Auslandseinsatz statt Arbeitsalltag
Das Entwicklungsministerium schafft einen Freiwilligendienst für über 30-Jährige aus dem Berufsleben
Bislang gab es Freiwilligenprogramme in der Entwicklungszusammenarbeit nur für Jugendliche und Ruheständler. Mit dem neuen »Weltdienst 30+« soll sich das ändern. Sie hatten einen falschen Knopf gedrückt, und nichts funktionierte mehr: Vier Schwestern im Jemen wollten sich mit einem Frauen-Fotostudio in der Hauptstadt Sanaa eine Existenz aufbauen. Doch mit der modernen Technik kamen sie nicht zurecht. Schließlich wandten sie sich an den Senioren Experten Service (SES) in Bonn.
Die Organisation entsendet pensionierte Fachleute zu ehrenamtlichen Einsätzen in Schwellen- und Entwicklungsländer. Doch in diesem Fall war kein Ruheständler zu finden, der sich mit der modernen Fototechnik auskannte. Stattdessen sprang die Fotografin Ute Grabowsky ein.
Die Mitinhaberin einer Bildagentur hatte durch Zufall von der Expertensuche des SES erfahren und spontan beschlossen: »Das mache ich.« Sie nahm sich vier Wochen frei und machte mit den vier Frauen im Jemen einen Crash-Kurs in Fotografie. Berufstätige wie Ute Grabowsky waren bislang bei staatlich geförderten Freiwilligeneinsätzen in Schwellen- oder Entwicklungsländern eine Ausnahme. Für junge Erwachsene bis 28 Jahre gibt es den Freiwilligendienst »weltwärts«. Und der SES vermittelt rüstige Ruheständler mit Fachwissen an Betriebe in ärmeren Ländern.
Mit dem neuen Programm »Weltdienst 30+« will das Entwicklungsministerium nun erstmals auch Berufstätige mittleren Alters für Einsätze im Ausland gewinnen. Diese sollen im Urlaub oder in einem Sabbatjahr ihr Fachwissen im Ausland vermitteln. Dass es auch bei diesen Menschen ein Interesse an solchen Einsätzen gibt, erfährt der SES seit Jahren. Rund 200 sind bereits bei der Organisation registriert.
»Es gibt immer mehr Menschen, die berufliche Auszeiten nehmen«, erklärt Heike Nasdala vom SES, der sich an dem neuen »Weltdienst 30+« Fotografin Ute Grabowsky beteiligt. Für die 54-jährige Fotografin Grabowsky war es der Wunsch, »in die Welt hinauszugehen«, der sie zu ihrem Einsatz motivierte. »Außerdem war es auch die Freude, Wissen weiterzugeben.«
Ebenso wie im »Weltdienst 30+« vorgesehen, war der Einsatz auch für Grabowsky kostenfrei. Das sei nicht selbstverständlich, sagt SES-Mitar- beiterin Nasdala. Denn es gebe bereits eine Reihe Anbieter für Hilfseinsätze im Ausland, bei denen Berufstätige teilweise mehrere Tausend Euro für ihren Aufenthalt zahlen müssten. Der »Weltdienst 30+«, der mindestens vier Wochen und maximal sechs Monate dauert, wird hingegen mit Mitteln des Entwicklungsministeriums gefördert. Für die Unterbringung der Experten sind wie auch bei den Senioren-Programmen in der Regel die Betriebe vor Ort zuständig.
Grabowsky wohnte bei der Familie der vier jemenitischen Schwestern. Die Fotografin sah das als Vorteil: »Nie lernt man die Welt so gut kennen, als wenn man sozial eingebunden ist.« Menschen, die sich auf einen solchen Dienst einließen, müssten jedoch sehr offen und tolerant sein, sagt sie. Einsätze wie im Jemen bedeuteten, sich auf eine völlig fremde Welt einzulassen.
Für Grabowsky hieß das, dass sie sich als Frau in dem arabischen Land nicht frei bewegen konnte, auch wegen der angespannten Sicherheitslage. »Ich fühlte mich in diesen vier Wochen teilweise auch kaserniert in meiner kleinen Frauenwelt.« Aufgewogen worden sei das aber durch die intensive Zusammenarbeit mit den vier Frauen.
Grabowsky hat in dem Bewusstsein gearbeitet: »Wenn ich das hier jetzt nicht tue, gibt es für die Frauen keine andere Möglichkeit.« Nach ihrem ersten Aufenthalt 2010 reiste die Fotografin ein Jahr später erneut in den Jemen. Die vier Frauen hatten ihr Fotostudio dank der Hilfe bereits vergrößern können.
Grabowsky möchte die Erfahrung nicht mehr missen: »Etwas Sinnvolles für andere Menschen zu tun und etwas bewegen zu können, war für mich bereichernd.« Sie findet es sinnvoll, Freiwilligendienste auch für Berufstätige zu öffnen. Das Fachwissen ändere sich manchmal schnell, so dass Ruheständler nicht immer noch auf der Höhe der Zeit seien.
»Wenn ich das hier jetzt nicht tue, gibt es für die Frauen keine andere Möglichkeit.«