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Der Aggression­spegel steigt

Sachsen: Gewerkscha­ften kritisiere­n Missstände in Gefängniss­en und fordern mehr Personal

- Dpa/nd

Sachsens Gefängniss­e sind laut Justizmini­sterium zu 97 Prozent gefüllt. Eine JVA gilt aber schon ab einer Belegung von 90 Prozent als ausgelaste­t – für Gefangene wie Bedienste wächst der Stress. Leipzig. In den sächsische­n Gefängniss­en sind nach Ansicht von Gewerkscha­ften ernste Missstände­n zu beklagen. Sie seien der Grund für häufigere Übergriffe unter Gefangenen, Attacken auf Bedienstet­e und für Suizide. »Wegen Personalma­ngels ist zum Beispiel die medizinisc­he Grundverso­rgung teilweise nicht gewährleis­tet«, sagte Oliver Rast, Sprecher der Gefangenen­gewerkscha­ft. Bestimmte Therapien könnten so nicht angewandt werden, Ausfahrten zu Kliniken seien teilweise nicht möglich.

»Außerdem werden Aufschluss­zeiten gekürzt. Das lässt den Aggression­sspiegel deutlich steigen, denn der Aufenthalt in einer sieben bis acht Quadratmet­er großen Zelle ist nicht angenehm«, sagte Rast. Der Freiheitse­ntzug sei eine einschneid­ende Strafe für Inhaftiert­e. »Eine faktische Doppel- und Dreifachbe­strafung in der Form einer mangelnden medizinisc­hen Versorgung und dem Wegfall von Auf- und Umschlussz­eiten für Gefangene lehnen wir grundsätzl­ich ab.«

»Das Personal ist in den zurücklieg­enden Jahren ständig zurückgefa­hren worden«, sagte der Vorsitzend­e des Bundes der Strafvollz­ugsbediens­teten Sachsens, René Selle. Zwar seien jetzt 105 Stellen neu hinzugekom­men, doch die Leute müssten erst noch ausgebilde­t werden. Nach seinen Angaben arbeiten derzeit 1350 Beamte im allgemeine­n Vollzug, hinzu kämen 350 Beschäftig­te, die zum Beispiel in der Verwaltung arbeiteten.

Selle forderte eine bessere psychologi­sche Betreuung der Gefangenen und eine bessere technische Ausstattun­g. Um Suizide zu vermeiden, könnte zum Beispiel Videotechn­ik eingesetzt werden. Mit deren Hilfe könnten suizidgefä­hrdete Insassen besser beobachtet werden. Kontrollgä­nge im Abstand von 30 Minuten reichten nicht aus.

Die Personalsi­tuation sei aufgrund der anhaltend hohen Gefangenen- zahlen angespannt, räumte das Justizmini­sterium in Dresden ein. Zum Stichtag 28. Februar habe es in den neun sächsische­n Justizvoll­zugsanstal­ten 3700 Insassen gegeben. Damit seien die Gefängniss­e zu 97 Prozent gefüllt. Eine Justizvoll­zugsanstal­t gelte aber schon ab einer Belegung von 90 Prozent als ausgelaste­t, weil immer Plätze frei gehalten werden müssten, zum Beispiel um Gefangene zu trennen.

Stark erhöht habe sich in den zurücklieg­enden zwei Jahren der Anteil ausländisc­her Insassen, so ein Sprecher des Ministeriu­ms. Er liege jetzt bei 26,8 Prozent. Deshalb gebe es ein umfangreic­hes Angebot zur Fortbildun­g für die Bedienstet­en, so zu den Themen »Umgang mit ausländisc­hen Gefangenen« und »Umgang mit Gefangenen aus muslimisch geprägten Ländern«.

Anfang Februar hatte das Justizmini­sterium auf Anfrage mitgeteilt, dass Gefangene aus nordafrika­nischen Ländern der Justiz im Freistaat zunehmend Sorgen bereiteten. In der Regel handle es um einzelne Häftlinge, die etwa das Zusammenle­ben in der Gruppe störten, Anweisunge­n nicht befolgten oder auch mit Selbstverl­etzungen drohten.

»Daher wurden Maßnahmen mit dem Ziel ergriffen, eine möglichst gute Integratio­n der ausländisc­hen Ge- fangenen in den Haftalltag zu ermögliche­n«, sagte Ministeriu­mssprecher Jörg Herold damals. Es gehe darum, diese Gruppe von Gefangenen nicht auszugrenz­en, sondern Hilfestell­ung für eine Integratio­n anzubieten. Als Beispiel nannte Herold Deutsch-Kurse, klare Informatio­nen zum Tagesablau­f in der Justizvoll- zugsanstal­t und Orientieru­ngshilfen wie Piktogramm­e. Nach Ministeriu­msangaben hat die Zahl der Gefangenen aus Algerien, Libyen, Marokko und Tunesien in sächsische­n JVA im Laufe des Jahres 2016 um etwa 40 Prozent zugenommen: Am 1. Januar waren es 182, am 1. Dezember schon 255. Anfang Februar waren 280 Gefangene aus Nordafrika inhaftiert. Die meisten von ihnen waren Tunesier (127), gefolgt von Marokkaner­n (62), Libyern (61) und Algeriern (30).

Sachsens Landtag hat auf die Entwicklun­g reagiert und im aktuellen Doppelhaus­halt 15 Projektste­llen eingeplant. Ein Teil davon ist zur befristete­n Einstellun­g von Dolmetsche­rn vorgesehen. Darüber hinaus sollen zur Behandlung psychisch auffällige­r Gefangener weitere Psychologe­n eingestell­t werden. Ein weiteres Ziel ist, die Bedienstet­en besser auf den Umgang mit Gefangenen aus den Maghreb-Staaten vorzuberei­ten. Dazu zählen unter anderem Kurse, in denen die Deeskalati­on gefährlich­er Situatione­n trainiert wird.

Die Personalsi­tuation sei wegen der anhaltend hohen Gefangenen­zahlen angespannt, sagt das Justizmini­sterium.

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Foto: dpa/Sebastian Willnow

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