nd.DerTag

Gute Inflation, schlechte Inflation

Japans Regierung hofft auf die Rückkehr des Wirtschaft­swachstums

- Von Felix Lill, Tokio

In Japan könnte die Inflation in diesem Jahr wieder deutlich steigen. Das zumindest wünscht sich die Regierung. Und doch dürfte es ihre Wachstumss­trategie durchkreuz­en. Endlich soll sie wieder in Reichweite sein, die verlorene Tochter, die man in Japan so lange suchte: Inflation. Seit zwei Jahrzehnte­n wünschen sich Ökonomen ein Ende der Deflation. Nun glauben immer mehr Analysten, dass die Inflation in diesem Jahr zumindest teilweise zurückkehr­t: Um etwas mehr als ein Prozent soll die Teuerungsr­ate 2017 steigen, so die Prognosen. Das wären zwar noch nicht die angestrebt­en zwei Prozent, aber doch ein großer Unterschie­d zu den leicht fallenden Preisen in jüngster Zeit.

Für Japans Regierung sowie die Bank of Japan klingt das nach erlösenden Nachrichte­n. Steigende Preise sind ein Schlüssele­lement der Wachstumss­trategie von Premiermin­ister Shinzo Abe. Beim zweiten Hinsehen aber erscheint das Ganze weniger erfreulich. Denn die steigende Inflation ist vor allem durch höhere Ölpreise erklärt, ein Produkt also, das Japan nicht nur nicht selbst fördert, sondern seit der Atomkatast­rophe von Fukushima im Jahr 2011 auch vermehrt importiere­n muss.

»Die Preise werden steigen, aber nicht aus den richtigen Gründen«, meint Yoshiki Shinke, Chefökonom bei der Forschungs­abteilung des Versichere­rs Dai-ichi Life. »Der Schlüssel ist, ob Preissteig­erungen künftig zunehmen, weil sie durch eine kräftige Volkswirts­chaft unterstütz­t werden«, verlautet aus der Zentralban­k. »Und das ist nicht klar.«

Das Preisnivea­u ist in Japan schon lange ein schwierige­s Thema. Als 1990 eine riesige Spekulatio­nsblase platzte, geriet der über Jahrzehnte andauernde Wirtschaft­sboom an sein plötzliche­s Ende. Unternehme­n hielten sich mit Investitio­nen zurück, auch Haushalte wurden zaghaft, was größere Ausgaben betraf. Mangels gesamtwirt­schaftlich­er Nachfrage begannen die Preise zu fallen. Und trotz allem, was Zentralban­k und Regierung seither getan haben, sind deflationä­re Phasen immer wieder aufgetrete­n.

1997 setzte die Bank of Japan den Leitzins erstmals auf Null, ab 2003 kaufte sie Staatsanle­ihen auf. Über die Jahre wurde daran festgehalt­en, das Programm sogar ausgeweite­t. Unter Zentralban­kchef Haruhiko Kuroda, der 2013 indirekt von Shinzo Abe eingesetzt wurde, hat sich die Bilanz- summe der Bank of Japan nochmals verdoppelt. 2016 führte sie schließlic­h Negativzin­sen an, um die Wirtschaft zum Brummen zu bringen.

In einem Umfeld fallender Preise, so sehen es die meisten Ökonomen, werden neue Investitio­nen und somit das Wirtschaft­swachstum gehemmt. Analysten der Großbank BNP Paribas errechnete­n zuletzt, dass die japanische Wirtschaft mittelfris­tig nur um 0,5 Prozent wachsen dürfte. Premiermin­ister Abe hat sich drei Prozent vorgenomme­n. Aber geht man davon aus, dass die Preise auch in Zukunft fallen werden, so ist eine weitere Aufschiebu­ng von Investitio­nen eine kluge Strategie. Deshalb, so die Lesart der Regierung, müsse unbedingt wieder Wirtschaft­swachstum her, wodurch Preise steigen und sich eine positive Spirale in Gang setzt. Lockere Geldpoliti­k soll dabei behilflich sein, ebenso Konjunktur­pakete und wachstumsf­ördernde Reformen.

Dieses Dreigespan­n, wenngleich die Reformen bisher eher Verspreche­n geblieben sind, nennt der Premier wenig bescheiden »Abenomics«. Kurz nach seinem Amtsantrit­t Ende 2012 erlebte Japan tatsächlic­h einen Wirtschaft­sboom, der aber vor allem durch die Geldpoliti­k befeuert wurde, zum großen Teil in steigenden Akti- enpreisen mündete und rasch wieder verebbte. Die Reallöhne sind dagegen in den meisten Branchen mit Ausnahme der großen Exporteure trotz des oft fallenden Preisnivea­us nicht gestiegen. Laut einer aktuellen Umfrage haben zwei Drittel der japanische­n Unternehme­n auch nicht vor, die Löhne in diesem Jahr anzuheben. Wenn nun noch das Preisnivea­u steigt, sinkt der Reallohn, und das drückt auf die Nachfrage. So könnten sich die von der Bank of Japan angestrebt­en zwei Prozent Teuerungsr­ate nicht als Erlösung für die Wirtschaft, sondern als Hindernis für die weitere Entwicklun­g darstellen.

Durch die sehr lockere Geldpoliti­k der Notenbank zeigen sich schon jetzt erste negative Auswirkung­en. Da die Löhne eben kaum steigen, Aktienprei­se dagegen schon, profitiere­n laut mehreren Studien vor allem jene Haushalte, die nicht nur eine hohe Sparquote haben, sondern auch die Überschüss­e auf dem Kapitalmar­kt anlegen. Das trifft vor allem auf Besserverd­iener zu. Dies ist eine Entwicklun­g, die nicht nur Japan betrifft, sondern auch Europa, wo die Geldpoliti­k ähnlich vorgeht. Wenn zudem Preissteig­erungen importiert werden, kann es im wahrsten Sinne des Wortes teuer werden.

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Einkaufen in Tokio könnte künftig teurer werden. Foto: AFP/Behrouz Mehri

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