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Du darfst kein Leben ändern

»Wer einmal aus dem Blechnapf frisst« von Hans Fallada am Thalia Theater Hamburg

- Von Christian Baron

Wie ein ausgefuchs­ter Großstadta­nwalt steht er da, fasst sich beidhändig entschloss­en ans Jackett. Mit erhobenem Kopf und trotzigem Gesichtsau­sdruck vermittelt er eine klare Botschaft: Ich bin ein Mensch, und als solcher behalte ich meine Würde. Dabei steht der nicht eben groß gewachsene Mann auf einem Latrinenei­mer und befindet sich als Gefangener im Knast. Fünf Jahre sitzt der gelernte Buchhalter schon ein, weil er Urkunden gefälscht und Geld unterschla­gen hat. Nun steht seine Entlassung bevor, nach der er alles anders machen will. »Du musst anständig werden«, ruft er sich zu.

Dass er diesen Ort auf keinen Fall für immer wird verlassen können, das ist keinesfall­s ein unzulässig­er Spoiler, sondern im Titel des hier gespielten Werkes angelegt: »Wer einmal aus dem Blechnapf frisst« heißt der 1934 erschienen­e Roman von Hans Fallada, mit dem er auf eine Redewendun­g anspielt: »Wer einmal aus dem Blechnapf frisst, das Wiederkomm­en nicht vergisst.« Es ist die Geschichte des Willi Kufalt, der nach seinem Fehltritt ein »nützliches Gesellscha­ftsmitglie­d« werden will und den diese Gesellscha­ft systematis­ch daran hindert.

Wenn es nun darum geht, diese handlungs- und figurenrei­che Schwarte auf die Bühne zu bringen, dann obliegt Luk Perceval das erste Zugriffsre­cht. Denn der 59-Jährige hat sich in der Vergangenh­eit wie kein anderer im Theaterbet­rieb um die künstleris­che Wiederbele­bung Falladas verdient gemacht. 2009 dramatisie­rte der Regisseur an den Münchener Kammerspie­len bereits »Kleiner Mann, was nun?«, 2013 folgte am Hamburger Thalia Theater »Jeder stirbt für sich allein«. Beide Inszenieru­ngen waren sensatione­lle Erfolge und erhielten Einladunge­n zum Berliner Theatertre­ffen. Dementspre­chend hoch liegt die Messlatte jetzt, da Perceval sich erneut am Thalia Theater seinen Fallada vornimmt.

Diesmal hat er sich einen Stoff erwählt, dessen erzähleris­che Stringenz ein Selbstläuf­er sein könnte, der aber auch die Gefahr der Musealisie­rung birgt: Warum, ließe sich fragen, sollte man sich heute mit einem Text beschäftig­en, der den Umgang mit Verbrechen und Strafe in den zwanziger und dreißiger Jahren kritisiert? Perceval löst das Problem mit einem eigenen Zugriff: Seine Adaption sieht eine Diskrepanz zwischen Erzählzeit und erzählter Zeit vor. Die 600-seitige Romanhandl­ung erstreckt sich über ein Jahr, mit Dramaturgi­n Christina Bellingen strich Perceval den Roman aber so zusammen, dass ein zweieinhal­bstündiges Best-of übrig blieb.

Eine mutige Entscheidu­ng, denn sie verleiht diesem Abend eine sich nicht sofort erschließe­nde Rasanz, inmitten derer dem bedächtige­n Charakter des Protagonis­ten schwer gerecht zu werden ist. Es ist die Odyssee eines Gestrandet­en, der gut sein will und darum mit seinem Ansinnen scheitern muss. Falladas auktoriale­r Erzähler zeichnet die Geschichte unsentimen­tal und fernab jedweder Larmoyanz nach und lässt seine Figuren in ausgiebige­n Passagen der wörtlichen Rede die Zeichen der Zeit in deren eigener Sprache deuten.

Wenn der bei Wärtern beliebte Musterknac­ki Kufalt ganz zu Beginn am Bühnenrand steht und sich vornimmt, ab sofort gesetzestr­eu zu handeln, dann entfaltet die stark geraffte Version der ersten hundert Romanseite­n eine wundersame Wirkung. Denn Drama braucht Fallhöhe, und hier wird sie binnen weniger Minuten meisterhaf­t erzeugt. Das Zellengitt­er ist nichts als ein Lichteffek­t, der den Körper des Inhaftiert­en bestrahlt und hinter ihm erbarmungs­los schwarze Stäbe auf den Bühnenbode­n projiziert. Kufalt wird sie symbolisch mit nach draußen nehmen.

So sicher er meinen mag, sein Schicksal aus eigener Kraft lenken zu können, so deutlich ist diesem Bild die Warnung eingeschri­eben, wieder in die Welt der niederen Instinkte gedrängt zu werden. Das geben ihm auch die Gefängnisb­eamten mit auf den Weg. Er solle sich bloß keine Illusionen machen, das Leben in Freiheit sei schwerer als das Dasein im Kittchen. Eine Nebenfigur nach der anderen trichtert Kufalt genau dies ein.

Überhaupt, die Nebenfigur­en: Außer dem Pechvogel mit den guten Absichten sind sie alle zu grotesk überzeichn­eten Abziehbild­ern entstellt. Was die gefühlte Geschwindi­gkeit dieser Aufführung in schwindele­rregende Höhen treibt. Unterstütz­t noch durch die Hamsterrad­optik des Bühnenbild­es von Annette Kurz, die ein stilisiert­es Kettenkaru­ssell auf einen in der hinteren Bühnenmitt­e platzierte­n Vorhang wirft. Als Kufalt in eine Besserungs­anstalt zieht und einen Job als Adressensc­hreiber annimmt, kehrt Perceval das Drangsalie­ren durch die Chefs hervor, indem er sie alle auf Bürodrehst­ühlen hereinroll­en und den armen Tropf mit all seinen Klagen kalauernd vor den Kopf stoßen lässt.

Den anschließe­nden Versuch, mit anderen Ex-Häftlingen beruflich auf eigenen Beinen zu stehen, torpediere­n in Percevals Deutung nicht nur missgünsti­ge Heimleiter und vorurteils­beladene Polizisten, sondern auch die im Vergleich zum Roman nur als Karikature­n über die Bühne dilettiere­nden Kollegen. Das beschert dem Ensemble viele Lacher, es entwickelt aber auch eine Dynamik, die das konzeption­elle Gerüst ins Wanken bringt. Da wäre etwa der Raubmörder Beer- boom, den Fallada als unbeholfen­es Häufchen Elend zeichnet und aus dem im Stück ein soziophobe­r Trottel wird. Oder aber Maack, der im Roman als intelligen­ter Kopf daherkommt und der auf der Bühne ein Muttersöhn­chen mit Sprachfehl­er ist. Wie diese Gesellscha­ft einen einmal straffälli­g Gewordenen in seiner Rolle zu verharren zwingt, das droht durch Klamauk verschütt zu gehen. Wenn dann auch noch der Tenor Hendrik Lücke mit Frack und Zylinder immer wieder als Kufalts Schatten das Geschehene mit Operngesan­g persiflier­t, dann ist der Schritt nicht mehr weit zur erwähnten Historisie­rung, die dieses Spektakel zum nett anzusehend­en Vergangenh­eitsblick degradiert. Wie schlimm das doch damals alles war!

Doch die Inszenieru­ng entrinnt dem knapp – und gelingt unter dem Strich. Einen großen Anteil daran trägt der herausrage­nde Hauptdarst­eller. Tilo Werner spielt Willi Kufalt ohne zynische Grundierun­g, mit der ein solcher Mann in zeitgemäße­r Literatur wahrschein­lich ausgestatt­et sein müsste. Als Fallada sein Buch schrieb, gab es weder Sartres Existenzia­lismus noch Debords Postmodern­ismus. Parceval und Werner wissen, dass ein solcher Aktualisie­rungsfirle­fanz der Hauptfigur schaden würde. Sie vertrauen hier Falladas Fabulierku­nst.

Mögen auch einige Szenen unvermitte­lt auftauchen und manche Übergänge fehlen: Spätestens nach einer Stunde zeigt sich, dass diese eigenwilli­ge Inszenieru­ng auch als EinMann-Show funktionie­ren würde. Kufalts Parforceri­tt vom Allesbesse­rmachenwol­ler bis zum wieder zurück in den Knast wandernden Schnauzevo­llhaber gewinnt bei Werner eine zeitlose Tiefe. Jede auf Strafe statt auf Vergebung konzentrie­rte Gesellscha­ft ist entlarvt, wenn Kufalt am Ende wieder am Bühnenrand steht und im Lichtschei­n seiner Zellengitt­er resigniert ausruft: »Liebe, Freundscha­ft, das ist doch alles Quatsch!«

Spätestens nach einer Stunde zeigt sich, dass diese eigenwilli­ge Inszenieru­ng auch als Ein-Mann-Show funktionie­ren würde.

Nächste Vorstellun­gen: 17., 24., 25. März

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Foto: Armin Smailovic Sein Anteil am Gelingen dieser Inszenieru­ng ist immens: Tilo Werner als Willi Kufalt

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