Gutes Leben – mit Abholzung und Brandrodung
Boliviens Regierung versprach einst den schonenden Umgang mit den natürlichen Ressourcen – die Realität sieht anders aus
Für schonende Ressourcennutzung wirbt Boliviens Regierung. Doch die Förderung nachhaltiger Landwirtschaft hat in dem armen Land keine Priorität. Profiteur ist auch ein großer Futtermittelkonzern in den USA. Jedes Jahre werde in Bolivien eine Fläche in der Größe von 204 000 Fußballfeldern entwaldet, vermeldete kürzlich die Stiftung »Tierra«. Allein zwischen 2000 und 2015 hat das Land 3,26 Millionen Hektar Wald verloren, wie aus Statistiken des Umweltministeriums hervorgeht. Auch mit dem Regierungsantritt von Boliviens erstem indigenen Präsidenten, Evo Morales, hat es keine Abkehr von der Abholzungspolitik gegeben.
»Die Agrarpolitik der Regierung ist komplett unverantwortlich«, kritisiert Patricia Molina, Direktorin des Forums Umwelt und Entwicklung aus La Paz, gegenüber »nd«. Jüngstes Beispiel sei die Ausweitung des Kokaanbaugebiets in der Urwaldprovinz Chapare im tropischen Tiefland Boliviens und in den Yungas-Tälern, so die Agrarexpertin. »Das geht auf Kosten des Regenwaldes.« Der Präsident bediene die Interessen seiner Klientel, der Kokabauern, und habe sich mit dem Sojaplantagensektor arrangiert, moniert Molina. Dabei gehe die Regierung verschwenderisch mit den natürlichen Ressourcen um, denn die »Frontera Agricola«, die Grenze der agrarischen Flächennutzung, werde immer weiter in den Urwald getrieben. Zehn Millionen Hektar habe die Regierung zur Verfügung gestellt – insbesondere für die Ausweitung des Sojaanbaus.
Das geht einher mit hohen Abholzungsquoten, die Bolivien je nach Statistik an die Spitze der waldvernichtenden Länder oder zumindest unter die ersten vier katapultiert haben. Mit der offiziell angestrebten Ressourceneffizienz ist das ebenso wenig vereinbar wie mit dem »Buen Vivir«, dem guten Leben im Einklang mit der Natur, das die Regierung propagiert. Das ist in den letzten ein bis zwei Jahren immer weiter in den Hintergrund gerückt und der wichtigste Protagonist des »Buen Vivir«, Außenminister David Choquehuanca, verlor im Januar seinen Posten. Schon zuvor musste sich Bolivien immer wieder Kritik am Umgang mit den eigenen Ressourcen gefallen lassen. Gerade in der Region Santa Cruz, dem Zentrum der industriellen Soja-, Maissowie Geflügelproduktion, wird nicht nachhaltig gewirtschaftet.
Das agroindustrielle Wirtschaftsmodell wurde in der Vergangenheit auch immer wieder vom Präsidenten persönlich verteidigt. Morales argumentiert mit der Verteidigung der »Nahrungsmittelsouveränität« seines Landes. Er verliere dabei aber aus den Augen, dass mehr als 70 Prozent der Sojabohnen aus Bolivien direkt in den Export ginngen, kritisiert Umweltaktivistin Molina. »Hier werden immer wieder Begrifflichkeiten vermengt, die nicht immer zueinander passen.«
Das kritisiert auch Rafael Puente, Vize-Innenminister im ersten Kabinett von Evo Morales. Schon 2010 bei einem Klimagipfel in Cochabamba wies er darauf hin, dass sich die Politik der Regierung immer weniger am Schutz der natürlichen Ressourcen orientiere. Damals ließ der MoralesStellvertreter Álvaro García Linera aufhorchen, als er eine Übergangszeit beanspruchte, in der sich Bolivien erst industrialisieren müsse und folgerich- tig auch mehr Treibhausgase ausstoße. Wie Puente kritisiert, wurde beim Plädoyer für die Rohstoffförderung, die das Land aus Hunger und Perspektivlosigkeit führen sollte, nicht immer auf die Bedingungen geachtet, unter denen abgebaut wurde. »Das halte ich für einen falschen Ansatz. Man muss doch nicht die Fehler der anderen wiederholen.«
Doch genau das werfen nicht nur Umweltorganisationen, sondern auch Journalisten der »New York Times« der Regierung vor. Brandrodung sei im Sojagürtel Boliviens weit verbreitet und US-amerikanische Agrarkonzerne wie Cargill, der größte Sojaaufkäufer in Bolivien, würden sich nicht um die Anbaubedingungen scheren. Das Soja landet übrigens als Futtermittel auf Rinderfarmen in den USA, die Fast-Food-Ketten wie Burger King beliefern.