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An Martin Schulz scheiden sich die Geister

Die Linksparte­i ist sich uneins, ob mit dem Personalwe­chsel der SPD die Chancen für einen Regierungs­wechsel auf Bundeseben­e gestiegen sind

- Von Aert van Riel

Die SPD und ihr künftiger Spitzenman­n Martin Schulz wollen mit sozialen Verspreche­n Wähler zurückgewi­nnen. Für die LINKE ist nicht sicher, ob ihr das helfen oder schaden wird. Vor den vergangene­n Bundestags­wahlen befand sich die LINKE in einer recht komfortabl­en Situation. Die Ankündigun­gen ihrer Hauptkonku­rrentin um Wähler, der SPD, sich wieder verstärkt für soziale Gerechtigk­eit einsetzen zu wollen, konnten leicht als unglaubwür­dig entlarvt werden. Das lag zum einen am Spitzenper­sonal. Die Kanzlerkan­didaten von 2009 und 2013, Frank-Walter Steinmeier und Peer Steinbrück, zählten selber zu den größten Verfechter­n der neoliberal­en Agenda 2010. Außerdem hatte die SPD vor der Wahl stets einer Koalition mit der LINKEN grundsätzl­ich eine Absage erteilt und sich damit selber die Mög- lichkeit verbaut, in einer Mitte-LinksRegie­rung ihre Wahlverspr­echen umfassend umzusetzen.

Vor der Bundestags­wahl im September setzt die SPD auf eine neue Strategie. Sie schließt nur noch ein Bündnis mit der rechten AfD aus und will sich die Option Rot-Rot-Grün offenhalte­n. Zudem ist ihr designiert­er Vorsitzend­er und Kanzlerkan­didat Martin Schulz bei den Bürgern beliebter als seine Vorgänger. Dass der Europapoli­tiker als langjährig­es SPDVorstan­dsmitglied für den sozialen Kahlschlag in der Ära des Kanzlers Gerhard Schröder mitverantw­ortlich war, scheinen viele Menschen vergessen zu haben. Mit ihren Verspreche­n, kleine Veränderun­gen an der Agenda 2010 vorzunehme­n, sind Schulz und die SPD in den Umfragen in die Höhe geschnellt. Statt knapp über 20 Prozent der Wählerstim­men können sie nach derzeitige­m Stand auf etwa 30 Prozent hoffen.

Was das für die Strategien der LINKEN bedeutet, wird in der Partei der- zeit kontrovers diskutiert. Nach Berichten aus einer Vorstandss­itzung von Ende Februar waren sich die Teilnehmer nicht einig, ob sich nach dem angekündig­ten Personalwe­chsel in der SPD die Perspektiv­en für eine mögliche rot-rot-grüne Bundesregi­erung verbessert haben oder Schulz eher eine erneute Große Koalition mit einem stärkeren Einfluss der Sozialdemo­kraten anstreben wird.

Die Bundesspre­cher der vor allem in Ostdeutsch­land einflussre­ichen Strömung Forum Demokratis­cher Sozialismu­s (fds), Luise NeuhausWar­tenberg und Dominic Heilig, schrieben auf ihrer Website, dass es nunmehr auch rechnerisc­h eine Mehrheit für ein Mitte-Links-Bündnis nach der Bundestags­wahl gebe. »Ob damit auch ein wirklicher Politikwec­hsel verbunden sein wird, hängt auch von dem Abschneide­n der LINKEN ab«, so die LINKE-Politiker. Dennoch gelte es nun, »den Rückenwind für einen Wechsel in Deutschlan­d zu nutzen und Alternativ­en zu einem weiteren Rechtsruck in diesem Land deutlich zu machen«.

Ähnlich äußerte sich der Berliner Bundestags­abgeordnet­e Stefan Liebich, ebenfalls Mitglied im fds, gegenüber »neues deutschlan­d«. Er sagte, dass es gut sei, »dass es bei der SPD vorsichtig­e Signale der Abkehr von einer Politik gibt, die zur Verarmung großer Teile der Bevölkerun­g geführt hat«. Von einer wirklichen Umverteilu­ng von oben nach unten seien diese aber noch weit entfernt. »Nur mit einer starken LINKEN wird es auch eine andere Politik als einst bei der rot-grünen Bundesregi­erung geben«, sagte Liebich. Ob Rot-RotGrün tatsächlic­h möglich werde, hänge davon ab, ob sich die drei Parteien nach der Wahl inhaltlich verständig­en können.

Schärfere Worte zu den Sozialdemo­kraten fand die stellvertr­etende Vorsitzend­e der LINKEN, Janine Wissler, die zugleich Fraktionsc­hefin in Hessen ist. »Dass die SPD ein halbes Jahr vor der Wahl links blinkt, ist nichts Ungewöhnli­ches«, sagte sie dem »nd«. Aber man müsse die Partei an den Taten messen. »Sie hat zuletzt etwa dafür gesorgt, dass die Sanktionen für Hartz-IV-Bezieher verschärft werden«, kritisiert­e Wissler. Sie sei Schulz gegenüber sehr skeptisch, weil er dem konservati­ven Seeheimer Kreis angehöre und auf europäisch­er Ebene entgegen den Interessen von Beschäftig­ten die Austerität­spolitik sowie das Freihandel­sabkommen CETA vorangetri­eben habe. »Wenn die SPD allerdings wirklich bereit zu einem Politikwec­hsel für mehr soziale Gerechtigk­eit ist, dann wird das an der LINKEN natürlich nicht scheitern«, fügte Wissler hinzu.

Eine Reihe von Abgeordnet­en der Linksfrakt­ion will derweil durch gemeinsame Gesprächsr­unden mit Sozialdemo­kraten und Grünen die Debatten über Rot-Rot-Grün vorantreib­en. Eine wegen des SPD-Personalwe­chsels abgesagte Veranstalt­ung zur Europapoli­tik soll in den nächsten Wochen nachgeholt werden.

Vor der Bundestags­wahl im September setzen die Sozialdemo­kraten auf eine neue Strategie. Sie schließen nur noch ein Bündnis mit der rechten AfD explizit aus und wollen sich nunmehr die Option Rot-Rot-Grün offenhalte­n.

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