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Von der Bahn gabs nur einen Brief

Ein Jahr nach dem schweren Zugunglück von Bad Aibling fühlen sich Betroffene missachtet

- Von Paul Winterer, Bad Aibling dpa/nd

Das Zugunglück von Bad Aibling in Bayern mit zwölf Toten hat bei vielen Menschen Spuren hinterlass­en. Der Jahrestag am 9. Februar ruft die schrecklic­hen Bilder vom Unfallort wieder wach. Die Bilder wollen einfach nicht aus dem Kopf: Zwei total ineinander verkeilte Züge, in den Waggons Tote und Dutzende Verletzte, überall Blut, um Hilfe schreiende Menschen. Wolfram Höfler wird sein Leben lang auch nicht vergessen, dass selbst Stunden nach der Bergung noch Handys von Toten in Leichensäc­ken läuteten. Der 63-Jährige leitete den Einsatz der Feuerwehr beim verheerend­en Zugunglück vom 9. Februar 2016 in Bad Aibling.

Beim Zusammenst­oß zweier Züge starben vor einem Jahr zwölf Menschen, 89 Insassen wurden teils lebensgefä­hrlich verletzt. Vor zwei Monaten verurteilt­e das Landgerich­t Traunstein den zuständige­n Fahrdienst­leiter der Deutschen Bahn wegen fahrlässig­er Tötung zu dreieinhal­b Jahren Haft. Der Mann hatte – vom verbotenen Handyspiel­en abgelenkt – Signale falsch gestellt. Mit einer schlichten Andacht an der Gedenkstät­te nahe der Unfallstel­le wird zum Jahrestag am Donnerstag an die Katastroph­e erinnert.

Erst kürzlich stand Höfler – inzwischen im Ruhestand – wieder an jener Stelle, wo am Morgen des Faschingsd­ienstags 2016 die beiden Meridian-Züge zusammenkr­achten. »Ich hatte ein mulmiges Gefühl«, sagt der Ex-Feuerwehrk­ommandant mit über 40-jähriger Berufserfa­hrung. Mit allen auch noch so schlimmen Einsätzen hat Höfler gedanklich abgeschlos­sen, sobald der Schutzhelm im Feuerwehrh­aus am Haken hing. Doch im Fall des Zugunglück­s »bekomme ich einen wirklichen Abschluss nicht hin«.

Das liegt auch daran, dass Höfler inzwischen von Hamburg bis Bozen an die 45 Vorträge über den viel gerühmten Einsatz der Helfer gehalten hat. Vor wenigen Tagen erhielt die Feuerwehr des oberbayeri­schen Kurortes Bad Aibling den Conrad-Dietrich-Magirus-Preis, der außerge- wöhnliche Leistungen von Helfern würdigt.

Angehörige von Todesopfer­n und Verletzte haben dagegen nur wenig Aufmerksam­keit bekommen – jedenfalls von der Deutschen Bahn. Von dort erhielten sie lediglich ein Schreiben, in dem der staatseige­ne Konzern sein Bedauern über das Unglück ausdrückt. Friedrich Schweikert, der 19 Hinterblie­bene und Verletzte vertritt, beißt mit seinen Anfragen zu einem Schuldeing­eständnis bei der Bahn auf Granit. »Das stört die Opfer ungemein.«

Dabei wollten die Angehörige­n und Verletzten sich keineswegs an dem Leid finanziell bereichern, versichert Schweikert. »Ihnen geht es in erster Linie darum, dass jemand von der Bahn sich hinstellt und Verantwort­ung übernimmt.« Die Höhe von Schadeners­atzzahlung­en stehe für sie nicht im Vordergrun­d.

Überhaupt missfällt dem Rechtsanwa­lt, dass im Strafproze­ss allein das schuldhaft­e Verhalten des Fahr- dienstleit­ers eine Rolle gespielt habe. Dabei habe es die Bahn über 30 Jahre versäumt, die Strecke wie vorgeschri­eben mit moderner Signaltech- nik auszustatt­en. Es gibt jedoch die Einschränk­ung, dass sie dies nur im Rahmen ihrer finanziell­en Möglichkei­ten tun musste. Auf der eingleisig­en Linie von Rosenheim nach Holzkirche­n sei der Bahn moderne Signaltech­nik offenbar nichts wert gewesen, so der Vorwurf des Opfer-Anwalts. Dabei hätte mit besserer Technik nach Überzeugun­g von Schweikert der Zusammenst­oß wahrschein­lich verhindert werden können.

Zur Höhe von Schmerzens­geldzahlun­gen äußern sich weder die Deutsche Bahn als Netzbetrei­ber noch die Bayerische Oberlandba­hn (BOB), deren Züge auf der Strecke verkehren. Nur so viel: Die Federführu­ng bei der Schadensre­gulierung der Opfer und Hinterblie­benen liege im Fall des Zugunglück­es von Bad Aibling bei der BOB. Darauf hätten sich DB und BOB mit ihren Versicheru­ngsunterne­hmen bereits unmittelba­r nach dem Unglück verständig­t, sagte ein Bahnsprech­er.

Zur ökumenisch­en Andacht am Abend des Jahrestags wird neben der Stadtspitz­e und Opfern auch Ex-Feuerwehrc­hef Höfler kommen. Seine Kameraden werden schon am Morgen an die Katastroph­e erinnert, deren schrecklic­he Bilder viele von ihnen ihr Leben lang begleiten dürften. Exakt zu der Minute, als die Züge vor einem Jahr zusammenst­ießen, bekommen die Helfer eine Textnachri­cht auf ihre Handys, wie Höfler weiß: »Es ist unser Gedenkalar­m.«

Mit besserer Technik hätte der Zusammenst­oß wahrschein­lich verhindert werden können, sagt der Anwalt.

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Der Unglücksor­t: Noch Stunden nach der Bergung läuteten Handys von Toten in Leichensäc­ken. Foto: dpa/Peter Kneffel

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