Der Staat darf sich nicht drücken
Thüringen: Das neue Landesprogramm für Demokratie soll die Zivilgesellschaft stärken
Das Thüringer Landesprogramm für Demokratie setzt fort, was Rot-RotGrün begonnen hat: Im Kampf gegen Demokratiefeinde auf die Zivilgesellschaft setzen. Auch den Staat nimmt es in die Verantwortung. Die rot-rot-grüne Regierungskoalition in Thüringen hat schon einige Schritte auf jenem Weg getan, der dazu führen soll, dass in dem Freistaat bald ganz anders über Gefahren für die Demokratie gedacht wird als bisher: eine Dokumentationsstelle für Menschenrechte wurde eingerichtet und gemeinsam mit der Landes-CDU eine Enquete-Kommission zum Rassismus eingesetzt. Jeder dieser Schritte hat dazu geführt, dass man sich in Thüringen weiter von der alten Idee entfernt, dass es nur an den gesellschaftlichen Rändern Menschen gibt, die demokratische Werte und Prozesse ablehnen.
Sowohl die Arbeit der Thüringer Dokumentationsstelle als auch die Arbeit der Enquete-Kommission gehen ausdrücklich von der Annahme aus, dass undemokratisches Gedankengut längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist, dass auch Menschen, die demokratische Par- teien wählen, »Neger« sagen und Arbeitslose sowie Obdachlose abwerten.
Nun hat das Regierungsbündnis einen weiteren Schritt getan, der dazu führen soll, dass dieses neue Denken nicht nur bei den zahlenmäßig relativ wenigen Menschen ankommt, die mit der Dokumentationsstelle – die »Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft« heißt – und der Enquete-Kommission zu tun haben. Mit dem neu gestalteten Landesprogramm für Demokratie, Toleranz und Weltoffenheit sollen möglichst viele Bürgerbündnisse, Vereine, Schulen, Feuerwehren und all die anderen Akteure der sogenannten Zivilgesellschaft unterstützt werden, die etwas gegen Undemokraten tun. Auch dahinter steht die Erkenntnis, dass Demokratiegegner und -feinde nicht mehr zu gesellschaftlichen Randgruppen gehören.
Eine wesentliche Neuerung des Landesprogramms in diesem Zusammenhang ist, dass es mit dem Konzept der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit arbeitet und sich weit weniger stark als seine Vorgänger-Programme an den umstrittenen Extremismus-Begriff anlehnt. Damit, so sagen Thüringens Bildungsstaatssekretärin Gabi Ohler und der stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes im Bezirk Hessen-Thüringen, Sandro Witt, würden nun verschiedenste Bedrohungen für die Demokratie bewusst in den Fokus des Lan- desprogramms gerückt – auch wenn es in Thüringen noch immer ein besonderes großes Problem mit Rechtsextremismus gebe und dessen Bekämpfung zentral bleibe. Beide haben an der Erarbeitung des neuen Programms mitgewirkt und lassen keinen Zweifel daran, dass auch in Zukunft aus den Geldern des Programms viele Aktionen gefördert werden sollen, die sich gegen Neonazi-Aufmärsche und -Konzerte richten.
Allerdings gilt nun stärker als bislang eben auch, dass solche Förderungen auch gegen alle anderen For- men von undemokratischem Verhalten eingesetzt werden sollen – sei es religiös oder vorgeblich links motiviert. »Entscheidend ist nicht, wer das macht, sondern was gemacht wird«, sagt Ohler. »Es ist völlig egal, ob ein Mensch von da oder von da verletzt wird«, sagt Witt.
Ebenfalls viel stärker als bisher verweist das neue Landesprogramm auch darauf, dass es Situationen gibt, in denen staatliche Institutionen ihren Beitrag im Kampf um Demokratie leisten müssen. Zum einen nach innen, indem sie auf Staatsdiener einwirken, die undemokratische Vorstellungen haben. Witt sagt, das Beispiel NSU habe gezeigt, wie sehr etwa rassistische Ideen bei den Sicherheitsbehörden verbreitet seien. Zum anderen nach außen, wo das Landesprogramm vom Staat etwa fordert, mit allen Mitteln des Rechtsstaates gegen Neonazi-Kundgebungen vorzugehen, statt diese – wie viel zu oft in der Vergangenheit – einfach zuzulassen.
Im laufenden Jahr stehen nach Angaben Ohlers etwa 4,75 Millionen Euro im Landeshaushalt für das Programm zur Verfügung. Als das Programm 2010 erstmals aufgelegt worden war, umfasste das Budget etwa eine Millionen Euro jährlich.
Ausgangspunkt ist die Annahme, dass undemokratisches Gedankengut längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist.