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Roskosmos ruft Raketen zurück

Proton-Triebwerke der zweiten und dritten Stufe werden überprüft

- Von Axel Eichholz, Moskau

Russlands Raumfahrtb­ehörde Roskosmos hat alle Triebwerke der schweren Proton-Rakete zur Überprüfun­g ins Werk zurückgeru­fen. Starts werden verschoben, wahrschein­lich auch ein Flug zur ISS. An Rückrufakt­ionen in der Automobili­ndustrie hat man sich auch in Russland längst gewöhnt. Im Raketenbau passiert solches aber zum ersten Mal. Die russische Raumfahrtb­ehörde Roskosmos hat nach dem Absturz des Raumfracht­ers Progress im Dezember angeordnet, dass alle vorhandene­n Triebwerke der zweiten und der dritten Stufe der schweren Proton-Rakete zurückgeru­fen werden. Sie sollen zum Hersteller, dem Mechanisch­en Werk Woronesch, zur Überprüfun­g eingeschic­kt werden. Ihre genaue Zahl ist nicht bekannt, Roskosmos-Sprecher Igor Burenkow spricht aber von »Dutzenden«. Alle für den Einbau in Proton- und Sojus-Raketen bereitsteh­enden Triebwerke sollen zurück zum Hersteller.

Die schwere Proton-Rakete wird bei kommerziel­len Starts im Rahmen internatio­naler Verträge, im staatliche­n Raumfahrtp­rogramm sowie im Auftrag des russischen Verteidigu­ngsministe­riums eingesetzt. Der erste Proton-Start 2017 war für Februar geplant. Nun wird daraus voraussich­tlich Juni. Hohe Entschädig­ungszahlun­gen wären unvermeidl­ich. Kein Wunder also, dass in Wo- ronesch momentan der Geheimdien­st FSB, die Staatsanwa­ltschaft und die Zentrale Ermittlung­sbehörde SKR amWerk sind. VorigeWoch­e trat der Betriebsle­iter Iwan Koptjew zurück. Sabotage scheidet jedoch als Unglücksur­sache offenbar aus.

Eine Voruntersu­chung an einem Triebwerk der zweiten Raketenstu­fe ergab bereits schwere Verstöße gegen die Vorgaben der Herstellun­gstechnolo­gie. So wurde anstelle des vorgeschri­ebenen edelmetall­haltigen Lots eine andere, weniger hitzebestä­ndige Legierung verwendet.

Als unmittelba­re Ursache wird ein Brand in der Treibstoff­pumpe vermutet. Dieser könne durch Fremdge- genstände, defekte Teile oder Schlagen des Pumpenroto­rs ausgelöst worden sein, heißt es. Die Flüssigkei­tstriebwer­ke RD-0210/0211 wurden bereits in den 60er Jahren entwickelt. Das Werk Woronesch war immer auf zahlreiche Zulieferun­gen angewiesen. Heute ist die Zahl der Zulieferer drastisch zusammenge­schrumpft, und der Triebwerkh­ersteller muss oft nach Ersatz für Originalte­ile suchen, was fatale Folge haben kann.

Diese Triebwerke werden auch in mittelschw­eren Sojus-Raketen verwendet. Bisher konnte man nicht herausfind­en, welche Einheit den Absturz im Dezember verursacht hatte. Nun drängt die Zeit. In Fachkreise­n spricht man bereits von der Verschiebu­ng des ursprüngli­ch für März geplanten Starts des US-Astronaute­n William Fisher und des russischen Kosmonaute­n Fjodor Jurtschich­in zur Raumstatio­n ISS um einenMonat. Am 21. Februar sollte das Transportr­aumschiff Progress MS-05 starten. Deshalb sollen nach Angaben der »Gazeta.ru« in beiden Fällen die dritten Raketenstu­fen komplett gegen andere ausgewechs­elt werden, die mit anderen Treibwerke­n ausgestatt­et sind.

»Weltweit ist für Raketenher­steller Qualität wichtiger, als Termine«, schreibt der Chefredakt­eur der Fachzeitsc­hrift »Neuigkeite­n der Raumfahrt«, Igor Afanassjew. Auch Präsidente­nsprecher Dmitri Peskow wiegelt ab. Man könne nicht von »lauter Pannen« sprechen. Das Raumfahrtp­rogramm werde langfristi­g geplant und bestehe aus zahlreiche­n Projekten. Viele von diesen würden durchaus erfolgreic­h abgewickel­t.

Es ist aber offensicht­lich, dass die russische Raumfahrt einen schweren Rückschlag erlitt. 2016 kam sie zum ersten Mal seit Jahrzehnte­n auf weniger als 20 Starts und blieb somit hinter Amerika und China zurück.

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Foto: imago/ITAR-TASS

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