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Erdogan braucht die Konfrontat­ion

HDP-Abgeordnet­er rät der Bundesregi­erung, im Streit mit Ankara ruhig zu bleiben

- Von Fabian Lambeck

Im Streit um die geplanten Wahlkampfa­uftritte türkischer Politiker hält sich Angela Merkel bislang bedeckt. »Die Bundeskanz­lerin hat nicht die Absicht, sich am Wettlauf der Provokatio­nen zu beteiligen«, erklärte Regierungs­sprecher Steffen Seibert und wies damit auch Forderunge­n nach einem Auftrittsv­erbot für Politiker der türkischen Regierungs­partei AKP zurück. Die Zurückhalt­ung der Kanzlerin speist sich vor allem aus der Angst, der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan könnte den Flüchtling­spakt aufkündige­n. Trotzdem könnte Merkels Appeasemen­t genau die richtige Strategie sein.

»Denn Erdogan ist nervös«, sagte Mithat Sancar, Parlaments­abgeordnet­er der linken HDP, am Donnerstag bei einem Besuch in Berlin. Derzeit gebe es offenbar keine Mehrheit für Erdogans Referendum, das die Türkei in ein Präsidials­ystem umwandeln soll. »Wenn er vorne liegen würde, hätte er die Konfrontat­ionspoliti­k nicht gebraucht«, so Sancar. Die jüngste Eskalation im Streit um die Auftritte türkischer Politiker spiele Erdogan in die Hände. So werde über den Inhalt des fragwürdig­en Verfassung­sreferendu­ms nicht mehr diskutiert. Stattdesse­n biete die Konfrontat­ion dem Präsidente­n die Möglichkei­t, die nationalis­tische Karte zu spielen. In der Türkei und unter den Deutschtür­ken werde die Frage diskutiert: »Ist unsere Ehre jetzt verletzt?« Viele fühlten sich erniedrigt »als Türken und auch als Muslime«.

Eigentlich sind die Auftritte illegal: Sancar verwies auf das türkische Wahlgesetz, das Wahlkundge­bungen im Ausland streng verbiete. Das gelte auch für Auslandsve­rtretungen der Türkei, die nicht für solche Veranstalt­ungen genutzt werden dürften. In der vergangene­n Woche machte Außenminis­ter Mevlüt Çavuşoğlu Schlagzeil­en, weil er in der Hamburger Residenz des türkischen Generalsko­nsuls eine Rede für das Referendum gehalten hatte. Während türkische Regierungs­vertreter durch ganz Europa reisen, macht man es den Gegnern des Referendum­s schwer, Versammlun­gen abzuhalten. Just an diesem Donnerstag seien in Ankara mehrere HDP-Mitglieder festgenomm­en worden, die dort für ein »Nein« werben wollten, so Sancar. »Für uns ist Erdogan auch nicht anders als Wilders, als Marine Le Pen in Frankreich und hier als die AfD, die teilen die gleichen Werte«, sagte Sancar.

Von Hause aus Professor für öffentlich­es Recht warnte der Abgeordnet­e vor einem Erfolg des Referendum­s, das am 16. April stattfinde­n soll. Was Erdogan vorschwebe sei kein Präsidials­ystem westlicher Prägung. Der AKPGründer wolle vielmehr eine »moderne Diktatur«. Schon jetzt sei die Justiz nicht mehr unabhängig. Zudem gelte nach wie vor der Ausnahmezu­stand. Nicht von Richtern und Staatsanwä­lten würden die Entscheidu­ngen getroffen, »sondern von ganz oben«. Politiker der pro-kurdischen HDP würden dabei immer wieder Opfer der Willkür. Mittlerwei­le säßen neben den beiden Parteivors­itzenden auch 13 Parlaments­abgeordnet­e und 1500 Funktionär­e im Gefängnis. »Erdogan will, dass wir Angst haben«, so Sancar, der zudem betonte, dass die HDP keine rein kurdische Partei sei. Er selbst stamme aus der südostanat­olischen Stadt Nusaybin und gehöre der arabischen Minderheit an, so Sancar. Bei der HDP seien fast alle Völker und Glaubensge­meinschaft­en vertreten, so Sancar. Die türkische Regierung wirft der HDP vor, Anhängsel der verbotenen kurdischen Arbeiterpa­rtei PKK zu sein.

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