Koalitionsbruch ist kein guter Stil
Anke Rehlinger bekennt SPD-Verantwortung für Agenda 2010, lehnt aber Sofortkorrektur ab
Sie wollen sich nicht von der Großen Koalition mit der Saar-CDU distanzieren. Aber sie wollen die Ministerpräsidentin ablösen – ist das nicht ein schwacher Anlauf? Unsere Erfolge in der Großen Koalition als Sprungbrett zu nutzen, um auf ihnen aufzubauen, ist kein schwacher Anlauf. Diese Erfolge reklamieren Sie für sich, für die SPD … Die wesentlichen Vorhaben des Koalitionsv ertrages sind von der SPD hineinformuliert worden – ähnlich übrigens wie beider Großen Koalition im Bund. Das Langzeit arbeitslosen programm, mit 15 Millionen Euro ausgestattet, das Tarif treue gesetz, also den saarländischen Mindestlohn, hätte es ohne SPD nicht gegeben. Eine Steigerung der Zahl von Krippenplätzen um 80 Prozent, die Bildungsminister Ulrich Commercon durchgesetzt hat, wie auch dieVerd reif achungderG anz tagsschul plätze sind klare SPD-Erfolge. Warum wollen Sie eigentlich Ministerpräsidentin werden? Welcher Missstand im Land kann nur mit einer SPD-geführten Regierung behoben werden? Wir wollen Stabilität, und zwar auf gerechter Grundlage. Die Konzepte dafür haben wir. Und wer will, dass wir in die kostenfreie Bildung einsteigen, muss auch wollen, dass die SPD gewinnt. Investitionen in die saarländische Infrastruktur, von der CDU inzwischen auch angestrebt, haben wir schon vor geraumer Zeit thematisiert. Das sind Impulse der SPD. Die in der jetzigen Regierungskoalition nicht umsetzbar sind? Ich habe mich nicht festgelegt, mit wem ich sie umsetzen will. Ich habe mich festgelegt, welche Ziele ich für notwendig erachte. Was würde anders laufen als bisher, wenn Sie die Regierung führen könnten? Bei der Bildung würde sich etwas ändern: Die CDU will nicht wie wir Ganztagsschulen fördern, Kita- und Krippengebühren verringern und perspektivisch abschaffen. Deshalb braucht es eine starke SPD. Am besten so stark, dass wir die Regierung übernehmen. 100 Millionen Euro an Bundesmitteln sollen ab 2020 dem Land für Investitionen zur Verfügung stehen. Teilen Sie die Auffassung von Ministerpräsidentin Kramp-Karrenbauer, dass bis dahin eine schwierige Durststrecke kommt? Damit hat sie Recht. Ihren Schluss, dass es gerade deshalb eine Große Koalition braucht, teilen Sie nicht? Ich sage, dass es eine starke SPD braucht, um die Lage zu meistern, ohne die soziale Gerechtigkeit zu vergessen. Keine verlockende Aussicht fürs Regieren in den nächsten drei Jahren, oder? Es geht nicht darum, wie verlockend Regieren ist, sondern die Dinge müssen getan werden. Die SPD hat in den letzten Jahren gezeigt, dass sie ein absolut verlässlicher Partner ist. Was kann denn schon erledigt werden bis 2020? Trotz aller finanziellen Einschränkungen muss der Einstieg geschafft werden zur Reduzierung der Kitaund Krippengebühren. Ohne Geld? Wir haben einen Stufenplan, der anfangs noch nicht so viel Geld kostet. Außerdem hoffen wir auch auf eine starke SPD im Bund. Im Regierungsprogramm zur Bundestagswahl wird kostenfreie Bildung eine große Rolle spielen. Jeder Cent, der für dieses Ziel vom Bund kommt, würde uns natürlich helfen. Was sagen Sie zu Überlegungen, sich nicht mit den vereinbarten Millionen vom Bund zu begnügen, sondern die Einnahmesituation zu verbessern? Ich habe einige Vorschläge dazu gemacht. Zur Erbschafts- und Schenkungssteuer zum Beispiel. Die man nur auf Bundesebene durchsetzen kann. Ja, aber das ist über den Bundesrat ja möglich. Außerdem plant die SPD im Bund Vorhaben, die über den aktuellen Koalitionsvertrag hinausgehen. Die Abschaffung der Abgeltungssteuer ist ein Schritt zu mehr sozialer Gerechtigkeit, weil sie Kapitaleinkünfte wie Arbeitseinkommen behandelt. Man muss ja nicht immer dem zustimmen, was Bundesfinanzminister Schäuble für richtig hält. Gerade wenn es um Verteilungsgerechtigkeit geht. Wären nicht Konstellationen auch im Saarland denkbar, die sozialer Gerechtigkeit dienlicher wären? Wie stehen Sie zu einer rot-roten Koalition? Die Wähler wählen keine Koalitionen, sondern Parteien. Deshalb sind alle Spekulationen müßig. Unser Ziel ist es, stärkste Partei zu werden. Wir müssen mit unserem Programm überzeugen und wir sehen uns auf einem guten Weg hierzu. Schreckt Sie die Vorstellung, mit der LINKEN einen unbequemen Partner wie Oskar Lafontaine vor die Nase zu bekommen? Ich leide nicht unter Mangel an Selbstbewusstsein. Egal, in welcher Koalition. Der Gedanke an die Grünen, die man vielleicht für Rot-Rot-Grün brauchte, schreckt Sie auch nicht? Die hatten 2009 in letzter Minute die Jamaika-Koalition bevorzugt. Ein völlig misslungenes Experiment, das 2012 vorzeitig endete. Ein Argument gegen Experimente also. Ein Hinweis, dass die CDU arg danebenlag mit ihrer Risikokalkulation. Vertrauen Sie auf den Schulz-Effekt, der der SPD derzeit so gute Umfragewerte verschafft? Die Kandidatur von Martin Schulz macht uns die Arbeit leichter, gibt der Partei mehr Selbstvertrauen. Aber ich glaube nicht, dass wir im Saarland in gleicher Weise davon profitieren wie die SPD im Bund. Noch ist bei Martin Schulz ziemlich vage, wie er sein Ziel einer gerechteren Gesellschaft erreichen will. Hätten Sie Vorschläge für ihn? Ich teile ausdrücklich das Ziel, Arbeitslosengeld länger zu zahlen an Menschen, die unverdient arbeitslos geworden sind. Aber auch die Regelungen zum Schonvermögen muss man sich noch mal vornehmen. Dass jemand am Ende seines Arbeitslebens alles erarbeitete Vermögen verbrauchen muss, bevor er staatliche Leistungen erhält, das ist auch eine Ungerechtigkeit. Außerdem sachgrundlose Befristungen von Arbeit, die sinkende Rente – da muss die SPD noch mal ran. Hat es der SPD bisher an Sensibilität gemangelt? Ich weiß nicht, warum es so lange gedauert hat, den Mut aufzubringen, diese Missstände in aller Offenheit anzusprechen und anzupacken. Trägt die SPD nicht die Verantwortung dafür, dass es diese Missstände gibt? Ich leugne diese Verantwortung nicht. Ich habe dies auch vor Martin Schulz schon gesagt: Lasst uns Fehler, die wir gemacht haben, auch als Fehler bezeichnen, um sie ändern zu können. Es ist nie einfach, Fehler einzugestehen. Doch es geht nicht darum, wer mal wann was falsch entschieden hat. Ich unterstelle ja keinen bösen Willen etwa beim Thema sinkender Renten. Es ist nicht entscheidend, auf Grund welcher vielleicht falschen Annahmen man auf die Riester-Rente gesetzt hat. Nachdem sie als Mittel versagt, Kapitalausgleich für sinkende gesetzliche Renten zu sein – muss man das System ändern und kann die Renten nicht weiter sinken lassen. All die erkannten Ungerechtigkeiten könnte die SPD aufgrund der aktuellen Mehrheit im Bundestag bereits ändern, wenn sie es wirklich wollte. Die LINKE fordert Sie jedenfalls immer wieder dazu auf. Auch im Saarland haben wir eine strukturelle Mehrheit im Landtag und hören die Vorwürfe der LINKEN. Warum folgen Sie ihnen nicht, wenn die Ungerechtigkeiten Sie doch plagen? Verlässlichkeit ist auch ein Wert in der Politik. Und vereinbarte Koalitionen zu brechen, das wäre kein guter Stil. So macht man keine Politik, weder im Land noch im Bund.