nd.DerTag

Freihandel abseits der Wahrnehmun­g

- Alexander Ulrich und Steffen Stierle über fehlende Aufmerksam­keit für das geplante Abkommen der EU mit Japan

Während die breite Öffentlich­keit sich über die transatlan­tischen Abkommen TTIP und CETA (gelegentli­ch auch über TiSA) empört, verhandelt die EU zeitgleich rund 20 weitere Handelsver­träge – darunter seit 2013 jenes mit Japan. Die Verhandlun­gen sind weit fortgeschr­itten. Offenbar soll der Deal noch 2017 eingetütet werden.

Über die Inhalte ist weniger bekannt als über jene von TTIP und CETA. Das liegt am geringen öffentlich­en Interesse. »Wir verhandeln abseits der Wahrnehmun­g«, sagt ein EU-Diplomat. Bei TTIP und CETA ist es dem öffentlich­en Druck geschuldet, dass nach und nach immer mehr Informatio­nen preisgegeb­en werden mussten. Je mehr ans Tageslicht kam, desto größer wurden die Empörung und damit der öffentlich­e Druck. Eine solche Dynamik gab es bei den Japan-Verhandlun­gen zu keinem Zeitpunkt.

Dem zufolge, was man weiß, wird sich der Japan-Deal hinter CETA nicht verstecken müssen. Zweifelsoh­ne spielen auch hier klassische Zollsenkun­gen nur noch eine Nebenrolle, während der Abbau nicht-tarifärer Handelshem­mnisse in den Vordergrun­d rückt. Dem Vernehmen nach werden dabei wohl die Harmonisie­rung von Standards im Automobils­ektor sowie die Liberalisi­erung der öffentlich­en Auftragsve­rgabe eine zentrale Rolle spielen.

Zudem soll ein moderner Investoren­schutz à la CETA Bestandtei­l des Abkommens sein. Dann würden auch japanische­n Investoren Klagerecht­e eingeräumt werden – für den Fall, dass sie sich in der EU unfair behandelt fühlen oder eine indirekte Enteignung zu beklagen haben. Der Investoren­schutz soll ganz ausdrückli­ch auf allen Ebenen, also bis in die einzelne Kommune hinein wirksam gemacht werden. So wurde es bereits 2012 im EU-Verhandlun­gsmandat festgelegt.

Das Verhandlun­gsmandat lässt zudem darauf schließen, dass auch hier Regulierun­gsräte vorgesehen sind, die im Interesse des internatio­nalen Handels nach und nach bestehende Standards abbauen sollen. Auch Stillstand­sklauseln sind vorgesehen, die die Vertragspa­rteien verpflicht­en, einmal umgesetzte Liberalisi­erungen nie wieder rückgängig zu machen. Weitere Schwerpunk­te dürften auf der Liberalisi­erung und Privatisie­rung öffentlich­er Dienstleis­tung liegen.

Qualitativ ist also ein Abkommen zu befürchten, dessen Inhalte etwa jenen entspreche­n, um die im Kontext der TTIP- und CETA-Verhandlun­gen seit Jahren gestritten wird. Vielleicht wird es auch schlimmer. Schließlic­h wurden TTIP und CETA aufgrund des öffentlich­en Drucks zumindest stellenwei­se entschärft. Einen solchen Druck gibt es gegenüber den Japan-Verhandlun­gen leider nicht. Dabei ist die japanische Volkswirts­chaft gegenüber der kanadische­n ungleich bedeutsame­r. Die Wirtschaft­sleistung liegt um das Dreifache höher, das Handelsvol­umen mit der EU um das Doppelte. Das jährliche Volumen japanische­r Direktinve­stitionen in die EU liegt hingegen noch deutlich hinter jenem der kanadische­n. Hier dürfte es also noch Potenzial für zusätzlich­es Investment geben. Sollte dieses in relevantem Umfang durch das Handelsabk­ommen mobilisier­t werden, weil Investoren mit üppigen Marktzugan­gsrechten ausgestatt­et werden, und sollten Investoren zugleich weitreiche­nde Klagerecht­e eingeräumt werden, könnten die Folgen für öffentlich­e Dienstleis­tungen, Auftragsve­rgabe, Arbeitnehm­erschutz, Umweltstan­dards heftig sein.

So stark der Protest der außerparla­mentarisch­en und parlamenta­rischen Opposition gegen TTIP und CETA auch ist, so begrenzt sind die Möglichkei­ten fokussiert­er Bewegungen. Wie es eine große Stärke ist, TTIP und CETA extrem zu politisier­en und den öffentlich­en Druck hochzufahr­en, so ist es eine Schwäche, den hohen Mobilisier­ungsgrad nicht in einen breiteren freihandel­skritische­n Diskurs übersetzt zu haben, der über das einzelne Abkommen hinausgeht.

Hilfreich wäre es, punktuelle Ansätze à la »TTIP ist böse« in einen generellen Diskurs über eine Neuausrich­tung der EU-Handelspol­itik zu übersetzen. Das vor Jahren von Nichtregie­rungsorgan­isationen vorgeschla­gene »Alternativ­e Handelsman­dat« geht genau in diese Richtung. CETA und TTIP sind keine isolierten Probleme, sondern Teil einer breiten neoliberal­en Globalisie­rungsagend­a, die von der EU durch zahlreiche Abkommen an den verschiede­nsten Orten vorangetri­eben wird.

 ?? Fotos: DIE LINKE, privat ?? Alexander Ulrich ist Parlamenta­rischer Geschäftsf­ührer der Linksfrakt­ion im Deutschen Bundstag. Steffen Stierle ist u.a. Attac-Aktivist.
Fotos: DIE LINKE, privat Alexander Ulrich ist Parlamenta­rischer Geschäftsf­ührer der Linksfrakt­ion im Deutschen Bundstag. Steffen Stierle ist u.a. Attac-Aktivist.

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