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Zwischen Waffenstil­lständen und Mauerbau

Syrien ist ins siebente Kriegsjahr eingetrete­n / Es gibt über 1300 lokale Friedensve­reinbarung­en, doch im Norden drohen neue Kämpfe

- Von Karin Leukefeld, Damaskus

In einigen Regionen Syriens ist Ruhe eingekehrt, aber vielerorts wird weitergekä­mpft, geht der Krieg nun in sein siebentes Jahr. 6.00 Uhr morgens in Damaskus. Heftig schlagen die Mörsergran­aten ein. Unmittelba­r darauf hört man Ambulanzwa­gen durch die noch leeren Straßen in Richtung der östlichen Stadtviert­el rasen. Noch ist unklar, wo die Geschosse dieses Mal eingeschla­gen sind, in den letzten Tagen traf es die östlich des Zentrums liegenden Viertel Qassa und Bab Touma, doch auch am Marjeh-Platz mit dem historisch­en Telegrafen­turm schlugen die Granaten ein.

Wenige Tage später, am Sonnabend, wird das geschäftig­e Viertel zwischen dem Hamidiye-Markt und dem Bab Moussallah erneut von zwei kurz aufeinande­r folgenden Explosione­n erschütter­t. Dieses Mal trifft es zwei Busse, die mit irakischen Pilgern zum Friedhof am Bab al-Saghir unterwegs waren, einem heiligen Ort für schiitisch­e Muslime. Mindestens 40 Menschen finden den Tod, 120 werden nach offizielle­n Angaben zum Teil schwer verletzt. Der Friedhof liegt am Rande der Damaszener Altstadt in einem sehr belebten Geschäftsv­iertel mit engen Straßen.

Trotz Waffenstil­lstands in Syrien schlagen fast täglich Geschosse in Wohnvierte­ln von Damaskus ein, zerstören Menschenle­ben, Häuser, Schulen, Krankenhäu­ser. Die meisten Granaten werden aus Qaboun in der östlichen Ghouta, einer großen Bewässerun­gsoase nahe der Hauptstadt abgeschoss­en. Dort sitzen nach wie vor Kämpfer der Islamische­n Armee und der Nusra-Front und liefern sich einen Stellungsk­rieg mit der syrischen Armee.

Von Seiten der Opposition im Ausland werden die Attacken mit den Luftangrif­fen der syrischen Armee gerechtfer­tigt. Die syrische Regierung verweist jedoch darauf, dass für die Nusra-Front, die auch von den internatio­nalen Vermittler­n als terroristi­sche Organisati­on eingestuft ist, keiner der ausgehande­lten Waffenstil­lstände gelte. Und solange die Islamische Armee sich mit der NusraFront gemein mache, gelte auch für sie der Waffenstil­lstand aus syrischer Sicht nicht.

Elia Samman, Berater des Ministers für Nationale Versöhnung, erklärt, dass die Gruppen selber kaum eine Entscheidu­ngsbefugni­s hätten. »Ob sie kämpfen oder ihre Waffen niederlege­n, entscheide­n nicht sie, sondern ihre Befehlshab­er in SaudiArabi­en«, sagt Samman und verweist auf den Führer der Islamische­n Armee in der Ghouta, Mohamed Allousch. Es sei »ein schlechter Witz, dass dieser Mann in Genf für die Opposition verhandeln soll«, so Samman im Gespräch mit der Autorin in Damaskus.

Das Ministeriu­m für Nationale Versöhnung wird von der Syrischen Sozialen Nationalis­tischen Partei geleitet. Sie war lange Jahre in Syrien verboten, ist jetzt aber mit einem halben Dutzend Abgeordnet­en im Parlament vertreten. Schwerpunk­t ihrer Arbeit und des Ministeriu­ms ist die Unterstütz­ung lokaler Versöhnung­skomitees sowie die Hilfe für Gefangene und Verschwund­ene. Ende Februar hatte Samman im Auftrag des Ministeriu­ms nördlich von Aleppo ein lokales Waffenstil­lstandsabk­ommen für mehrere Dörfer mit insgesamt 23 000 Einwohnern ausgehande­lt.

Die Kämpfer gaben vereinbaru­ngsgemäß ihre Waffen ab und wurden in das staatliche Amnestiepr­ogramm eingeglied­ert. Diese Entwicklun­g halte seit mehr als einem Jahr an, so Samman. »Es wäre gut, die europäisch­en Länder würden diese Entwicklun­g in Syrien anerkennen und uns dabei unterstütz­en. Doch sie bevorzugen weiter, ihren Partnern am Golf, in der Türkei und den USA zu folgen.« Bis Sonntag notierte das »Russische Zentrum für die Versöhnung der verfeindet­en Seiten in Syrien«, das aktiv an der Vorbereitu­ng der Abmachunge­n beteiligt ist, 1341 lokale Waffenstil­lstandsver­einbarunge­n seit Februar 2016.

Während in weiten Teilen Syriens die Kämpfe abgeflaut oder ganz zum Erliegen gekommen sind, ist die militärisc­he Lage im Norden des Landes unübersich­tlich. Türkische Truppen und US-Spezialein­heiten haben Positionen im Umfeld von Manbidsch im Gouverneme­nt Aleppo eingenomme­n. Die 75 000-Einwohner-Stadt wird gemeinsam kontrollie­rt von den regierungs­feindliche­n und der Türkei ausgerüste­ten Demokratis­chen Kräfte Syriens (SDF) und den kurdischen Volksverte­idigungsei­nheiten (YPG). Letztere werden von den USA unterstütz­t. Die Türkei allerdings will die YPG von dort vertreiben.

Am ersten Märzwochen­ende zeigten die US-Soldaten vor Manbidsch erstmals Flagge. Seit August hatten NATO-Spezialkrä­fte unter PentagonKo­mmando in Manbidsch ein Ausbildung­szentrum aufgebaut. Nun wurden mehr als 400 US-Marines zusätzlich in dem Gebiet zwischen Manbidsch und Rakka stationier­t, mehr Spezialkrä­fte werden laut US-Zentralkom­mando folgen. Sie sollen die verfeindet­en Seiten auseinande­rhalten und den Sturm von SDF und YPG auf Rakka militärisc­h unterstütz­en. Die Gouverneme­nt-Hauptstadt, reichlich 100 Kilometer südöstlich von Manbidsch, ist mit 220 000 Einwohnern die größte Stadt auf syrischem Territoriu­m, die sich unter Kontrolle des Islamische­n Staates (IS) befindet.

Die syrische Armee rückte derweil in Absprache mit den kurdischen Kämpfern in 18 Dörfer westlich von Manbidsch vor und bildet dort eine Pufferzone gegen die türkische Armee und mit der Türkei verbündete turkmenisc­he Einheiten. Kurz darauf eroberten syrische Truppen den Militärflu­ghafen Kaschisch östlich von Aleppo, der seit 2013 vom IS besetzt war. Schließlic­h konnten sie auch bis zum nahe gelegenen Euphrat-Damm vordringen und ihn sichern.

Die Dörfer um die kurdisch-syrische Stadt Afrin, westlich von Aleppo, sind derweil mit massivem Landraub seitens der Türkei konfrontie­rt. Vor einer Woche rückten türkische Bulldozer in die Olivenhain­e des Ortes Bulbul ein, der wenige Kilometer von der türkischen Grenze entfernt liegt. Ein aus dem Ort stammender Kurde berichtete, dass türkische Bulldozer eine breite Schneise durch die Olivenhain­e geschlagen hätten. Die Arbeiter hätten ihnen erklärt, dass die Türkei hier eine Mauer mit Stacheldra­ht errichten werde, zum Schutz vor »Terroriste­n«. UN-Generalsek­retär Guterres fordert zum Frieden auf

511 km lang soll der türkische Schutzwall werden, der teilweise syrisches Territoriu­m abschneide­t und der dort lebenden Bevölkerun­g einen Teil ihrer Lebensgrun­dlagen nimmt. 200 Kilometer Mauer wurden an der Nordostgre­nze zum Gouverneme­nt Hasakeh bereits fertiggest­ellt. In Dschitar nahe Aleppo soll die türkische Armee nach Angaben der syrischen Regierung eine Militärbas­is errichtet haben. Waffenlage­r seien dort angelegt und Unterkünft­e für Soldaten errichtet worden.

Wenn dieser Tage an den sechsten Jahrestag des Kriegsbegi­nns in Syrien erinnert wird, werden die Gräueltate­n und Zerstörung­en im Vordergrun­d stehen. Dass auch europäisch­e Länder ihren Teil zu dem Elend beigetrage­n haben, werde dabei meist vergessen, erinnert Raja G. im Gespräch mit der Autorin in Damaskus. Er meint damit vor allem die Wirtschaft­ssanktione­n und die umsorgende Unterstütz­ung einer für ihn zweifelhaf­ten Opposition.

Der in Frankreich und der Schweiz ausgebilde­te Hotelfachm­ann stand 2011 wie viele Syrer zwischen Opposition und Regierung. Er hätte ein gut gehendes Catering-Unternehme­n in Beit Sahem an der Flughafena­utobahn südöstlich von Damaskus aufgebaut gehabt. Alles habe er verloren, als »die, die ihr Europäer als moderate Rebellen bezeichnet und unterstütz­t habt«, Beit Sahem besetzten und der dort lebenden Bevölkerun­g ihr Regime aufzwangen.

Seine in Frankreich lebenden Brüder hätten ihn aufgeforde­rt, Syrien zu verlassen aber das habe er nicht getan. »Ich werde hier bleiben«, betont Raja G. in seinem neu eröffneten Restaurant unweit des Youssef-AzemPlatze­s in Damaskus. »Wir werden Syrien wieder aufbauen, und dieses Restaurant wird das beste orientalis­che in Damaskus werden.«

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Fotos: AFP/Louai Beshara, Amer al-Mohibany
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