Polizei misshandelt schwarzen Franzosen schwer
Vorwurf der Vergewaltigung / Gewalt provoziert Ausschreitungen in Pariser Vorort / Hollande besucht 22-jähriges Opfer
Rabiate Polizeiaktionen in französischen Großstadtvororten sind kaum Schlagzeilen wert. Doch jetzt eskalierte die Lage wieder einmal. Polizeigewalt zählt für viele, vor allem jüngere Bewohner der Pariser und Lyoner Banlieues fast zum Alltag. Durch Personenkontrollen, gerne auch mehrfach am Tag, werden die Menschen in den »sozialen Brennpunkten« von den Uniformierten drangsaliert – vor allem von Sondereinheiten wie den »Brigades anti-criminalité« oder den »Brigades spéciales de terrain«. Aus der Sicht der Mitglieder solcher Sondereinheiten stellen die, historisch als »Aufbewahrungsort« für Angehörige der sozia- len Unterklassen und andere gesellschaftliche Problemgruppen konzipierten Hochhausviertel der Banlieues ein feindliches Umland dar. In ihm gilt es, sich männlich-kriegerisch zu bewähren, um sich nach fünf Jahren Polizeilaufbahn tunlichst anderswohin versetzen zu lassen.
Eine solche Sondereinheit ist derzeit in einen handfesten Skandal verwickelt. Vorige Woche schlugen die Beamten so sehr über die Stränge, dass es selbst dem politischen Spitzenpersonal zu viel wurde. Eine Kontrolle am Donnerstagvormittag in einer Hochhaussiedlung in Aulnaysous-Bois – rund zehn Kilometer nördlich von Paris – »artete aus«, wie die bürgerliche Presse sich auszudrücken pflegt. Der 22-jährige schwarze Franzose Théo stellte sich dabei Po- lizisten entgegen, als diese einen Teenager ohrfeigen wollten. Dies wurde ihm heimgezahlt: Auf dem Weg zur Wache wurde er im Polizeiwagen misshandelt, Tränengas wurde ihm schon auf dem Weg dorthin direkt ins Gesicht gesprüht. Beamte bezeichneten ihn als »bamboula« – ein französisches Schimpfwort für Schwarze. Schließlich wurde ihm ein Polizeiknüppel in den After geschoben. Dies verursachte eine fünf bis sechs Zentimeter lange Wunde, die genäht werden musste; das Opfer erhielt eine ärztliche Krankschreibung für die Dauer von sechzig Tagen.
Die Festnahme war jedoch von Umstehenden gefilmt worden. Mehrere Nächte lang kam es in der Siedlung und deren Nachbarschaft zu nächtlichen Auseinandersetzungen mit den Einsatzkräften, einzelne Autos brannten. Die Staatsanwaltschaft sah sich in Anbetracht der Bilder sowie des ärztlichen Attests dazu gezwungen, Ermittlungen aufzunehmen. Auch ein Trauermarsch, der am Montag stattfand, wurde organisiert.
Die zuständige Staatsanwaltschaft in der Bezirkshauptstadt Bobigny ließ jedoch den Tatvorwurf der Vergewaltigung zunächst fallen: Es habe bei den Urhebern der Gewalttaten keine sexuelle Absicht vorgelegen – den Erklärungen der vier beteiligten Polizisten zufolge, die ihrerseits vernommen worden waren. Festgehalten wurde nur an dem weniger schweren Vorwurf der Körperverletzung.
Dies empörte sogar den amtierenden Bürgermeister von Aulnay, den früheren Polizeifunktionär und Par- teigänger von Nicolas Sarkozy, Bruno Beschizza. Selbst aus Regierungskreisen kam erste Kritik, am Dienstagnachmittag besuchte dann Staatspräsident François Hollande das Opfer am Krankenbett. Hollande lobte dessen besonnene Haltung, da der junge Mann die Jugend seiner Stadt dazu aufrief, »keinen Krieg« mit der Polizei anzuzetteln.
Unter erheblichem öffentlichen Druck stehend, leitete die Staatsanwaltschaft nun doch ein Ermittlungsverfahren gegen einen der vier Polizisten wegen Vergewaltigung ein, bei den übrigen bleibt es bei dem Vorwurf der Körperverletzung. Bei einer linken Demonstration von mehreren Hundert Menschen am Dienstagabend in Paris wurden unterdessen sechs Personen festgenommen.