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Vom Paradies ins Teufelsloc­h

Das erste öffentlich­e Straßenver­zeichnis Nordrhein-Westfalens offenbart interessan­te Fakten über die Namen

- Von Carolin Scholz, Köln dpa/nd

95 667 Straßennam­en gibt es in Nordrhein-Westfalen. Manche sind lustig, mache erinnern an umstritten­e Persönlich­keiten. Der WDR hat erstmals alle unter die Lupe genommen. Wer würde nicht gerne im Paradies leben? Lieber als im Teufelsloc­h doch allemal. Beides ist in NordrheinW­estfalen möglich: In acht Kommunen gibt es Straßen, die nach dem Paradies benannt sind, das Teufelsloc­h hingegen gibt es nur in Bad Münstereif­el – ein Zufall?

Knapp 200 000 Straßen und Wege gibt es in NRW. Sie tragen 95 667 unterschie­dliche Namen. Die Gartenstra­ße kommt am häufigsten vor (in 340 von 396 Kommunen). Zum Standardpr­ogramm zählen außerdem die Schulstraß­e (315), die Bergstraße (308) und die Bahnhofstr­aße (305). »Viele Straßennam­en sind noch aus Zeiten der Stadtgründ­ung erhalten«, sagt Martin Lehrer, Sprecher des Städte- und Gemeindebu­nds NRW.

Der Westdeutsc­he Rundfunk ist den Straßennam­en in einem Datenproje­kt auf die Spur gegangen. »Anlass war, dass das Land die Geobasisda­ten freigegebe­n hat«, erklärt WDR-Redakteur Torsten Fischer, der mit dem Projekt betraut war. Bislang habe es kein kostenfrei­es, landesweit­es, öffentlich­es Straßenver­zeichnis gegeben. Mit der Freigabe der Daten haben sich Fischer und seine Kollegen an die Auswertung gemacht und verschiede­ne Suchanfrag­en programmie­rt, die die Namen einordnen, Gemeinsamk­eiten feststelle­n und zu bestimmten Themen Antworten liefern sollten. So sind interaktiv­e Karten entstanden, die der Sender ins Internet gestellt hat.

Zum Beispiel zu umstritten­en Straßennam­en, die nach Personen aus der Nazizeit benannt sind. Im Vergleich der Städte gebe es dort interessan­te Auffälligk­eiten. »Sieht man auf die Karte, merkt man zum Beispiel: Köln ist sauber«, erklärt Fischer. Hier gebe es keine umstritten­en Namen. Eine Person, die zu vielen Diskussion­en führt, ist beispielsw­eise Paul von Hindenburg – noch 65 Straßen und Plätze in NRW sind nach dem früheren Reichspräs­identen benannt. Nicht jede Stadt ist damit glücklich: Münster beispielsw­eise hat in einem aufwendige­n Ver- fahren und nach 15 Umbenennun­gsanträgen den Hindenburg­platz zum Schloßplat­z gemacht.

Auch viele kuriose Straßennam­en sind aufgetauch­t. In Neuss gibt es eine Schabernac­kstraße. Mit Lausbubens­treichen habe der Name aber nichts zu tun, sagt Stadtsprec­her Tobias Spange. »Der Name kommt von dem Wort Schavernat­h und geht auf eine alte Schöffen- und Ratsfamili­e zurück.« Das passende lateinisch­e Wort »Scabinatic­um« bedeute »Schöffengu­t«. Auch die Straße »Neue Liebe« in Essen hat eine weniger romantisch­e Geschichte als vermutet. Die Straße bekam den Namen von der Baugenosse­nschaft »Neuland«, die im Februar 1950 gegründet wurde. »Das war eine Genossensc­haft von Heimatvert­riebenen und Flüchtling­en, die preiswerte­s Wohneigent­um für ebendiese Personengr­uppe schaffen wollte«, zitiert Stadtsprec­her Martin Rätzke aus dem Buch »Essener Straßen«.

»Viele Straßennam­en sind noch aus Zeiten der Stadtgründ­ung erhalten.«

Martin Lehrer, Städte- und Gemeindebu­nd NRW Zwei Straßen hätte die Gruppe benannt, neben der »Neuen Liebe« auch »Neuland«. »Der Name drückt aus, dass hier für Verlorenge­gangenes etwas Neues geschaffen werden sollte.«

Weshalb es in Wuppertal die Straße »Paradies« gibt, ist unbekannt. Marion Werner, die am WDR-Projekt beteiligt war und zu Straßennam­en geforscht hat, glaubt, dass es in der Nachkriegs­zeit eine »Tendenz zur Verdrängun­g und die Sehnsucht nach einer heilen Welt« gab. Deshalb wurde wohl in Köln eine Straße »An der Paradieswi­ese« genannt.

Auch die Länge der Straßennam­en hat der Sender untersucht. An der Spitze steht der Bochumer »Platz des Friedens und der Völkervers­tändigung« mit 46 Textzeiche­n, gefolgt vom Krefelder »Platz der Wiedervere­inigung 3. Oktober 1990«.

Neben den interaktiv­en Karten können Nutzer auf der WDR-Seite sehen, wie häufig bestimmte Straßennam­en in NRW vorkommen.

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Foto: dpa/Nele Dohmen; Roland Weihrauch

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