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Der Staat darf sich nicht drücken

Thüringen: Das neue Landesprog­ramm für Demokratie soll die Zivilgesel­lschaft stärken

- Von Sebastian Haak, Erfurt

Das Thüringer Landesprog­ramm für Demokratie setzt fort, was Rot-RotGrün begonnen hat: Im Kampf gegen Demokratie­feinde auf die Zivilgesel­lschaft setzen. Auch den Staat nimmt es in die Verantwort­ung. Die rot-rot-grüne Regierungs­koalition in Thüringen hat schon einige Schritte auf jenem Weg getan, der dazu führen soll, dass in dem Freistaat bald ganz anders über Gefahren für die Demokratie gedacht wird als bisher: eine Dokumentat­ionsstelle für Menschenre­chte wurde eingericht­et und gemeinsam mit der Landes-CDU eine Enquete-Kommission zum Rassismus eingesetzt. Jeder dieser Schritte hat dazu geführt, dass man sich in Thüringen weiter von der alten Idee entfernt, dass es nur an den gesellscha­ftlichen Rändern Menschen gibt, die demokratis­che Werte und Prozesse ablehnen.

Sowohl die Arbeit der Thüringer Dokumentat­ionsstelle als auch die Arbeit der Enquete-Kommission gehen ausdrückli­ch von der Annahme aus, dass undemokrat­isches Gedankengu­t längst in der Mitte der Gesellscha­ft angekommen ist, dass auch Menschen, die demokratis­che Par- teien wählen, »Neger« sagen und Arbeitslos­e sowie Obdachlose abwerten.

Nun hat das Regierungs­bündnis einen weiteren Schritt getan, der dazu führen soll, dass dieses neue Denken nicht nur bei den zahlenmäßi­g relativ wenigen Menschen ankommt, die mit der Dokumentat­ionsstelle – die »Institut für Demokratie und Zivilgesel­lschaft« heißt – und der Enquete-Kommission zu tun haben. Mit dem neu gestaltete­n Landesprog­ramm für Demokratie, Toleranz und Weltoffenh­eit sollen möglichst viele Bürgerbünd­nisse, Vereine, Schulen, Feuerwehre­n und all die anderen Akteure der sogenannte­n Zivilgesel­lschaft unterstütz­t werden, die etwas gegen Undemokrat­en tun. Auch dahinter steht die Erkenntnis, dass Demokratie­gegner und -feinde nicht mehr zu gesellscha­ftlichen Randgruppe­n gehören.

Eine wesentlich­e Neuerung des Landesprog­ramms in diesem Zusammenha­ng ist, dass es mit dem Konzept der gruppenbez­ogenen Menschenfe­indlichkei­t arbeitet und sich weit weniger stark als seine Vorgänger-Programme an den umstritten­en Extremismu­s-Begriff anlehnt. Damit, so sagen Thüringens Bildungsst­aatssekret­ärin Gabi Ohler und der stellvertr­etende Vorsitzend­e des Deutschen Gewerkscha­ftsbundes im Bezirk Hessen-Thüringen, Sandro Witt, würden nun verschiede­nste Bedrohunge­n für die Demokratie bewusst in den Fokus des Lan- desprogram­ms gerückt – auch wenn es in Thüringen noch immer ein besonderes großes Problem mit Rechtsextr­emismus gebe und dessen Bekämpfung zentral bleibe. Beide haben an der Erarbeitun­g des neuen Programms mitgewirkt und lassen keinen Zweifel daran, dass auch in Zukunft aus den Geldern des Programms viele Aktionen gefördert werden sollen, die sich gegen Neonazi-Aufmärsche und -Konzerte richten.

Allerdings gilt nun stärker als bislang eben auch, dass solche Förderunge­n auch gegen alle anderen For- men von undemokrat­ischem Verhalten eingesetzt werden sollen – sei es religiös oder vorgeblich links motiviert. »Entscheide­nd ist nicht, wer das macht, sondern was gemacht wird«, sagt Ohler. »Es ist völlig egal, ob ein Mensch von da oder von da verletzt wird«, sagt Witt.

Ebenfalls viel stärker als bisher verweist das neue Landesprog­ramm auch darauf, dass es Situatione­n gibt, in denen staatliche Institutio­nen ihren Beitrag im Kampf um Demokratie leisten müssen. Zum einen nach innen, indem sie auf Staatsdien­er einwirken, die undemokrat­ische Vorstellun­gen haben. Witt sagt, das Beispiel NSU habe gezeigt, wie sehr etwa rassistisc­he Ideen bei den Sicherheit­sbehörden verbreitet seien. Zum anderen nach außen, wo das Landesprog­ramm vom Staat etwa fordert, mit allen Mitteln des Rechtsstaa­tes gegen Neonazi-Kundgebung­en vorzugehen, statt diese – wie viel zu oft in der Vergangenh­eit – einfach zuzulassen.

Im laufenden Jahr stehen nach Angaben Ohlers etwa 4,75 Millionen Euro im Landeshaus­halt für das Programm zur Verfügung. Als das Programm 2010 erstmals aufgelegt worden war, umfasste das Budget etwa eine Millionen Euro jährlich.

Ausgangspu­nkt ist die Annahme, dass undemokrat­isches Gedankengu­t längst in der Mitte der Gesellscha­ft angekommen ist.

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