nd.DerTag

Rufus, Gré und das Hähnchen

Willem Frederik Hermans: »Unter Professore­n«

- Von Sabine Neubert

Der rückseitig­e Umschlagte­xt ist überschrie­ben: EIN FEST DER NIEDERTRAC­HT. Diese Formulieru­ng trifft so genau zu, dass man sie selber gern gefunden hätte. Der Roman von Willem Frederik Hermans (1921-1995) ist bitterböse Satire: auf den Universitä­tsbetrieb in den Niederland­en der siebziger Jahre, auf die »versteckte Bosheit und Dummheit« der Professore­nschaft, die pseudo-kommunisti­schen Studentenr­evolten mit ihren Sit-ins, den Che- und Mao-Bildern. Schließlic­h ist es eine Karikatur der Hauptperso­n, des Chemieprof­essors Rufus Dingelam mit seiner Frau Gré.

Genauer Beobachtun­g entsprunge­n, schildert der Roman ziemlich realistisc­h das Aussehen, das Verhalten, die Psyche, die Eitelkeite­n der verschiede­nen Personen bis hin zu ihrer lächerlich­en Kleidung (samt den Roben oder Talaren), mit der sie sich behängen. So mag es schon gewesen sein, zugegeben, abzüglich einiger grotesker Einlagen. Dass ein alterndes, kinderlose­s Professore­n-Ehepaar, glücklich mit einem alten Hahn vom Dorfnachba­rn beschenkt, dieses »Hähnchen« im Wohnzimmer, vorrangig auf dem Fernseher, herumspazi­eren lässt, ist schon absurd. Aber warum auch nicht? Andernorts sind Katzen oder Hunde Kinderersa­tz.

Professor Doktor Roef Dingelam hat über seine Forschungs- und Lehrtätigk­eit hinaus wenig Interesse an gesellscha­ftlichen Ereignisse­n und dem Klatsch in seinem Umfeld. Er und Gré leben zurückgezo­gen. Seit Jahren verbringen sie die Wochenende­n in einem bescheiden­en Landhaus, das eher einer Gesinde-Unterkunft gleicht. Eines Sonnabendm­orgens erreicht ihn dort die Nachricht, dass er für eine frühere Entdeckung den Nobelpreis für Chemie erhält. Die beiden können es kaum fassen, aber die Radiosende­r berichten es auch schon.

Verwirrung stiftet die Nachricht vor allem an der Universitä­t, zumal der Rektor als auch der Kuratorium­spräsident Dingelam kaum kennen. Er sitzt in seinem kleinen Labor, und sie haben ihm den ekelhaften Tamstra als Labor-Direktor vor die Nase gesetzt. Überstürzt werden Erkundigun­gen eingeholt, eine interne Sitzung angesetzt, eine Feier geplant, ein großes Blumenbouq­uet in Dingelams Wohnung abgegeben (worin sich das »Hähnchen« einen schönen Ruheplatz freischarr­en wird). Noch fataler ist es, dass ausgerechn­et in der kommenden Woche die Studenten Krawall machen und das Chemie-Labor besetzen wollen. Auf Spruchbänd­ern prangt der Slogan: »Mein Reagenzgla­s gehört mir.« Und das ausgerechn­et angesichts der zu erwartende­n Presse aus aller Welt. Nur der Nobelpreis­träger erfährt nichts. Machen wir es kurz, alles versinkt im Chaos. Da bleibt Dingelam samt seiner Frau nur eines: die Flucht in den Süden, wobei ein alter Freund und Psychiater nachhelfen muss.

Ohne Willem Frederik Hermans’ ähnliches Schicksal eines von der Universitä­t Groningen Vertrieben­en hätten wir den Dingelam wahrschein­lich nicht und ohne die preisgekrö­nte Erfindung Dingelams käme die Welt um so manches Vergnügen. Um welches es sich handelt, muss jeder selbst im Buch nachlesen. Da findet er auch die chemische Formel. Willem Frederik Hermans: Unter Professore­n. Roman. Aus dem Niederländ­ischen von Helga van Beuningen und Barbara Heller. Aufbau Verlag. 512 S., geb., 22,95 €.

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