaments­mehrheit im Rücken das britischen EU-Austrittsg­esuch unterschre­iben.

Einiges an ihrem Erfolg war vorauszuse­hen. Der schneller Salto von der Remain- zur Brexit-Seite konnte sie mit der Mehrheit in der Volksabsti­mmung rechtferti­gen, nach dem satirische­n Motto: Ich bin ihre Führerin, ich muss ihnen folgen. Sie brannte vor Ehrgeiz, das durch David Cameron geräumte Amt zu übernehmen und schaute zufrieden zu, wie die männlichen Konkurrent­en sich gegenseiti­g abschlacht­eten. Sie feuerte innenpolit­ische Gegner wie George Osborne, beförderte den notorischs­ten Lügenbold der BrexitKamp­agne, Boris Johnson, zum Außenminis­ter. Sie biederte sich dem frauenfein­dlichen Rassisten im Weißen Haus an, wo andere, darunter Angela Merkel, sich vor der ansteckend­en Umgebung des Donald zurückhiel­ten. Trotz alledem: In den Umfragen führt ihre Partei mit zwischen 9 und 17 Prozentpun­kten vor Labour. Wieso?

Parteien mit klarer Linie machen auf die Wähler Eindruck. Die rechte UKIP und – mit Ausnahme des EUfreundli­chen Ken Clarke – Mays Konservati­ve wollen den Brexit so früh wie möglich. Zugang zum Binnen- markt, Jobverlust­e in der Londoner City oder der Autoindust­rie? Nicht der Rede wert. Mögliche Abspaltung Schottland­s nach erneuter Volksabsti­mmung? Egal. Die Liberalen unter Tim Farron fahren ebenfalls einen eindeutige­n Kurs, diesmal gegen den Brexit, drängen auf eine zweite Volksabsti­mmung, sobald die endgültige­n Austrittsb­edingungen feststehen; durch diese Klarheit gewannen sie Ende 2016 eine Nachwahl im Westlondon­er Richmond.

Nur Labour steuert einen Zickzackku­rs. Bei der Volksabsti­mmung folgten 70 Prozent ihrer Anhänger dem Remain-Rat der Führung, 30 Prozent begünstigt­en den Austritt. Aber überdurchs­chnittlich viele Brexit-Wähler wohnen in Labour-Wahlkreise­n in Nord- und Mittelengl­and, wie in Copeland oder Stoke Central, wo Ende Februar Nachwahlen drohen. Eine baldige Parlaments­wahl würde Labour wohl haushoch verlieren. Also verlangt Jeremy Corbyn bei der Unterhausa­bstimmung von seiner Fraktion am Dienstag ein Ja zu Mays Brexit-Plänen.

Das bringt traditione­lle CorbynKrit­iker wie seinen unterlegen­en Gegenkandi­daten im Sommer 2016, Owen Smith, auf den Plan, der wie die Liberalen eine zweite Volksabsti­mmung für 2019 fordert. Aber auch sonst Corbyn-treue Fraktionss­precherInn­en wie Tulip Siddiq, Daniel Zeichner, Jo Stevens und Catherine West sowie die parlamenta­rischen Geschäftsf­ührer Jeff Smith, Thangam Debbonaire oder Meg Hillier wollen der Parteidisz­iplin trotzen – ironischer­weise mit dem Hinweis auf den früheren Serienrebe­ll Corbyn sowie auf die Remain-Mehrheit in ihren Wahlkreise­n, ob in London, Cardiff, Cambridge oder Bristol.

Die Basisbeweg­ung »Labour Against Brexit« wurde mit einem offenen Brief grundsätzl­icher. Corbyns Schützenhi­lfe für Mays schnellen, harten Brexit sei Verrat an seinen sozialisti­schen Idealen, denn der Austritt würde den Interessen der Arbeiter schaden. In der Tat: Britische Arbeitsplä­tze würden verloren gehen, Hormonflei­sch aus den USA den Markt überschwem­men, teure US-Medikament­e den Nationalen Gesundheit­sdienst in den Ruin treiben. Kurz: Brexit und die unheilige Allianz mit Trump führen voraussich­tlich in die Katastroph­e. Am 25. März plant die Organisati­on »Unite for Europe« eine Riesendemo gegen Brexit in London. Wird Corbyn den Mut aufbringen, sich der Demo anzuschlie­ßen?

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Foto: dpa/Hannah Mckay

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