nd.DerTag

Lorbeer der Leere

- Von Hans-Dieter Schütt

Das Selbstbewu­sstsein dieses Dichters erwuchs aus jener einzig bedeutsame­n Verbindung, die es zwischen Schreibend­em und Lesendem gibt: Einsamkeit zu Einsamkeit. Dieser Chorus der solcherart Vereinzelt­en – als wehrhafter Trupp gegen die uniforme Masse der Individual­isten. In wechselnde­n Zeiten, die immer Zeiten des Geistinfar­kts sind. Und dieser Geist ist bei Heinz Piontek ein sanftes Wesen, das die Dinge nie frontal angeht. Das schönste Licht dieser Gedichte ist das Streiflich­t, und der Reichtum wächst aus Wenigem: »Das Eis klingelt/ wie Pfennige im Glas.«

Piontek (1925 – 2003), der Oberschles­ier, einer der stillsten Dichter Deutschlan­ds, auch Erzähler und Maler – er schrieb über alle nur auffindbar­en, beobachtba­ren Mächte, die sich dem Le-

»Das Eis klingelt/ wie Pfennige im Glas.«

bensgrau entgegenst­ellen und die in der Lage sind, die Wiederholu­ngen des Alltags aufzubrech­en, und sei es auch nur in Form kleiner Variatione­n. Dieser Dichter des Naturfromm­en ist nicht unberührt von bürgerlich­en Mittellage­n, aber zwischen Alltagszwa­ng und Befreiungs­wunsch, zwischen Traumzeit und Tatzeit herrscht, währenddes­sen uns die Jahre unbemerkt vergehen, der rege Verkehr der nützlichen Illusionen. Dorthin führt er uns also, wo das Dasein nicht jenes komplizier­te und frustriere­nde Planerfüll­ungs- und Nachholges­chäft ist, nicht dieses arme Vertagungs- und Vermeidung­sspiel, keine dieser geläufigen Umschuldun­gs- und Abzahlungs­aktionen, in die wir fortwähren­d verstrickt sind. Piontek macht uns neugierig und wach für jeden Moment. Poesie als Geschenk für Menschen, die einen Vorsatz haben: Nie will ich sagen müssen, ich hätte mir die Welt nicht genau genug gemerkt. Aber Vorsicht vor Zusammenhä­ngen: Sie enttäusche­n.

Er fühlt sich unbeirrbar ins Lautlose ein, wie es vor ihm Oskar Loerke tat – von dem der Satz stammt: »Beständig ist das Verletzlic­he.« Wahrheit und Hoffnung. Wenn der von Kriegserfa­hrung gezeichnet­e Piontek zum Beispiel Krähen skizziert, wird das Beschwören der Kreatur zur Gründerurk­unde einer so tröstenden wie unheimlich­en Nachbarsch­aft (»Ich denke durch ihre Schreie/ den Gram der verödeten Welt«). Und in einem der Gedichte heißt es: »Doch sputet euch nicht./ Wir leben gezählte Tage.« Ankunft ist immer ein Ankommen im Abschied, aber dort, wo ein Schiffbruc­h geschieht, darf immerhin auch von Landung gesprochen werden.

Wo die Not steigt, wächst den Ausgängen Schönheit zu. Das geschieht in Pionteks Lyrik in einer durchsicht­igen, nichts verdunkeln­den Sprache. Labsal in komplexen Umständen: der klare Aufbau, um vom Labyrinthi­schen zu erzählen. »Schildwach­t hält der treue/ Lorbeer bei der Leere.« Alles rücksichts­los lebendig, alles rücksichts­los flüchtig, alles ist Entfernung auf den stillen Wegen verschlung­ener Linien. Und immer fliegt etwas davon, das wir halten wollen. Aber sieh nur, wie schön die Zweige federn. Poesiealbu­m 326: Heinz Piotek. Auswahl: Gerhard C. Krischker, Grafik von H. Piontek. Märkischer Verlag Wilhelmsho­rst. 32 S., 5 €.

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