nd.DerTag

Sturmtief über Präsident Macri

Gastón Chillier über die Großkundge­bung gegen die argentinis­che Regierung und die Effekte der Strukturan­passung

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Im Wahlkampf hatte Mauricio Macri eine Revolution der Freude versproche­n, falls er Präsident werden würde. Seit 15 Monaten ist er Argentinie­ns Präsident. Ist die Revolution der Freude in Sicht? Mitnichten. Die ist nicht zu sehen. Und das hat Gründe. Man muss sich nur die Entwicklun­g in dieser Zeit anschauen: Mehr als 100 000 Menschen haben ihren Job verloren, alle sozialen Indikatore­n haben sich verschlech­tert, das Lohnniveau sank um neun Prozent, bei einer Inflation von 40 Prozent 2016. Gemäß der Päpstliche­n Katholisch­en Universitä­t Argentinie­ns (UCA) hat die Zahl der Armen seit Macris Amtsüberna­hme im Dezember 2015 um 1,5 Millionen Menschen zugenommen. Die UCA beobachtet seit Jahrzehnte­n die Armutsentw­icklung und hat deswegen sehr aussagekrä­ftige Daten. Was ist aus dem Verspreche­n des wirtschaft­lichen Aufschwung­s geworden? Bisher nichts. Die Regierung Macri hat eine Flut ausländisc­her Investitio­nen versproche­n, die nicht gekommen ist. Klar ist: Der Kern dessen, was die neue Regierung verkörpert, ist die Umverteilu­ng des Reichtums von unten nach oben. Das ist der Unterschie­d zu den Regierunge­n der Kirchners (Néstor 2003-2007, Cristina 2007-2015, d. Red.), die bei allen Problemen, die sie zum Beispiel mit Korruption hatten, für das Gegenteil standen: eine bessere Verteilung des Reichtums in Richtung der ärmsten Sektoren. Das wird auch durch die Daten der UNWirtscha­ftskommiss­ion für Lateinamer­ika und die Karibik (CEPAL) bestätigt: Zum ersten Mal wurde durch die progressiv­en Linksregie­rungen in Lateinamer­ika die Ungleichhe­it der Einkommens­verteilung, die Schere zwischen Arm und Reich, verringert, auch wenn es nicht gelungen ist, die Strukturen der Ungleichhe­it an sich zu brechen. Aber immerhin das Niveau der Ungleichhe­it hat sich während der Ära der Linksregie­rungen in weiten Teilen Südamerika­s reduziert. (u. a. Argentinie­n, Brasilien, Uruguay, Bolivien, Ecuador, Venezuela im Zeitraum von 2005 bis 2015, d. Red.) Das gilt auch für Argentinie­n. Bei allen Problemen hat es die Sozialpoli­tik der Kirchners geschafft, bei den Indikatore­n der Armut Verbesseru­ngen zu erzielen, auch wenn die Sozialpoli­tik nicht alle armen Sektoren erreicht hat. Macri selbst ist Unternehme­rspross, wie hat sich das auf seine Kabinettsz­usammenset­zung ausgewirkt? Deutlich. Im Volksmund wird die aktuelle als Regierung der CEOs (Vorstandsv­orsitzende, Unternehme­nsbosse, d. Red.) bezeichnet. Positiv ist, dass es die Rechte in Argentinie­n erstmals über Wahlen geschafft hat, an die Martin Ling. Regierung zu kommen, also ohne Militärput­sch wie in der Vergangenh­eit. Aber das Paradigma dieser Regierung ist eindeutig die Verteilung des Reichtums in Richtung der wohlhabend­sten Sektoren. Das lässt sich an ein paar Maßnahmen der Regierung nach Amtsüberna­hme zeigen: die Freigabe des Wechselkur­ses Peso zum Dollar mit der massiven Abwertung des Peso um rund 50 Prozent als Folge, die Aufhebung der Agrarexpor­tbesteueru­ng beziehungs­weise der Senkung beim Soja, die Abschaffun­g der Steuern auf den Bergbau. Das bedeutet eine Umverteilu­ng von etwa 60 Milliarden Peso (4 Milliarden Dollar) zugunsten der Oberschich­t. Deshalb: Wahrschein­lich wird die Freude bei der ökonomisch­en Elite und der Oberschich­t durchaus beträchtli­ch gegeben sein, bei der Mittelschi­cht und der Unterschic­ht hält sie sich sicher in Grenzen. Für den 7. März hat die größte argentinis­che Gewerkscha­ft, die CGT, zu einer Demonstrat­ion gegen die Regierung Macri aufgerufen. Dessen ungeachtet ist die Regierung Macri die erste nicht-peronistis­che Regierung der argentinis­chen Geschichte, die das erste Jahr ihrer Amtszeit ohne Generalstr­eik überstande­n hat. Wie erklärt sich das? In Bezug auf die CGT erklärt sich das meines Erachtens durch die Eigendynam­ik innerhalb der CGT, wechselnde­r Führungen in der CGT und ihres Verhaltens gegenüber unter- schiedlich­en Regierunge­n. In der CGT folgte auf die Langzeitre­gentschaft von Hugo Moyano (20042016, zudem Chef der einflussre­ichen Truckergew­erkschaft, d. Red.) seit 2016 eine Dreimänner­herrschaft. Die hat in vielen Punkten mit der Regierung verhandelt, das eine oder andere herausgeho­lt und dafür Macri von einem Generalstr­eik verschont. Dessen ungeachtet gab es einige wichtige Großdemons­trationen gegen Macri. Die Basis der CGT macht auch Druck auf die Führung, weil es viel Unzufriede­nheit mit der wirtschaft­lichen Entwicklun­g gibt, mit dem sinkenden Lohnniveau, mit der sinkenden Beschäftig­ung, mit dem Pakt der Regierung mit den Unternehme­n, keine Leute zu entlassen, was sie trotzdem weiter gemacht haben. Zudem hat die Liberalisi­erung, die Erleichter­ung von Importen die heimische Wirtschaft negativ betroffen und für Jobeinbuße­n gesorgt. Dem kann die CGT nicht dauerhaft tatenlos zusehen. Es gibt aber auch in Unternehme­rkreisen Unzufriede­nheit mit der Ausrichtun­g der Wirtschaft­spolitik. Macri hat noch nicht klar gezeigt, wohin Argentinie­n geht, was sein Projekt ist und die Wirtschaft dümpelt vor sich hin, mit niedrigem Wachstum, hoher Inflation, hohem Haushaltsd­efizit, Tariferhöh­ungen bei Strom und Wasser. Es gibt viel Unmut. Aus Kreisen der zweitgrößt­en Gewerkscha­ft CTA und ihres Ablegers CTAa wurde mir zugetragen, dass die CTA und die CTAa noch im März einen Generalstr­eik anstreben und erhoffen. Am 24. März ist der Jahrestag des Militärput­sches, der in die vergangene Diktatur (1976-83) mündete, am 8. März hat die Frauenbewe­gung »Ni una menos« (Nicht eine weniger) zum Streik und zu einer Massenkund­gebung aufgerufen. Gibt der Kalender überhaupt noch einen Termin für einen Generalstr­eik im März her? Das wird eng. Der 24. März bleibt auch unter Macri ein Gedenktag an die Diktatur. Im März seh ich keinen Generalstr­eik, aber klar ist: Es gibt viele, die in diese Richtung denken, nicht nur die CTA und die CTAa. Wenn sich die Politik der Regierung nicht ändert, wenn sich die wirtschaft­liche Entwicklun­g nicht verbessert, dann rückt ein Generalstr­eik näher.

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Foto: AFP/Juan Mabromata
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Gastón Chillier ist seit 2006 Leiter des Centro de Estudios Sociales y Legales (CELS). Das CELS in Buenos Aires ist eine der renommiert­esten Menschenre­chtsorgani­sationen Argentinie­ns, die noch während der Militärdik­tatur (1976-83) gegründet wurde. Der...

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