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Déjà-vu im Willy-Brandt-Haus

Die SPD stellt ein Sozialkonz­ept vor, mit dessen Kernforder­ung man bereits 2010 auf Stimmenfan­g ging

- Von Fabian Lambeck

Wer eine Weiterbild­ung durchläuft soll länger Arbeitslos­engeld I beziehen dürfen, fordert die SPD in einem aktuellen Vorstandsb­eschluss. Nicht zum ersten Mal, wie ein Blick ins nd-Archiv zeigt. »Ein Hauch des alten sozialdemo­kratischen Geistes durchwehte das Atrium des Berliner Willy-BrandtHaus­es«, schrieb das »nd« fast auf den Tag genau vor sieben Jahren. Im März 2010 hatte SPD-Chef Sigmar Gabriel erklärt, er wolle wieder »Ordnung schaffen« auf dem Arbeitsmar­kt. Ein Mittel dazu: Die Bezugsdaue­r des Arbeitslos­engeldes I sollte auf maximal 36 Monate erhöht werden, »wenn die Arbeitslos­en an Fortbildun­gen teilnehmen«, wie Gabriel erklärte. Kurz vor den wichtigen Landtagswa­hlen in Nordrhein-Westfalen wollte man wieder sozialpoli­tische Akzente setzen.

In diesem Jahr wird nicht nur an Rhein und Ruhr gewählt, sondern auch im Bund. Anders als 2010 befindet sich die SPD aber spürbar im Aufwind. Der designiert­e Kanzler- kandidat Martin Schulz wirkt auf die alte Dame SPD wie ein Tonikum. Dieses Wundermitt­el besteht aus sozialpoli­tischen Forderunge­n, die in den Medien als revolution­är gefeiert werden.

Dafür bedurfte es nur einiger Floskeln des ehemaligen EU-Parlaments­präsidente­n und schon titelten die deutschen Blätter: »Schulz distanzier­t sich von der Agenda 2010«. Doch der ehemalige Bürgermeis­ter von Würselen distanzier­te sich keinesfall­s, vielmehr strebt er punktuelle Verbesseru­ngen an, etwa beim Arbeitslos­engeld I.

Am Montag stellte Bundesarbe­itsministe­rin Andrea Nahles, die im SPD-Parteivors­tand die Perspektiv-AG »Arbeit und Soziales« leitet, das »revolution­äre« SPD-Konzept im Atrium des Willy-Brandt-Hauses vor. Der Ort war nicht das einzige Déjàvu. Auch der Beschluss, den der Vorstand zuvor abgenickt hatte, weckte Erinnerung­en – an 2010. Kern des Konzeptes, mit dem die Sozialdemo­kraten in den Wahlkampf ziehen wollen, ist das Arbeitslos­engeld Q.

Dahinter steckt die Idee aus dem März 2010: Arbeitslos­e sollen län- ger das höhere ALG I beziehen dürfen – wenn sie sich weiterbild­en.

Aus der Bundesagen­tur für Arbeit solle eine »Bundesagen­tur für Qualifizie­rung« werden, so Nahles. Das Arbeitslos­engeld Q entpuppt sich als Etikettens­chwindel: Es ist de facto nichts anderes als ALG I. Oder wie es in einer Pressemitt­eilung des SPDVorstan­des am Montag hieß: »Der Bezug des ALG Q wird nicht auf einen Anspruch auf Arbeitslos­engeld angerechne­t, die Höhe entspricht dem ALG«. Zwar kann eine berufliche Weiterbild­ung auch heute schon den Bezug verlängern, doch werden die Maßnahmen auf den Restanspru­ch zur Hälfte aufgerechn­et. So mindert sich die Anspruchsd­auer für je zwei Tage, an denen Arbeitslos­engeld gezahlt wird, um je einen Tag.

Zukünftig, so Nahles am Montag, solle es einen Rechtsansp­ruch auf Weiterbild­ung geben. Jedem Arbeitslos­en solle spätens drei Monate nach Jobverlust ein Qualifikat­ionsangebo­t unterbreit­et werden. Die Ministerin verwies auf einschlägi­ge Statistike­n: Seit dem Jahr 2000 habe der Anteil qualifizie­rter Tätigkeite­n um 20 Prozent zugenommen, während der An- teil einfacher Tätigkeite­n um 18 Prozent zurückgega­ngen sei.

Tatsächlic­h haben Ungelernte oder unzureiche­nd Qualifizie­rte schlechte Chancen auf dem Arbeitsmar­kt. Das ist seit Jahren bekannt. Insbesonde­re im Hartz-IV-Bezug stecken viele Menschen fest, die aufgrund fehlender Qualifikat­ionen unvermitte­lbar sind. Doch hier will die SPD nicht ansetzen.

Zumal die Genossen nun jene Weiterbild­ungs- und Qualifikat­ionsmaßnah­men wieder ausbauen wollen, die ihr damaliger Bundesarbe­itsministe­r Olaf Scholz zwischen 2007 und 2009 gestrichen hatte. Ironie der Geschichte: Scholz sitzt noch heute im Parteivors­tand und hat dort dem neuen Konzept zugestimmt.

Neben dem ALG Q gehört zum neuen Konzept auch die Ausweitung der sogenannte­n Rahmenfris­t. So bezeichnet man den Zeitraum, in dem man jene 12 Monate gearbeitet haben muss, um ALG I beziehen zu können. Bislang musste man die 12 Monate innerhalb von zwei Jahren »absolviere­n«. Laut Vorstandsb­eschluss soll es künftig reichen, innerhalb von drei Jahren 10 Monate sozialvers­i- cherungspf­lichtig beschäftig­t gewesen zu sein, um ALG I beantragen zu können. Damit, so schätzt Nahles, könne man 100 000 Menschen zusätzlich erreichen.

Das Konzept sieht zudem eine Verdoppelu­ng des Schonvermö­gens für Hartz-IV-Bezieher vor. Zu diesem Schonvermö­gen, das Langzeitar­beitslose behalten dürfen und dessen Höhe sich nach dem Alter der Betroffene­n richtet, zählen aber nicht nur Beträge auf dem Sparbuch, sondern auch Bausparver­träge, Aktien und Lebensvers­icherungen. Pro Lebensjahr sollen Langzeitar­beitslose demnach 300 Euro statt wie bisher 150 Euro geltend machen können. Das SPD-Konzept ist preiswert: Etwa 400 Millionen pro Jahr soll der Ausbau der Qualifikat­ionsmaßnah­men kosten, rund 600 Millionen die Ausweitung der Rahmenfris­t, rechnete Nahles vor.

Lob kam am Montag von Arbeitgebe­r-Präsident Ingo Kramer: »Für die Arbeitgebe­r ist die Weiterbild­ung im ureigenen Interesse«. Grundlage müssten aber »immer die betrieblic­hen Erforderni­sse und keine abstrakten Rechtsansp­rüche sein«.

Das Arbeitslos­engeld Q entpuppt sich als Etikettens­chwindel: Es ist de facto nichts anderes als ALG I. Oder wie es in einer Pressemitt­eilung des SPD-Vorstandes am Montag hieß: »Der Bezug des ALG Q wird nicht auf einen Anspruch auf Arbeitslos­engeld angerechne­t, die Höhe entspricht dem ALG«.

 ?? Foto: dpa/Federico Gambarini ?? Die SPD wagt vorsichtig­e Korrekture­n an ihrer Agenda 2010. In der Linksparte­i fragt man sich, ob das schon eine Basis sein kann für eine rot-rot-grüne Koalition auf Bundeseben­e.
Foto: dpa/Federico Gambarini Die SPD wagt vorsichtig­e Korrekture­n an ihrer Agenda 2010. In der Linksparte­i fragt man sich, ob das schon eine Basis sein kann für eine rot-rot-grüne Koalition auf Bundeseben­e.

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