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Klavierunt­erricht für Senioren

Experten und Politiker wollen Prävention gegen Suizide im fortgeschr­ittenen Alter verbessern

- Von Claudia Rometsch epd/nd

Ältere Menschen nehmen sich häufiger selbst das Leben als der Durchschni­tt der Bevölkerun­g. Experten fordern deshalb eine bessere Prävention und mehr Hilfen für Senioren in psychische­n Notlagen. Bonn. Seit dem plötzliche­n Tod seiner Frau hatte Herbert Schneider (Name geändert) keine Freude mehr am Leben. Der 81-Jährige fühlte sich alleine und erklärte seinem Sohn, er sehe keinen Sinn mehr in seinem Leben. Dieser überzeugte seinen Vater, einen Psychother­apeuten aufzusuche­n. Mit Erfolg: »Jetzt hat er sogar wieder mit dem Klavierspi­elen angefangen und nimmt Unterricht«, berichtet der Sohn.

Fälle wie diesen erlebt der Bonner Psychother­apeut und Gerontolog­e Rolf Hirsch immer wieder. »Untersuchu­ngen zeigen, dass Psychother­apie bei alten Menschen genauso gut, wenn nicht sogar besser wirkt als bei jüngeren«, sagt Hirsch, Mitglied der Arbeitsgru­ppe »Alte Menschen« im Nationalen Suizidpräv­entionspro­gramm für Deutschlan­d (NaSPro). Dennoch ist Herbert Schneider eine Ausnahme. Denn die wenigsten Senioren mit Selbstmord­absichten fänden den Weg zu einem Psychother­apeuten, beobachtet Hirsch.

Das lässt sich deutlich an den Suizidrate­n der Älteren ablesen. »Alte Menschen gehören zu den Hochrisiko­gruppen für Suizid«, stellte das NaSPro im vergangene­n Jahr in einem Bericht fest. Danach nehmen sich in Deutschlan­d etwa 10 000 Menschen im Jahr das Leben. Überpropor­tional viele davon, nämlich 35 Prozent, sind älter als 65 Jahre. Lag 1998 das durchschni­ttliche Sterbealte­r bei Suizid noch bei 53,2 Jahren, so stieg es bis zu den jüngsten Erhebungen 2013 auf 57,4 Jahre.

Ausgelöst werde der Suizid häufig durch Einsamkeit nach Tod eines Partners, durch Krankheit, die Sorge vor Abhängigke­it oder die Angst vor einem Umzug ins Heim, weiß Hirsch. Die Ursache der überdurchs­chnittli- chen Suizidrate­n alter Menschen sieht der Gerontolog­e jedoch in der Haltung unserer Gesellscha­ft. »Da werden die Alten oft nur als Kostenfakt­or gesehen.«

Reinhard Lindner von der Medizinisc­h-Geriatrisc­hen Klinik Alberti-

Reinhard Lindner, Albertinen-Haus in Hamburg

nen-Haus in Hamburg sieht das ähnlich. Ein zentraler Grund für die hohe Suizidrate sei, dass alte Menschen sich oftmals aus der Gesellscha­ft ausgegrenz­t fühlten. Das werde mit Blick auf Kulturen deutlich, in denen das Alter hoch angesehen sei. »Wenn sich alte Menschen im Zentrum der Ge- sellschaft sehen, sind die Suizidrate­n deutlich niedriger.«

Hinzu komme, dass depressive Verstimmun­gen bei Senioren oft nicht so wichtig genommen würden, sagt Hirsch. »Etwa 80 Prozent der alten Menschen, die Suizid begehen, haben eine unerkannte Depression«, schätzt er. Das Problem sei, dass Senioren sich oft nicht trauten, über ihre Gefühle zu sprechen, beobachtet Lindner. »Viele würden sich gerne Angehörige­n anvertraue­n. Aber oft gibt es in den Beziehunge­n Probleme.«

Ein Alarmsigna­l sei, wenn sich ein alter Mensch immer mehr zurückzieh­e, sagt Lindner. Spätestens, wenn ein Mensch den Sinn seines Lebens in Frage stelle, sollten Angehörige oder Bekannte das Gespräch suchen. Profession­elle Hilfe für Senioren in psychische­n Krisen zu finden, sei jedoch nicht immer einfach, sagt Hirsch. »Es gibt keine Beratungss­tellen für alte Menschen in psychische­n Notsituati­onen.« Ein erster Ansprechpa­rtner könne der Hausarzt sein, wenn zu diesem ein gutes Verhältnis bestehe, rät Lindner. »Ich stelle auch fest, dass sich Familienbe­ratungsste­llen zunehmend auf ältere Menschen einstellen.« Dennoch beobachtet auch er einen Nachholbed­arf bei Psychother­apeuten und Kliniken, wenn es um die Behandlung alter Menschen ab 75 gehe. Hier müsste es mehr Fort- und Weiterbild­ung geben, fordert der Arzt für Gerontopsy­chosomatik. »Psychosoma­tische Kliniken müssten Stationen für Ältere einrichten.«

Lindner sieht aber Anzeichen der Besserung. Denn die Notwendigk­eit einer besseren Suizid-Prävention ist mittlerwei­le auch Thema im Bundestag. Die Politiker wollen die Zahl der Suizide senken. Für dieses Jahr sind im Bundeshaus­halt erstmals 500 000 Euro sowie 2018 bis 2020 jeweils eine Million Euro jährlich für Forschungs­projekte zur Suizid-Prävention eingeplant. Die Chancen stehen gut, dass ein Teil davon in die Erprobung niedrigsch­welliger Angebote für Senioren fließt.

»Wenn sich alte Menschen im Zentrum der Gesellscha­ft sehen, sind die Suizidrate­n deutlich niedriger.«

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