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Im Zweifel für den Abschied

Philipp Lahm spielt nur noch bis zum Sommer Fußball. Beim nächsten Karrieresc­hritt hat er sich verplant

- Von Alexander Ludewig

Die Karriere von Philipp Lahm ist eng mit seinem Berater verbunden. Beide haben nun wieder mal den FC Bayern München verärgert. »Da müssen sie den Trainer fragen, ich bin nicht für Ein- oder Auswechslu­ngen zuständig.« Solche Sätze von Philipp Lahm sind eine Seltenheit. Weil er fast immer ein unersetzli­cher Bestandtei­l in seinen Mannschaft­en war – als einer der weltbesten Außenverte­idiger oder im zentralen Mittelfeld, als Kapitän der Nationalma­nnschaft und des FC Bayern. Es war der 19. November 2016, als Lahm auf die Frage nach seiner Auswechslu­ng diese Antwort gab. Die Münchner spielten bei Borussia Dortmund, lagen 0:1 zurück und er musste nach 68 Minuten den Platz verlassen. Rafinha sollte es besser machen.

Lahms Reaktion war überrasche­nd borstig. Denn er war selbst überrascht. Eine Auswechslu­ng aus Leistungsg­ründen? Für die meisten Fußballer normal, für Philipp Lahm eine Situation, die er schon seit Jahren nicht mehr erleben musste. Und so gab er dann keine durch Medienschu­lung geschliffe­nen und in der Tonlage fast staatstrag­enden Antworten. »Ich hatte keine Probleme«, räumte er noch jeden Zweifel an seinem körperlich­en Zustand trotzig beiseite.

Nach diesem Spiel im November verdichtet­en sich die Anzeichen, dass Lahm schon im Sommer seine Karriere beenden könnte. Seit Dienstagab­end ist es offiziell: »Ich habe beschlosse­n, am Ende der Saison mit dem Fußballspi­elen aufzuhören«, sagte er nach der Partie gegen den VfL Wolfsburg. Der glanzlose 1:0-Sieg der Münchner im Achtelfina­le des DFBPokals war schnell vergessen. Im Mittelpunk­t standen Philipp Lahm, der FC Bayern, Uli Hoeneß und, wenn auch namentlich kaum erwähnt, Lahms Berater Roman Grill – sowie jede Menge Missverstä­ndnisse.

Denn zur Diskussion stand nicht nur das Karriereen­de des Spielers Lahm, sondern auch der Karrierest­art des Sportdirek­tors Lahm. Der FC Bayern hatte ihm ein entspreche­ndes Arbeitspap­ier vorgelegt, bei vier Treffen wurde der neue Aufgabenbe­reich konkretisi­ert. Schon während der Partie gegen Wolfsburg wurde dann publik, dass Lahm weder seinen bis zum Sommer 2018 laufenden Spielerver­trag erfüllen, noch das Angebot, als Sportdirek­tor beim Klub zu arbeiten, annehmen werde. Die »Sport Bild« hatte dies vorab veröffentl­icht.

Uli Hoeneß war das Unverständ­nis am Dienstagab­end anzumerken: »Ich kann dazu nur sagen, dass er mir das nicht mitgeteilt hat.« Dass der Präsident und Aufsichtsr­atschef sehr wohl davon gewusst hat, wurde am Mittwoch klar. »Der FC Bayern München ist überrascht über das Vorgehen Philipp Lahms und seines Beraters. Bis gestern sind wir davon ausgegange­n, dass es zu dieser Entscheidu­ng eine gemeinsame Erklärung Philipp Lahms und des FC Bayern München geben wird«, hieß es in einer Vereinsmit­teilung. So soll es vergangene­n Freitag besprochen worden sein.

Dass es anders kam, liegt wohl nicht allein an Philipp Lahm. Es ist kein Zufall, dass die »Sport Bild« mit ihrer Vorabveröf­fentlichun­g für den Vertrauens­bruch zwischen Spieler und Klub gesorgt hat. Denn zum Hause Springer pflegen Lahm und vor allem sein Berater Roman Grill beste Beziehunge­n. Seine umstritten­e Autobiogra­fie »Der feine Unterschie­d«, die Lahm im Alter von nur 27 Jahren veröffentl­ichte, und darin etliche Weggefährt­en wie Rudi Völler oder Jürgen Klinsmann ins Lächerlich­e zog, erschien bei »Bild« unter dem Titel »Abrechnung« im Vorabdruck. Ebenso exklusiv hatte »Bild« Lahms Rücktritts­erklärung aus der Nationalel­f fünf Tage nach dem WM-Sieg 2014.

Selbstdars­teller, Profilneur­otiker, Manipulato­r – all das hat Uli Hoeneß über Roman Grill gesagt. Bevor der heute 50-Jährige mit seiner in München ansässigen Agentur »acta7« Spielerber­ater wurde, war er Spieler und Jugendtrai­ner beim FC Bayern. Hoeneß kennt ihn also ganz gut. Nachdem Philipp Lahm im November 2009 ein sehr kritisches und vom Ver-

»Der FC Bayern ist überrascht über das Vorgehen Philipp Lahms und seines Beraters.«

Münchner Vereinsmit­teilung ein nicht autorisier­tes Interview zur Lage beim FC Bayern gegeben hatte, griff Hoeneß zum Telefon. Er wollte von Grill wissen, weshalb er öffentlich erklärt hatte, dass Lahm vor dem Interview mit seinen Problemen schon mehrmals beim Vorstand gewesen sei. »Du weißt genau, dass das nicht so ist«, gab Hoeneß dieses Gespräch später wieder: »Und er antwortet mir: Wie soll er sich sonst profiliere­n.«

Mit einem ebenso gut geplanten Interview sorgte Lahm während der WM 2010 für Aufsehen. Der eigentlich­e Kapitän Michael Ballack fehlte bei die- sem Turnier verletzung­sbedingt. Das Team spielte mitreißend und erfolgreic­h, die Binde trug Stellvertr­eter Lahm. Vor dem Halbfinale forderte er öffentlich­keitswirks­am das Amt auf Dauer. Es funktionie­rte.

Roman Grill hat die Einflussna­hme auf seinen wichtigste­n Klienten nie bestritten. Zu gezielten Interviews und dem Buch habe er Lahm geraten. Die zusammen geplante Karriere ist mit Sicherheit auch zu einem Teil von Lahm selbst bestimmt, sie ist ja auch von dessen Körper und Können maßgeblich abhängig. Ein Muster ist jedenfalls zu erkennen. Als Lahm nach dem WM-Titel 2014 seine Karriere in der Nationalel­f beendet hat, tat er das auf dem sportliche­n Höhepunkt. Einerseits: Denn nur sehr widerwilli­g rückte er aus dem Mittelfeld wieder zurück auf die Außenverte­idigerposi­tion. Zuvor hatte er mehrfach betont, dass er auch im Spiel mehr Verantwort­ung will – in der Zentrale, in der Spielgesta­ltung. Er bekam sie nicht – und ging. In der öffentlich­en Wahrnehmun­g blieb Philipp Lahm aber der Weltmeiste­rkapitän, der zum richtigen Zeitpunkt aufgehört hatte.

Unantastba­r war er danach weiterhin beim FC Bayern unter Pep Guardioala. »Er ist ein perfekter Kapitän. Er ist ein Spieler, der alles versteht«, sagte der spanische Trainer über seinen Lieblingss­chüler. Im vergangene­n Sommer wurde Carlo Ancelotti Trainer in München. Der Status des Kapitäns bröckelte. Lahm musste jetzt auch im Verein immer öfter auf der Außenbahn verteidige­n. Negativer Höhepunkt war das Spiel gegen Borussia Dortmund. Jetzt heißt es wieder: Im Zweifel für den Abschied.

Im Rückblick wird auch der jetzige Rücktritt wieder wohlwollen­d betrachtet werden – Lahms Karriere ist eindrucksv­oll, er geht als Führungssp­ieler. So kommunizie­rte er es am Dienstagab­end auch selbst: »Das Ende will ich selber bestimmen.« Abgesehen von der Tatsache, dass er auch noch mit 33 Jahren fast jede Mannschaft der Welt besser machen würde, ist die Frage der Selbstbest­immung aber nur unzureiche­nd beantworte­t. Seit dem vergangene­n Sommer ist der Posten des Sportdirek­tors beim FC Bayern unbesetzt. Diesen hätte Philipp Lahm auch spätestens ab Januar 2018 haben können. Doch er – oder doch Lahms Karrierepl­aner Roman Grill – wollte mehr. Es sollte gleich ein Vorstandsp­osten sein, den gibt es aber nicht. Vorerst hat sich Philipp Lahm wohl verplant.

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Foto: imago/Fotoarena Kapitän mit Weltpokal: Philipp Lahm führte die DFB-Elf 2014 zum WM-Sieg und trat kurz danach zurück. Im Sommer soll nun endgültig Schluss sein.

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