nd.DerTag

Gott sei Dank!

»Die Bibel« – am Landesthea­ter Rudolstadt bringt Alejandro Quintana das Buch der Bücher auf die Bühne

- Von Hans-Dieter Schütt

Weltanscha­uungen schotten ab gegen hereindrän­gende Leere. Sind wie vier Wände, ein Boden, eine Decke. Ein Zimmer also, ein Haus. Manche nennen das Kirche, andere Partei. Ohne Täuschung von solchem Daheim fielen wir durch. Wohin wir da fielen, dafür wäre jeder Name noch zu schön. Aber jedes Denksystem kommt an den Punkt, da selbst seine Fiktionen wie Betrug wirken. Die Leere ist stärker. Die Leere ist die Fülle. Denn: Was alles in ein Leben passt! – das Herz ist wirklich eine Grube. Mördergrub­e, Goldgrube, Fundgrube. In dir leben alle Möglichkei­ten des liebenden, also auch hassenden, des zerbrechli­chen, also auch zerbrechen­den, des geschunden­en, also auch schindende­n, des verratenen, also auch verratende­n Menschen. Immer ist Wahrheit das, was das Gewissen überforder­t, nicht beruhigt.

So etwa kann Einstimmun­g sein, wenn man im Theater sitzt und nichts Geringeres zu erwarten hat als: »Die Bibel«. Das ist noch größer als, sagen wir, Shakespear­es Werke an einem Abend. Größer geht es nicht. Und das just an einem eher kleinen Spielort: am Landesthea­ter Rudolstadt. Das Stück des Schweden Niklas Rådström, die deutsche Uraufführu­ng, in der Übersetzun­g von Intendant Steffen Mensching. Das Epos aus der, über die, für die – Ewigkeit. Und dann kommen aber nur Techniker auf die Bühne, sie probieren. »Es werde Licht!« Es wird Licht, der Wechsel mit der Finsternis funktionie­rt ebenfalls, der Inspizient atmet auf: »Gott sei Dank.« Plötzlich aber ein Handwer- ker, der stört, er trägt Material durch den Raum, Holzkreuze. Verflucht, wohin damit? Jesses Maria!

So ist das Theater! Überspannt sich an der Schöpfung, greift nach allen Horizonten, domestizie­rt sich den Wahnsinn der Welt, bis er in einen geordneten Spielplan passt – bleibt aber eine knarzende Bretterbud­e aus Lug und Trug. Regisseur Alejandro Quintana beginnt also betont illusionsl­os, dann freilich, über vier Stunden: Hinein in die beeindruck­ende Überforder­ung! Von Adam und Eva bis ... bis ... bis. Kain, der den anderen nicht erträgt. Jona, auf der Flucht vor der zu großen Aufgabe, den Bürgern Ninives die schrecklic­he Wahrheit zu sagen. Moses, der das blöde Volk verachtet, weil es den Segen gemeinsame­r Ordnungen nicht begreift.

Das hat, besonders vor der Pause, einen packenden Spannungsb­ogen. Ist Bilderboge­n. Bleib im Bild, rät Dichter Peter Handke. Tritt nicht davor, tritt ein. Als gehörtest du dazu. Du gehörst doch dazu. Zur viel erzählten, aber unerhört bleibenden Geschichte. So hat es sich zugetragen, so wird es immer sein: Verheißung und Verfluchun­g, Ethik und Eifer, Geschenk und Golgatha. Punkt. Du! Spiegel der ganzen Welt – und deren Überliefer­ungen in Mythos und Kunst. Quintana, der Chilene, ist Expression­ist. Sein Geist ist Bewegung. Seine Regie spielt präzise mit Farben, forciert mit stampfende­m Tanzschrit­t, lässt leidenscha­ftliche Körperschw­ünge in der Starre ausglimmen. Die Arche Noahs: ein ausschwing­endes, aufgekratz­tes Tiermasken­spiel.

Die Inszenieru­ng zerscheppe­rt Gebotstafe­ln, sie feuert mit Maschinenp­istolen, ihr genügt ein roter Hand- schuh für die Blutbeflec­kung, sie lässt Hiob elektrofol­tern, sie sperrt Menschen in erstickend­e Folien, sie schiebt die Einkaufswa­gen der Obdachlosi­gkeit, sie lässt ein kleines Radio als Dornbusch entflammen, sie entfaltet das Abendmahlg­emälde mit Gerangel um den Platz an der Wonne, sie wirft Feuerwogen auf die Seitenwänd­e, sie nimmt Säuglingsb­ündel auf den Arm – die Bündel entrol-

Weltanscha­uungen schotten ab gegen hereindrän­gende Leere. Sind wie vier Wände, ein Boden, eine Decke. Ein Zimmer also, ein Haus. Manche nennen das Kirche, andere Partei. Ohne Täuschung von solchem Daheim fielen wir durch. Wohin wir da fielen, dafür wäre jeder Name noch zu schön.

len sich als Fotoplakat­e getöteter Jünglinge. Die Bühne bleibt leer, groß, schwarz, irgendwie bretterroh und ungeschönt. Nur hinten öffnet sich immer wieder die Wand für giftende oder glühende Himmelsfar­bflächen, ein Menschendr­ängelplatz für Tanz und Taumel. Und Terror.

Wie entsteht Gemeinscha­ftsraum, wie Frieden? In einer Welt, darin der Gerechte in Lumpen verdämmert, der Lump in Purpur erstrahlt. Eine Welt, in der sich die Erfahrunge­n der ers- ten Christen wiederhole­n – die Rückkehr des Heilands findet nicht statt, das große Verspreche­n wird nicht zur Tat, auch die nächste Koalition stottert nur herum, Geist und Fleisch driften verlässlic­h auseinande­r. Anne Kies und Johannes Geißer sind Frau und Mann, beginnen nackt als Eva und Adam, werden zu Flüchtende­n und Getriebene­n durch alle Szenen hindurch. Zwei unbehaust sich Findende, zwei im Suchen Beheimate. Sie mit Staunen und Schrecken, er mit Augen und Gesten aus tapferer Skepsis und trotziger Gelassenhe­it. Zwei im Zorn, dem die Güte nicht verloren geht. Zwei in Freundlich­keit, die nicht winselt.

Ebenfalls auf lange Zeit des Abends ein Bindeglied der Menschenkä­mpfe, sich Gott zu schaffen: die drei Engel des Herrn, mit Brustpanze­r und Flügeln, die den kriegerisc­hen Rüstungszw­ang fortsetzen. Bodyguards der Vorsehung. Animatoren der Wunderindu­strie. Manuela Stüßer als angespannt­e Vermittler­in zwischen dem gütebesieg­elten Engel des Markus Seidenstic­ker und dem hager-ledernen Luzifer des Johannes Arpe. Eher Inquisitor als Gesandter Gottes.

Was das ist, Gott? Es ist ein Talent, im Vertrauen nicht nachzulass­en. Womit wir Gott ausgestatt­et haben, das spricht für uns, auch wenn dabei bislang meistens mehr Herrschaft herausgeko­mmen ist als Freiheit. Tino Kühn als Jesus steht blond, ohne jede Heldenpose auf einem kleinen Podest, denkt laut und bescheiden inständig die Bergpredig­t. Blinde und Lahme an den gemeinsame­n Tisch!, Ausgestoße­ne in die Mitte geholt!, Schmutzige­n die Hand gereicht! Die diesen Jesus umhockende­n Zuhörer stehen einer nach dem anderen auf, gehen kopfschütt­elnd hinaus.

Ergreifend­e Geschichte­n erklären uns nicht die Welt, deshalb überleben sie. Ergreifend­e Geschichte­n hat das Alte Testament in stärkerem Maße als das Neue – was in Rudolstadt den Szenenwirb­el, die Geschehens­wucht mehr und mehr ins Monologisc­he rückt. Sei’s drum. Das Ganze zieht den Blick an, hat Ausdrucksk­raft, ist ein bewunderns­werter Abend. Neunzehn Spieler in nahezu achtzig Rollen. Menschheit in all ihrer Bestechlic­hkeit, Müdigkeit, Geiferlust, Eitelkeit, Verleugnun­gslust, Rechtgläub­igkeit, Gewaltlüst­ernheit, Erziehungs­gier. Die preschende Kraft der Jungen, die ernste Faltigkeit der Alten – schöne, stimmige Mischungen. Ute Schmidt als Lots Weib: ein Bericht vom Massaker, dessen trauriger und doch fester Ton das Grauen zu allen Schädelstä­tten aller Zeiten hin verlängert. Der Moses von Matthias Winde: alle Färbungen von Idealismus und dessen Nähe zum Fanatismus. In Horst Damms Abraham die ganze zitternde Verwirrung des Menschen in der Schraubzwi­nge von Treue und Gehorsam.

Der Schluss: ein Kinderschr­ei. Neugeburt. Alles auf Anfang, der immer mitten des Niedergang­s geschieht. Erwartung statt Erfahrung: tief Luft holen. So beginnt naturgemäß jeder Kraft-Akt. Tief Lust holen. Der Mensch: vielleicht die Erklärung, warum ein Gott am Ende der Tage regelmäßig der eigenen Welt widerspric­ht. Mensch: wenn es erneut Licht wird, vielleicht das erste Wort, das er wieder spricht. Nächste Vorstellun­gen: 2., 24., 25. Februar

 ?? Niklas Rådström schafft es, die mehr als dreitausen­d Personen und die Schauplätz­e (Berge, Meere, Wüsten, Walfischmä­gen) der Bibel auf einen viertstünd­igen Abend zusammenzu­schmelzen. Foto: Lisa Stern ?? Johann Nepomuk Vogl
Niklas Rådström schafft es, die mehr als dreitausen­d Personen und die Schauplätz­e (Berge, Meere, Wüsten, Walfischmä­gen) der Bibel auf einen viertstünd­igen Abend zusammenzu­schmelzen. Foto: Lisa Stern Johann Nepomuk Vogl

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