»Mit Händen und Füßen!«
Was erwarten Sie von der Arbeit als Jury-Präsident der Berlinale? Ich hoffe, dass ich objektiv sein werde und die Mitglieder der Jury künstlerisch aufgeschlossen und fair. Ich war oft in Jurys, in denen politische Gesichtspunkte die Entscheidungen beeinflussten. Dagegen werde ich mich mit Händen und Füßen wehren, Urteile über Kunst sollten niemals politisch motiviert sein. Aber die Berlinale ist politischer als die anderen Festivals. Die Arbeit kann spannend werden. Die Retrospektive der diesjährigen Berlinale widmet sich dem Science-Fiction-Film. Eines Ihrer erfolgreichsten Werke ist »Total Recall«. Reizt es Sie, wieder einen Sci-Fi-Film zu drehen? Es ist im Moment schwer. An der Kasse funktionieren nur Spektakel wie »Star Wars«, die Handlung ist reine Fantasie. Angesichts der gesellschaftlichen Entwicklung in den USA würde es mir heute schwerfallen vorauszusagen, was in den kommenden Jahren passiert. Deshalb ist mein Gehirn kaum fähig, sich auszumalen, wie die Welt in 100 Jahren aussehen könnte. Ihr Erotik-Thriller »Elle«, ab kommender Woche in den Kinos, ist gerade in aller Munde. Was interessiert Sie an den Themen Sexualität und Gewalt? Sexualität und Gewalt bestimmen das Leben als konstruktiver und zerstörerischer Pol. Als Künstler wüsste ich nicht, wie ich diese essenziellen Themen ausklammern sollte. Ohne Sex wäre keiner von uns am Leben, und ich liebe Sex! Ich nutze ihn gerne, um Figuren zu charakterisieren. Andererseits wird das Verhalten des Menschen heute zu oft von Gewalt bestimmt. Das Kino heizt diese Stimmung mit Orgien über die Zerstörung fremder Planeten an. Ich bin kein Politiker und kein Astrologe, aber mich deprimiert, wie unsere Welt aussieht und die Zukunft aussehen könnte. Unsere Vorfahren würden sich an den Kopf fassen, wenn sie sehen müssten, wie vieles aus dem Ruder gelaufen ist. Warum nutzen sie in all Ihren Filmen religiöse Symbole und Metaphern? Ich bin Atheist wie meine Eltern, ich bin weder getauft noch gehe ich zur Kirche. Aber ich bin Fan von Jesus. Mit der Weihnachtsgeschichte habe ich mit sieben oder acht Jahren angefangen, die christliche Mythologie zu studieren. Später kamen die jüdische Religion, die Götterwelt der Griechen und Römer hinzu. Ich mag die Idee, dass die Götter des Olymp menschlichen Lastern frönen und regelmäßig zur Erde kommen. Mit Jesus änderte sich das gründlich. Es erscheint mir als irre Idee, dass Gott seinen Sohn auf die Erde schickt und er alle Sünden auf sich nimmt. Diese Lehre hat die Gesellschaft in Europa über zwei Jahrtausende geprägt. Deshalb versuche ich immer, mit den Symbolen zu arbeiten, und die Frage in den Raum zu werfen, was es bedeutet, mit der Religion zu leben. Aber ich attackiere die Moral der Kirche gerne.