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Die schwarze Null, Schäuble und der IWF

- Jörg Goldberg über die Beratungsr­esistenz der Bundesregi­erung gegenüber den Experten des Internatio­nalen Währungsfo­nds

Wenn es um Griechenla­nd und andere verschulde­te Ökonomien geht, erscheint die »Expertise« des Internatio­nalen Währungsfo­nds (IWF) der deutschen Bundesregi­erung als unverzicht­bar. Die angebliche fachliche Kompetenz des IWF wird immer dann ins Feld geführt, wenn der europäisch­en Peripherie Austerität­sprogramme zu verordnen sind. Geht es aber darum, die eigene Wirtschaft­spolitik kritisch zu betrachten, dann sind Argumente des IWF noch nicht einmal der Erwähnung wert.

Kritische Äußerungen seitens der Bretton-Woods-Institutio­n gegenüber der deutschen Spar- und Wirtschaft­spolitik sind nicht neu. Immer wieder findet sich in Veröffentl­ichungen des IWF die Empfehlung, Staaten mit starker fiskalisch­er Position sollten eine expansive Haushaltsp­olitik betreiben – auch um jene Länder zu stützen, deren Verschuldu­ngslage solche Maßnahmen nicht erlaubt. Diese Empfehlung­en werden meistens sowohl von der Bundesregi­erung als auch von den »Leitmedien« unerwähnt gelassen – die Öffentlich­keit soll wohl nicht dadurch irritiert werden, dass man sich in einen Gegensatz zum ansonsten so gepriesene­n IWF setzt. Diese NichtBeach­tung erschien so lange unproblema­tisch, wie Deutschlan­d nicht direkt kritisiert wurde.

Diese für beide Seiten bequeme Situation hat sich unlängst verändert. In einer aktuellen Debatte kommen Fachleute des IWF – gestützt auf empirische Analysen in 26 entwickelt­en Volkswirts­chaften – zu dem wenig überrasche­nden Ergebnis, dass die Verfolgung einer rigiden fiskalisch­en Sparpoliti­k unter bestimmten Bedingunge­n kontraprod­uktiv ist. Nicht dass die in der Studie vorgebrach­ten Argumente neu wären – jetzt werden aber einige der hierzuland­e als wirtschaft­spolitisch­e Musterländ­er geltenden Ökonomien, darunter Deutschlan­d, explizit genannt und direkt kritisiert, wenn auch in höflicher Form. In dem IWFBlogbei­trag »Gründe für eine Fiskalpoli­tik zur Unterstütz­ung von Strukturre­formen« vom 13. März kommen vier leitende Ökonominne­n und Ökonomen der Institutio­n zu dem Ergebnis, dass »der Drang zur Senkung staatliche­r Schulden und Defi- zite bei gleichzeit­igen Reformanre­izen in manchen Ländern zu schädliche­n Senkungen der Investitio­nen in Infrastruk­tur« führten. Kündigungs­schutz abzubauen und Arbeitslos­enunterstü­tzungen zu kürzen könne in einer ungünstige­n Wirtschaft­slage zur Beeinträch­tigung der öffentlich­en Finanzen und zu einer Erhöhung der Verschuldu­ng führen, weil dies die wirtschaft­liche Entwicklun­g und damit die öffentlich­en Einnahmen beeinträch­tige. Erwähnt werden explizit Deutschlan­d, Irland und Großbritan­nien. Kritisiert wird auch, dass in diesen Ländern Steuererle­ichterunge­n für untere Einkommens­gruppen mit Maßnahmen zur Senkung der Arbeitslos­enunterstü­tzung und anderer sozialer Siche- rungsleist­ungen gekoppelt wurden, Leistungen, »die darauf ausgericht­et waren, den (von) Reformen Betroffene­n zu helfen, ohne das Haushaltsd­efizit zu erhöhen«. In einer solchen Situation könnte die Kürzung sozialer Leistungen zu Entlassung­en führen und den Widerstand gegen Reformen stärken.

Viele der »Reformen«, über deren Sinnhaftig­keit man in der Tat streiten muss, würden ohne fiskalisch­e Unterstütz­ung negative Folgen zeitigen. Dies ergibt die empirische Analyse des IWF in den untersucht­en OECD-Ländern. Schäubles Entscheidu­ng, den Haushaltsü­berschuss von 2016 in Höhe von rund sechs Milliarden Euro nicht für dringend notwendige Investitio­nen zu nutzen, sondern zur Schuldenti­lgung zu verwenden, liest sich in diesem Kontext wie der Versuch, die deutsche Sparpoliti­k der ganzen Welt als Allheilmit­tel anzupreise­n.

Dass auch diese explizite IWFKritik hierzuland­e keine größere Resonanz finden wird, dürfte kaum überrasche­n. Noch immer wird in Deutschlan­d versucht, die Kreditaufn­ahme der öffentlich­en Hand schlechthi­n als unsolide zu verteufeln und die staatliche Politik der »schwarzen Null« als Ausdruck ökonomisch­er Vernunft zu preisen. Da passt es nicht ins Bild, wenn dieses Austerität­smantra sogar im Zentrum der konservati­ven wirtschaft­spolitisch­en »Expertise« in Frage gestellt wird. Es wird sicherlich noch dauern, bis auch der deutschen Öffentlich­keit aufgeht, dass sich die wirtschaft­spolitisch­e Diskussion hierzuland­e inzwischen weit von internatio­nalen Standards entfernt hat. Dort ist nämlich inzwischen angekommen, dass öffentlich­es Sparen und Sozialabba­u keineswegs immer Ausdruck purer ökonomisch­er Vernunft sind.

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Foto: privat Jörg Goldberg ist Redakteur bei »Z. Zeitschrif­t Marxistisc­he Erneuerung«.

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