Roger Federer bewegt die Massen
Mit 35 Jahren gewinnt der Schweizer Tennisprofi nach langer Zeit wieder ein Grand-Slam-Turnier und will noch lange weiterspielen
Mit frischem Körper und wachem Geist: »Einen ganz speziellen Sieg« feierte Roger Federer gegen Rafael Nadal in Melbourne. Myla und Charlene Federer, die beiden Zwillingsmädchen, konnten aufatmen. Und sie durften sich sogar ein bisschen verantwortlich fühlen für das wundersame Comeback ihres Vaters Roger. Der Kreis schloss sich in Melbourne: Vor genau einem Jahr hatte sich der Schweizer nach seinem Aus bei den Australian Open im CrownHotel das Knie verdreht, als er zu seinen damals sechsjährigen Töchtern ins Bad eilen wollte. Es folgte eine Meniskusoperation – und der 35-Jährige fasste schweren Herzens den Entschluss, seine Saison bereits im Juli 2016 zu beenden. Federer verzichtete auch auf die Olympischen Spiele in Rio und genoss das Familienleben mit seinen vier Kindern und Ehefrau Mirka. Eine goldrichtige Entscheidung, wie sich jetzt herausstellte.
»Diese Pause hat mir gut getan. Diese sechs Monate haben sich definitiv gelohnt. Sie war wichtig für Körper und Geist«, sagte derMaestro nach dem 6:4, 3:6, 6:1, 3:6, 6:3 in einem atemberaubenden Endspielklassiker gegen seinen Dauerrivalen Rafael Nadal aus Spanien. Am Morgen beim traditionellen Fotoshooting mit dem Siegerpokal fügte er hinzu: »Ich habe sie auch genommen, um noch einige Jahre spielen zu können.«
Der 18. Sieg bei einem Grand-SlamTurnier – nach viereinhalb Jahren – war für Federer eine tiefe Befriedigung. »Es ist sein bedeutendster Titel«, schrieb die »Neue Zürcher Zeitung«. Mit Prognosen für die Saison hielt sich Federer aber zurück. »Man weiß nie, was zum Beispiel in Sachen Verletzungen passiert. Ich spüre aber, dass ich noch einiges an gutem Tennis in mir habe«, sagte er und blickte voraus: »In Wimbledon habe ich die größten Möglichkeiten, auch bei den US Open stehen die Chancen gut.«
Federer stellte aber auch klar, dass es ihm nicht um die Jagd nach Re- korden gehe: »Die Zahlen sind das letzte, was mich interessiert.« Den »ganz speziellen Sieg« in Melbourne stellt er auf eine Stufe mit seinem Erfolg 2009 bei den French Open, als er nach zuvor drei verlorenen Endspielen in Paris seinen Karriereslam komplettierte. »Ich werde einige Zeit brauchen, bis ich das jetzt realisiert habe. Und dann werde ich in der Schweiz sitzen und denken: Wow!«, meinte der wohl größte Spieler aller Zeiten.
Federer selbst hatte verraten, dass er so bald nach seinem Comeback niemals mit einem Triumph in Melbourne gerechnet habe. Sein Coach Severin Lüthi allerdings hatte ihm schon am Jahresende gesagt, dass er die Australian Open gewinnen könne. Für den Schweizer Davis-Cup-Kapitän ist der 35-Jährige sowieso ein »Phänomen«. »Es ist unglaublich, wie positiv und inspiriert Roger ist«, meinte Lüthi. Und Federer bewegt noch immer die Massen wie kein zweiter Tennisprofi. Zum Training beim Hopman Cup in Perth pilgerten Ende Dezember 8000 Fans.