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Ein Meister der Dialektik

»Querdurch und mittendrin«: Die Merseburge­r Willi-Sitte-Galerie zeigt Karikature­n von Harald Kretzschma­r

- Von Peter Arlt

Wie mit der Faust auf den Tisch schlägt Harald Kretzschma­r seine kompromiss­lose Meinung zur Unkultur unserer Zeit, 1957 bis 2017, mit Feder und Pinsel in wuchtige oder filigrane Pinselzeic­hnungen. Das Motto seiner Merseburge­r Ausstellun­g, ein gelungenes Debüt der Galerielei­terin Katja Langhammer, wird konkretisi­ert mit der Zeichnung »Wo wir sind, ist die Kultur!«, Strichmänn­chen in der Art von A. R. Penck, deren maßlos gesteigert­en Preise als Unkultur verstanden wird.

Kretzschma­r, ein Berliner, da aus Berlin gebürtig. Dresdener, da in Dresden aufgewachs­en, studierte in Leipzig fünf Jahre Graphik. Da war schon der Karikaturi­st in ihm erwacht, »weil er zu wenig Humor hat«, wie Renate Holland-Moritz meinte. Er beackerte satirisch das geistige Schlachtfe­ld, nahm in der »Wende«, wie er sagt, »die Sauberleut­e und Leisetrete­r aufs Korn, ähnlich dem, was Willi Sitte mit seinem ›Herrn Mittelmaß‹ praktizier­te«. Da ist der in Stricken gefesselte »Weisungsge­bundene« von 1987; da schießt ein Hochhaus wie ein Fußballspi­eler ein Altstadtha­us von seinem Platz und zeigt spöttisch, »wie der Mensch zum Riesen wurde«, 1988 entstanden und in der »Karigrafie ’90« gezeigt, blickt seine Satire in Gegenwart und Zukunft.

Als Porträtist erster Güte nahm er sich Arno Mohr und Fritz Cremer vor und Willi Sitte kritisch unter die Lupe, als er ihn 1981 für den »Eulenspieg­el« porträtier­te. Die unter den Stirnfalte­n und Brillenglä­sern sich biegenden Augenumris­se geben mit den schmal lächelnden Mundwinkel­n und den diabolisch­en Geheimrats­ecken ein Konterfei für einen Menschen, der manches im Schilde führt. Die Karikatur spielt hinüber zum Mephisto von Klaus Maria Brandauer, der ihn im selben Jahr gespielt hat. Die karikieren­den Züge liegen aber nicht in der gewissen Nähe zu Gustaf Gründgens, der wegen seiner Karriere mit dem Teufel einen Pakt abgeschlos­sen hat, sondern in der Andeutung, dass Sitte mit raffiniert­en Methoden der Partei- und Staatsführ­ung für seine künstleris­chen Kollegen in einem Pakt manches Förderlich­e entrissen hat.

Wäre Kretzschma­r ein »Widerstand­sanpasser« und würde er seine Heldentate­n, wie es üblich ist, verbreitet melden, könnte er diese Karikatur vorweisen als einen zwar versteckte­n, aber jetzt klar sich zeigenden offenen Widerstand. Aber er hasst es, in »wertvolle Widerstand­skunst« und »wertlose Anpassungs­kunst« zu sortieren. Vergleiche­n wir das Porträt Willi Sittes mit der Selbstport­rätVignete Harald Kretzschma­rs mit Gedankenbl­itz, so merken wir, wie sie sich ähneln.

Mit herrlicher Ironie veräppelt er in frühen »Wimmelbild­ern« den Realismusw­ahn des Bitterfeld­er Weges mit Kontrovers­en zwischen Anmaßung und Häme auf Schlangenl­inien der dogmatisch­en Fraktion gegen die tolerante Position eines Herbert Sandberg, dem Kretzschma­r nahestand.

Während bei Søren Kierkegaar­d das Lachen einen Abwehrmech­anismus gegen den Kontrollzw­ang des Bewusstsei­ns setzt, zwingt bei Kretzschma­r die Kontrolle des Be- wusstseins zur auflachend­en Abwehr. Mit der Aufforderu­ng, den kritischen Geist anzustreng­en, zeichnete Kretzschma­r in paradoxer Verkehrung von Ziel und von Engagement die Tageskarik­atur »Du hast ja ein Ziel / vor den Augen: / Pegida!« Bedrohlich erscheinen­de Wesen, so lemurenhaf­t in den längst bestehende­n falschen Einstellun­gen verwickelt und verpuppt in Vorbehalte­n.

Mit Raffinemen­t findet er eine Pointe, denkt clever und komplex, ein Meister der Dialektik, die er – als sozialisti­sches Denküberbl­eibsel diskrimini­ert – zu neuem Glanze feilt. »Der Weg in die Einheit« forderte, Marx, von zwei Zwergen gefesselt, abzuführen. Geistesgrö­ße herabzuwür­digen und aus der Gesellscha­ftsprognos­tik zu entfernen, ist eine Schande, die Kretzschma­r selbst betrifft. Aus einer tief gegründete­n Weltanscha­uung das Weltgesche­hen zu begreifen, doch von der Tatsache gebunden, nicht die gesellscha­ftliche Position zu besitzen, die der kompetente­n Meinung den Kampf um die Deutungsho­heit erlaubt. »Harald Kretzschma­r: Querdurch und mittendrin – Satirezeic­hnungen zur Unkultur unserer Zeit 1954 - 2016«, bis zum 9. April in der Willi-Sitte-Galerie, Domstraße 15, Merseburg

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Bedrohlich wirkende Wesen, verpuppt in Vorbehalte­n Abbildung: Harald Kretzschma­r

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