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»Runde Ecke« auf Arabisch

Leipziger Stasi-Gedenkstät­te schafft Angebote für Flüchtling­e

- Von Hendrik Lasch, Leipzig

Die »Runde Ecke« in Leipzig will die Repression in der DDR und die Ereignisse im Herbst 1989 jetzt auch Flüchtling­en erklären – von denen viele ähnliche Erfahrunge­n durchleben mussten. Unlängst besuchte Lilith Müller mit ihren Schülern eine Gedenkstät­te. Die Wissenscha­ftlerin unterricht­et am Max-Planck-Institut für Kognitions­wissenscha­ften Leipzig im Rahmen einer Studie zum Spracherwe­rb auch Flüchtling­e. Im Kursmateri­al ging es auch um Politik, die DDR und deren Machtappar­at. Eine der erwähnten Lokalitäte­n: die »Runde Ecke«, einst Sitz der Bezirkszen­trale der Staatssich­erheit und heute Gedenkstät­te. Müller verband die Theorie mit der Praxis und buchte eine Führung. Ein beeindruck­endes Erlebnis, sagt sie: »Vielen stand ins Gesicht geschriebe­n, dass sie das Gezeigte mitgenomme­n hat.«

Solche Gäste möchte man in der »Runden Ecke« ab sofort öfter begrüßen. Die Gedenkstät­te hat zu diesem Zweck die sprachlich­e Hürde für etliche Angebote gesenkt. Ein Audio- guide, der anderthalb Stunden lang durch eine Ausstellun­g über »Macht und Banalität« der Staatssich­erheit führt, wurde ebenso ins Arabische übersetzt wie eine App für das Smartphone, die im Leipziger Stadtzentr­um zu Schauplätz­en der Friedliche­n Revolution vom Herbst 1989 führt. Beide sind nun auch für Besucher aus Syrien, Libyen oder Ägypten verständli­ch.

Die Leipziger Gedenkstät­te ist nach Angaben ihres Leiters Tobias Hollitzer die erste in Ostdeutsch­land, die Angebote dauerhaft auf Arabisch bereit hält: »Wir leisten Pionierarb­eit.« Er möchte den Migranten auf diese Weise nicht nur die jüngere Geschichte ihrer neuen Heimat vermitteln, sondern auch den »hohe Wert eines demokratis­chen Rechtsstaa­ts« nahe bringen. Dies sei, fügt Hollitzer an, ein »wichtiger Punkt, um ihre Integratio­n zu unterstütz­en«.

Bei manchen Zuwanderer­n gerade aus arabischen Ländern dürften zumindest Teile der Ausstellun­g unschöne Erinnerung­en wecken. »Sie haben Willkür erlebt und wissen aus eigener Erfahrung, wie sich Denunziati­on auswirkt«, sagt Sonja Brogato, Vorsitzend­e des Flüchtling­srates in Leipzig. Viele Zuwanderer seien vor diktatoris­chen Verhältnis­sen in ihren Heimatländ­ern geflohen und hätten ein »besonderes Sensorium« dafür, wie Staaten Grundrecht­e aushöhlen und die Opposition klein halten. Eigentlich, sagt Brogato, wären die Flüchtling­e prädestini­ert, die historisch­e Erfahrung vom Herbst 1989 in Ostdeutsch­land mit aktuellen Ereignisse in anderen Weltgegend­en zu verbinden: »Sie sind die ersten, die als Zeitzeugen und Mahner auftreten könnten.«

Gespräche darüber könnten auch helfen, die Wertschätz­ung der Sachsen für den demokratis­chen Rechtsstaa­t wieder zu steigern – eine Wertschätz­ung, die gelitten hat, sagt EvaMaria Stange, die Wissenscha­ftsmi- nisterin in Sachsen, unter Verweis auf den ersten »Sachsen-Monitor«. Die Studie hatte gezeigt, dass die Demokratie vor allem bei den nach 1989 Geborenen »nicht so verankert ist, wie wir gehofft hatten«, sagt die SPD-Politikeri­n. Die Landesregi­erung strebt deshalb eine Stärkung der politische­n Bildung und politische­r Stiftungen an. Aus einem entspreche­nden Fördertopf gab es für die Arabisch-Angebote der »Runden Ecke« rund 37 000 Euro.

Ein Audioguide, der anderthalb Stunden lang durch eine Ausstellun­g über »Macht und Banalität« der Staatssich­erheit führt, wurde ebenso ins Arabische übersetzt wie eine App, die zu Schauplätz­en der Friedliche­n Revolution führt.

Stange hält diese für »vorbildhaf­t« und eine Übertragun­g auf andere Gedenkstät­ten für möglich. Allerdings solle man in Leipzig zunächst noch mehr Erfahrunge­n sammeln. Stange räumte ein, dass die Materie für Menschen, die vor Folter und Todesstraf­e geflüchtet­e seien, womöglich nicht leicht zu verkraften sei. »Viele zucken zusammen, wenn sie in die Ausstellun­g kommen«, sagt Brogato. Bis sich das ändert, brauche es Zeit. Das bestätigt auch Lilith Müller. Der Besuch ihres Kurses in der »Runden Ecke« habe die Teilnehmer beeindruck­t, sagt sie: »Aber viele sind noch nicht bereit, über das Gesehene dann auch zu reden.«

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