Jetzt ist Manager Maaßen dran
Eindrücke aus dem NSU-Untersuchungsausschuss: Die Aufklärung der Verbrechen scheint immer weniger möglich
Einst hatten NSU-Untersuchungsausschüsse Biss. Das Gremium des Bundestags scheint aber zunehmend ins Leere zu laufen. »Ich kann gar nichts ausschließen.« Und mit Informationen, die über das hinausgehen, was er vor dem ersten NSU-Untersuchungsausschuss gesagt hat, könne er auch nicht dienen. Heinz Fromm, der zwölf Jahre Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz und ein nicht nur erklärter Nazigegner war, ließ am Donnerstag vor dem Untersuchungsausschuss in Berlin zwar Distanz zu seinem Dienst, doch nicht zu seiner Verantwortung erkennen.
2012 war Heinz Fromm zurückgetreten, als ihm klar wurde, wie dreist langjährige Mitarbeiter ihn belogen und betrogen haben. Sie datierten die Vernichtung von relevanten V-Mann-Akten auf den Januar 2011 und rechtfertigten das Schreddern mit geltenden Vorschriften. Tatsächlich fand die Aktion jedoch am 11. November 2011 statt, also wenige Tage, nachdem der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) aufgeflogen war. Man wollte Material loswerden, das von V-Leuten aus dem Umfeld des NSU zusammengetragen wurde.
Mit dem Abstand von fünf Jahren und der Ferne zu Zuträgern wie Dienstherren sieht Fromm wohl etwas klarer, was in der Gesellschaft vorgeht. Umso mehr bedauert er, dass der Dienst unter seiner Leitung die Existenz des rechtsextremistischen Terrorismus nicht erkannt hatte.
Jetzt ist nichts mehr »fromm« im Dienst. Das machte schon das Auftreten seines Nachfolgers vor dem Bundestags-Untersuchungsausschuss klar. Hans-Georg Maaßen zeigte sich selbstbewusst, er spricht langsam. Er verlangt die volle Aufmerksamkeit, auch dann, wenn seine Worte inhaltsleer sind. Maaßen sieht seine Behörde auf einem guten Weg. Man habe den Dienst reformiert, so etwas wie damals käme heute nicht mehr vor. Das Verfassungsschutzgesetz sei geändert worden, damit auch die Zusammenarbeit zwischen dem Bundesamt, den Länderbehörden und der Polizei. Gleiches gelte für die Arbeit mit V-Leuten.
Es hat eine stärkere Rotation der Mitarbeiter in unterschiedlichen Arbeitsbereichen begonnen. Bisher sei es verbreitet gewesen, dass ein Sachbearbeiter oder Referent, wenn er in seiner »Lieblingsposition« angekommen war, dort blieb. Expertise sei gut, doch neue Aufgaben belebten die Denkfähigkeiten. Maaßen ist Manager. Er kann delegieren und will motivieren. Die Zeiten, in denen man im Amt mit »Scheuklappen« und »mangelnder geistiger Flexibilität« arbeiten konnte, seien vorbei. Die Leitung betone den »notwendigen Perspektivwechsel«, fördere die Fähigkeit der Mitarbeiter, die Dinge auch mal »mit einem anderen Blick« zu betrachten. Verbessert wurden Aus- und Weiterbildung. Zudem stelle man jetzt viele Seiten- einsteiger ein – Leute aus geistes- und naturwissenschaftlichen Bereichen.
Die Schredderaktion 2011 sei »eine historische Zäsur für das Bundesamt für Verfassungsschutz« gewesen. Daher gebe es einen Dienst davor und einen danach. Er stehe für den neuen, modernen, auf neue Aufgaben vorbereiteten Dienst. Weg mit Belastendem.
Die Hintergründe der Schredderaktion interessieren Maaßen daher nicht besonders. Damals war er noch im vorgesetzten Bundesinnenministerium. Mit dem für die Reißwolf-Ak- tion mutmaßlich hauptverantwortlichen Referatsleiter hat er nie gesprochen. Er kenne diesen »Lothar Lingen« nicht und von dessen Aussage im Jahr 2014 beim Bundeskriminalamt habe er erst kürzlich aus der Presse erfahren. Danach war dem Schredderer »völlig klar, dass sich die Öffentlichkeit sehr für die Quellenlage des BfV in Thüringen interessieren wird. Die bloße Bezifferung der seinerzeit in Thüringen vom BfV geführten Quellen mit acht, neun oder zehn Fällen hätte zu der … Frage geführt, aus welchem Grunde die Verfassungsschutzbehörden über die terroristischen Aktivitäten der Drei eigentlich nicht informiert worden sind. Die nackten Zahlen sprachen dafür, dass wir wussten, was da läuft, was aber nicht der Fall war. Da habe ich mir gedacht, wenn der quantitative Aspekt, also die Anzahl unserer Quellen im Bereich des Thüringer Heimatschutzes und Thüringen nicht bekannt wird, dass dann die Frage, warum das BfV von nichts gewusst hat, vielleicht gar nicht auftaucht.«
Die Aussage bestätigt Vorsatz und lässt die Frage zu, ob Lingen möglicherweise Rückendeckung von Vorgesetzten hatte. Maaßen bewegtdas nicht übermäßig. Zumal ja mittlerweile 100 Prozent der sogenannten Deckblattmeldungen rekonstruiert worden seien.
Im Fall des VManns »Tarif«, der am Donnerstag gleichfalls befragt worden war, habe man 93 Prozent der Deckblattmeldungen und 76 Prozent seiner gesamten Akte wiederhergestellt. Sagte Maaßen – und die Obfrau der Linksfraktion wunderte sich. Petra Pau hat herausgefunden, dass sämtliche »Tarif«-Berichte zwischen Januar 1998 und September 1999 nicht rekonstruiert wurden. Das ist genau der Zeitpunkt, in dem die mutmaßlichen späteren NSU-Mörder Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und die in München angeklagte Beate Zschäpe untergetaucht waren.
»Tarif« sagte aus, er hätte seinem V-Mann-Führer im Frühjahr 1998 einen entscheidenden Hinweis auf das Trio gegeben – vor dem ersten Überfall, vor dem ersten Mord. Doch der V-Mann-Führer und sein Arbeitgeber, das Bundesamt, behaupten: So ein Hinweis habe nie existiert. Wer lügt?
Maaßen interessiert auch diese Frage nur mäßig. Logisch, das war ja lange vor seiner Zeit. Motto: Wer zurückblickt, hat mehr Probleme. Wie man so allerdings das Versprechen der Kanzlerin, die Terrortaten vollständig aufzuklären, erfüllen will, bleibt offen. Das Wort von Angela Merkel verfällt schließlich nicht, nur weil sie es vor nunmehr fünf Jahren gegeben hat.
Das Wort der Kanzlerin verfällt schließlich nicht, nur weil sie es vor nunmehr fünf Jahren gegeben hat.