Die schwarze Null, Schäuble und der IWF
Wenn es um Griechenland und andere verschuldete Ökonomien geht, erscheint die »Expertise« des Internationalen Währungsfonds (IWF) der deutschen Bundesregierung als unverzichtbar. Die angebliche fachliche Kompetenz des IWF wird immer dann ins Feld geführt, wenn der europäischen Peripherie Austeritätsprogramme zu verordnen sind. Geht es aber darum, die eigene Wirtschaftspolitik kritisch zu betrachten, dann sind Argumente des IWF noch nicht einmal der Erwähnung wert.
Kritische Äußerungen seitens der Bretton-Woods-Institution gegenüber der deutschen Spar- und Wirtschaftspolitik sind nicht neu. Immer wieder findet sich in Veröffentlichungen des IWF die Empfehlung, Staaten mit starker fiskalischer Position sollten eine expansive Haushaltspolitik betreiben – auch um jene Länder zu stützen, deren Verschuldungslage solche Maßnahmen nicht erlaubt. Diese Empfehlungen werden meistens sowohl von der Bundesregierung als auch von den »Leitmedien« unerwähnt gelassen – die Öffentlichkeit soll wohl nicht dadurch irritiert werden, dass man sich in einen Gegensatz zum ansonsten so gepriesenen IWF setzt. Diese NichtBeachtung erschien so lange unproblematisch, wie Deutschland nicht direkt kritisiert wurde.
Diese für beide Seiten bequeme Situation hat sich unlängst verändert. In einer aktuellen Debatte kommen Fachleute des IWF – gestützt auf empirische Analysen in 26 entwickelten Volkswirtschaften – zu dem wenig überraschenden Ergebnis, dass die Verfolgung einer rigiden fiskalischen Sparpolitik unter bestimmten Bedingungen kontraproduktiv ist. Nicht dass die in der Studie vorgebrachten Argumente neu wären – jetzt werden aber einige der hierzulande als wirtschaftspolitische Musterländer geltenden Ökonomien, darunter Deutschland, explizit genannt und direkt kritisiert, wenn auch in höflicher Form. In dem IWFBlogbeitrag »Gründe für eine Fiskalpolitik zur Unterstützung von Strukturreformen« vom 13. März kommen vier leitende Ökonominnen und Ökonomen der Institution zu dem Ergebnis, dass »der Drang zur Senkung staatlicher Schulden und Defi- zite bei gleichzeitigen Reformanreizen in manchen Ländern zu schädlichen Senkungen der Investitionen in Infrastruktur« führten. Kündigungsschutz abzubauen und Arbeitslosenunterstützungen zu kürzen könne in einer ungünstigen Wirtschaftslage zur Beeinträchtigung der öffentlichen Finanzen und zu einer Erhöhung der Verschuldung führen, weil dies die wirtschaftliche Entwicklung und damit die öffentlichen Einnahmen beeinträchtige. Erwähnt werden explizit Deutschland, Irland und Großbritannien. Kritisiert wird auch, dass in diesen Ländern Steuererleichterungen für untere Einkommensgruppen mit Maßnahmen zur Senkung der Arbeitslosenunterstützung und anderer sozialer Siche- rungsleistungen gekoppelt wurden, Leistungen, »die darauf ausgerichtet waren, den (von) Reformen Betroffenen zu helfen, ohne das Haushaltsdefizit zu erhöhen«. In einer solchen Situation könnte die Kürzung sozialer Leistungen zu Entlassungen führen und den Widerstand gegen Reformen stärken.
Viele der »Reformen«, über deren Sinnhaftigkeit man in der Tat streiten muss, würden ohne fiskalische Unterstützung negative Folgen zeitigen. Dies ergibt die empirische Analyse des IWF in den untersuchten OECD-Ländern. Schäubles Entscheidung, den Haushaltsüberschuss von 2016 in Höhe von rund sechs Milliarden Euro nicht für dringend notwendige Investitionen zu nutzen, sondern zur Schuldentilgung zu verwenden, liest sich in diesem Kontext wie der Versuch, die deutsche Sparpolitik der ganzen Welt als Allheilmittel anzupreisen.
Dass auch diese explizite IWFKritik hierzulande keine größere Resonanz finden wird, dürfte kaum überraschen. Noch immer wird in Deutschland versucht, die Kreditaufnahme der öffentlichen Hand schlechthin als unsolide zu verteufeln und die staatliche Politik der »schwarzen Null« als Ausdruck ökonomischer Vernunft zu preisen. Da passt es nicht ins Bild, wenn dieses Austeritätsmantra sogar im Zentrum der konservativen wirtschaftspolitischen »Expertise« in Frage gestellt wird. Es wird sicherlich noch dauern, bis auch der deutschen Öffentlichkeit aufgeht, dass sich die wirtschaftspolitische Diskussion hierzulande inzwischen weit von internationalen Standards entfernt hat. Dort ist nämlich inzwischen angekommen, dass öffentliches Sparen und Sozialabbau keineswegs immer Ausdruck purer ökonomischer Vernunft sind.