Morgens heller
Vom Glam-Rock über den Avantgarde-Rock zum Ambient: neue geschwindigkeitslos dahinfließende Musik von Brian Eno
ber Brian Eno zu reden, heißt über viele Brian Enos zu reden. Da wäre z. B. jener Eno, der Anfang der 70er Jahre die GlamrockBand Roxy Music verließ, anscheinend weil er genervt war vom eifersüchtigen Gehabe des Kollegen Bryan Ferry. Es folgte eine Phase, in der Eno die großen Gesten des Glamrock passagenweise in Krach zerlegte und, wie auf seinem ersten Album als Solokünstler (»Here Come the Warm Jets«, 1973), Avantgarde-Rock machte.
Nicht weniger typisch für den 1948 geborenen Briten sind, abgesehen von seiner umtriebigen Produzententätigkeit für Künstler wie David Bowie, die Talking Heads, U2 oder Coldplay, natürlich seine Ambient-Arbeiten. Eno gilt seit seinem Album »Music for Airports« von 1978 als Heiliger Vater des Nicht-Mutterbauch-Ambients. Dass einem beim Hören dieser gar nicht mal unkomplexen Klangruhe bisweilen doch der eine oder andere rosa Esoterik-Wal in den Sinn schwimmt, ist wahrscheinlich das Schicksal, das man beim Hören jeder Sorte Ambient zu ertragen hat, die keinerlei Störambitionen verfolgt, etwa indem sie zwischendurch fies knirscht oder unvermittelt losgrunzt und so den tendenziell sanften Soundfluss unterbricht. Richtig kitschig sind Enos Ambient-Arbeiten im Gegensatz zu seinen säuselig-schwebenden Varianten von Weltmusik freilich nie gewesen. Man kann das auch daran festmachen, dass es einem hier nie den Atem verschlagen hat – vor lauter klebrig-melancholischer Gelöstheit.
»Reflection« heißt nun Enos jüngste Ambient-Platte. Auch sie kommt, abgesehen von ein paar gut integrierten harmlosen Klangtupfern aus anderen Klangquellen, fast ganz ohne strukturierende Elemente wie Rhythmen aus; die Musik fließt sozusagen paradox geschwindigkeitslos dahin, ohne dass irgendwo ein Horizont, ein Anfang oder Ende vor- stellbar würde. Wüsste man nicht, dass die Platte von heute ist, könnte man sie auch Ende der 70er ansiedeln. Denn »Reflection« hätten schließlich auch Enos frühe Ambient-Arbeiten heißen können, weil damals wie heute der Welt halb zugewandte, halb abgewandte und ins scheinbar Unendliche gedehnte, behutsam modifizierte Töne aus Glas, hellem Wüstensand und Weltraum zur besonnenen (Selbst-)Reflexion einladen. Oder aber zum Tagträumen bzw. Meditieren, was dann natürlich streng genommen das Gegenteil klassischer Reflexion wäre. Eno jedenfalls nennt diese Musik nicht Ambient, sondern »Thinking Music«. Ob er damit richtig liegt, muss wahrscheinlich jeder für sich selbst entscheiden.
Sehr gegenwärtig ist indes die dazu erhältliche App, mit der sich der 54 Minuten lange Track tatsächlich ins Unendliche dehnen lässt, derweil ein Algorithmus die Harmonien der Tageszeit anpasst. Eno erklärt die Veränderungen seiner generativen Musik so: »Die Harmonie ist am Morgen heller, verwandelt sich über den Nachmittag, bis sie am Abend die ursprüngliche Tonart erreicht.« Eine schöne Idee.