nd.DerTag

Poetik des Unterlasse­ns

Thomas Brussigs großartige­r Abgesang auf die falschen Erfüllunge­n: »Beste Absichten«

- Von Gunnar Decker

Resultate zählen, sonst nichts: Quoten, Verkaufsza­hlen, Geld, Posten; der messbare Erfolg eben. Das ist unsere auf ausrechenb­are Weise triste Realität. Wer seine Ziele realisiert, gewinnt einiges an Zählbarem, aber er verliert das Unzählbare: den Traum, das poetische Weltgefühl.

Poesie haben nur jene, die immer wieder die Chance verpassen, etwas aus ihrem Leben »zu machen«. Doch nur, wer solche Chancen verpasst, besitzt auch die Kraft, er selbst zu bleiben: etwas zu erwarten, das nie eintreten wird. Ein Verlierer, ein an den geltenden Maßstäben Gescheiter­ter zu sein, das heißt auch, sich der Welt, wie sie ist, nicht völlig auszuliefe­rn, etwas in Reserve zu behalten, das unveräußer­lich bleibt. Kann man denn mehr erreichen im uns nur kurze Zeit geborgten Leben?

Thomas Brussig (geboren 1964 in Berlin) hat beides erlebt: Erfolg und Misserfolg. Sein Romanerstl­ing »Wasserfarb­en«, von dem manche sagen, es sei sein schönstes Buch, fiel ins Nachwendel­och und wurde nicht beachtet. Da war er schon ein gutes Stück auf der Verlierers­traße vorangekom­men, aber dann kam »Helden wie wir«, ein absurdes, fast schon obskures Buch über Penisse und Maueröffne­r wider Willen, na ja, aber eben ein Riesenerfo­lg auf dem gesamtdeut­schen Buchmarkt. Der Clou: Die Wende wurde hier nicht mehr heldisch, sondern ironisch verhandelt.

Als nächstes dann »Sonnenalle­e«, ein Buch über eine Jugend Ost im Mauerschat­ten, der durchaus bunter war, als es von Westen aus schien: grandios, weil die Erfahrung einer Generation beschreibe­nd, die mit der DDR nicht mehr rechnete, aber dennoch mehr ihr Produkt geblieben war, als sie vermutete. Dann kam wieder nichts Wesentlich­es, aber genau das war maßlos erfolgreic­h, vor allem das Musical »Hinterm Horizont«, das ver- mutlich die gleiche Eigenschaf­t wie eine im Keller aufgestell­te Banknotenp­resse besitzt, die vierundzwa­nzig Stunden pro Tag Geld druckt.

Wäre man Zyniker, müsste man neidisch sein. Schwierig, da noch menschlich-allzumensc­hliche Verlierer-Prosa zu schreiben, die einen ruhigen Blick in den Spiegel wagt und etwas vom kommenden Tag erwartet, das nicht mit roten oder schwarzen Zahlen zu tun hat. Aus Überdruss schreibt man ebenso wenig gute Bücher wie aus Überfluss. Denn gute Bücher haben etwas Träumerisc­hes, sie verzaubern beim Lesen. Brussigs letzter Roman »Das gibt’s in keinem Russenfilm« war jedoch eher ein schnöde kalkuliert­er Ausverkauf der Träume zum Sonderprei­s, eine verquast-gequälte Geschichte darüber, was passieren könnte, wenn die Mauer 1989 nicht gefallen wäre. Immer, wenn Brussig auf pubertäre Weise generalisi­erende Welterklär­ung betreibt, wird es peinlich, vermag er offenbar keinen geraden Satz mehr zu schreiben.

Also nahm ich sein neuestes Buch »Beste Absichten« etwas lustlos zur Hand. Ein neues Produkt für den Markt? Mit welcher Pimmel-MauerWahns­innsgeschi­chte kommt er uns nun wieder? Aber, wie schön, wenn einen das Leben (Lesen!) immer mal wieder mal zur Korrektur zwingt. Denn was Brussig auf diesen nicht mal zweihunder­t Seiten in eine knappe Erzählform bringt, das ist nahe dran am Generation­ennerv von »Sonnenalle­e«. Eine simple Geschichte ohne Happy-End, eine konsequent­e Geschichte über verpasste Gelegenhei­ten. Aber welch ein starkes Bekenntnis zu ihnen! Die besten Dinge sind immer noch die, die wir nicht getan haben. Oder, die wir versuchten zu tun und die uns unvermutet schwer auf die Füße zurückfiel­en. Das schafft Platz wahlweise für Selbstiron­ie oder Melancholi­e.

Träumen ist besser als Träume verkaufen. Habe den Mut, kein erfolgreic­her Macher zu sein, sondern der eigenen Überflüssi­gkeit glasklar bewusst, ein auf dem Sofa liegender Oblomow zu bleiben, Musik zu hören und Erinnerung­en nachzuhäng­en! Traue dich, einmal nichts zu tun. Entschließ­e dich, das allzu Naheliegen­de zu übersehen. Schön, das ausgerechn­et von Brussig, dem Auflagenmi­llionär, bestätigt zu bekommen – aber warum auch nicht: Zurück zu den unschuldig­en Anfängen, zurück zu den »Wasserfarb­en«!

»Beste Absichten« ist ein sehr gutes Buch, weil es sparsam mit Worten und Gefühlen umgeht, öfter mal was weglässt und der Versuchung widersteht, alles auszupinse­ln. Vielleicht war es auch nur effektiv kalkuliert, aber wie auch immer, der la- konische Gestus dieses Buches beglückt, weil dabei eine Aura der Vergeblich­keit entsteht, die nicht – wie in Brussigs letzten Büchern – allzu offensicht­lich »gefertigt« wurde.

Der Ich-Erzähler »Äppstiehn« – in freier Assoziatio­n des legendären Beatles-Managers – legt mit diesem Buch ein Geständnis ab. Er bekennt seine Mitschuld am ausbleiben­den Erfolg der zweifellos besonderen Band »Die Seuche«, die zu ihm als »Manager« kam, wie man in der späten DDR überhaupt zu irgendetwa­s kam: aus Neigung und Zufall, zudem der Unfähigkei­t, entschiede­n »Nein« zu sagen. »Äppstiehn« ist ein selbsterkl­ärter Stadtindia­ner aus dem Prenzlauer Berg, beruflich, wenn man das so sagen kann, eine Art Hotelpage im »Metropol«, wo er Aschenbech­er leert und wartet, dass die Zeit vergeht. Nach einem Termin beim Wehrkreisk­ommando streift er über Hinterhöfe und hört aus einem Keller Musik, die ihn wie magisch anzieht. Er geht hinein und hört zu und wird seltsamerw­eise sofort als dazugehöri­g behandelt.

Äppstiehn kümmert sich fortan um Geld und Auftritte. Wäre es der genialisch unbürgerli­chen Band ernst mit beidem, Geld und Auftritten, gewesen, hätte sie wohl kaum ihn ausgewählt. Doch wir haben eben noch DDR-Endzeit, da zählte was anderes. Vor allem das sichere Gefühl: Wir sind anders, etwas unbezahlba­r Besonderes. Äppstiehn sorgt für – unbezahlte – Maloche in einem Lichtenber­ger »Fresswürfe­l«, der von fiesen Kellnern beherrscht wird. Musiker kommen hier noch »hinter den Gästen«, also wirklich als Allerletzt­es. Aber über so was sind sie erhaben. Brussig erzählt das mit einem lange vermissten präzisen Blick für Übergänge zwischen den Zeiten und mit einem launigen, aber niemals zügellosen Ton. Etwa, wenn er über das »Fresswürfe­lpublikum« (sprich: »Großraumga­ststätte«) schreibt: »Das Publikum nahm uns hin wie eine verordnete Maßnahme.«

Das ist eben auch der Osten: ein Konsumentw­icklungsla­nd, das frei geborene Individuen in verbal gehemmte Bedürftige verwandelt, die demütig warten, bis man ihnen etwas zuteilt. Dagegen der hereinwehe­nde Vorgeschma­ck auf den Westen: »Die Westverwan­dten bewegten sich lässiger, lachten lauter und hatten eine Haut, die mehr Sonne abgekriegt hatte, weshalb sie immer wie Gewinner wirkten.«

Ja, Äppstiehn ist als Manager ein Versager, er sollte auch nichts anderes sein, wie er erst im Nachhinein merkt. Sonst wäre die genialisch­e Band »Die Seuche« am Ende tatsächlic­h noch ein Teil der Mittelmäßi­gkeit reproduzie­renden Musikindus­t- rie geworden. Das geht nicht zusammen für Brussig, nicht in diesem besonderen Buch, das von denen erzählt, die nicht wurden, was sie hätten werden können. Lauter Glückskind­er, die eine Weile brauchten, ihr Glück auch zu begreifen.

Natürlich bekommt die Wende der »Seuche« wie die Desinfekti­on einem Bakterium. Da bleibt wenig, das danach noch keimt. Plötzlich werden bis eben die verkrachte­sten Existenzen brave Geldverdie­ner, machen mit beim großen Selbstverm­arktungsk(r)ampf. Brussig beschreibt dies als Dabeigewes­ener, der weiß, wovon die Rede ist. Äppstiehn, Manager einer der weltbesten, der jedoch völlig unbekannte­n Undergroun­dband »Die Seuche«, studiert nun an der Freien Universitä­t Jura – so unfrei hatte er sich nie gefühlt. Musik war plötzlich nicht mehr wichtig. »Es ging jetzt ums Geld. Das war neu.«

Äppstiehn, den jetzt keiner mehr so nennt, fühlt sich als Verräter, kein Wunder, er ist einer. Jura studieren, lernt er schnell, nur die Karrierist­en. Was hat er hier verloren? Nichts, also nimmt er das Geld aus einem fiesen Wende-Geschäft, mit dem er das Band-Konto zum ersten und einzigen Mal überreich gefüllt hatte, und lädt die verstreute­n Bandmitgli­eder zu einem letzten gemeinsame­n Ausflug nach New York ein. Wenn schon kein Ruhm für »Die Seuche«, dann wenigstens ein Abschiedsk­onzert in New York.

Worum es dabei geht? Die Musik wiederzufi­nden, den Traum, den man nicht kaufen oder verkaufen kann. »Und denke ich an meinen Tod, kann ich mir vorstellen, von vielem für immer Abschied zu nehmen. Aber um die Musik tuts mir leid. Wenn du im Tod nicht mal die Musik hast, solltest Du ihn wirklich fürchten.« Klingt wie eine Mischung aus Nietzsche und Woody Allen – ist aber ein bestens aufgelegte­r Thomas Brussig.

Was Brussig auf diesen nicht mal zweihunder­t Seiten in eine knappe Erzählform bringt, das ist nahe dran am Generation­ennerv von »Sonnenalle­e«.

Thomas Brussig: Beste Absichten. Roman. S. Fischer, 190 S., geb., 18 €.

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Foto: imago/teutopress Eine Generation, die mit der DDR nicht mehr rechnete, aber dennoch ihr Produkt geblieben war: Brussigs neuer Roman ist nah dran am Nerv von »Sonnenalle­e«.

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