Von der Fast-Pleite zum Boom
In Island dürfen Unternehmen, Fonds und Privatpersonen Valuta künftig wieder ohne Kontrolle ausführen
Nach neun Jahren der Krisenbewältigung kehrt Island wieder an die Finanzmärkte zurück. Die Wirtschaft hat sich mehr als erholt, doch es drohen neue Probleme. In Island sind die Zeiten der vorsichtigen Finanzpolitik zu Ende: Am vergangenen Dienstag hob die Regierung die seit 2008 geltenden Kapitalverkehrskontrollen auf und das Land kehrte vollständig an die internationalen Finanzmärkte zurück. Vorangegangen waren harte Zeiten: Vor neun Jahren gingen die Zeiten ungehemmter Spekulation und ungedeckter Kreditaufnahme auf Island zu Ende. Die drei Banken gingen pleite, der Staat musste sie übernehmen, um das Finanzsystem vor dem Zusammenbruch zu retten und konnte sich selbst nur mühsam vor dem Bankrott bewahren. Konkurse, eine Arbeitslosenquote von neun Prozent und massenhafte Auswanderung waren die Folge. Daraufhin wurde eine Reihe drastischer Maßnahmen ergriffen. Eine davon war die Einführung strikter Kapitalverkehrskontrollen. Firmen, Privatpersonen und Fonds mussten die Zentralbank bitten, Valuta ausführen zu dürfen, um Rechnungen zu bezahlen oder zu verreisen. Kapitalflucht wurde so verhindert, während Island unattraktiv wurde für ausländische Investitionen.
Doch war die Fast-Pleite der Beginn einer neuen Ära. Die Isländer arbeiteten sich aus der Krise heraus – die Wirtschaft ist größer als je zuvor. Während der Finanzsektor früher einen überdimensionalen Anteil am Bruttoinlandsprodukt hatte, ist er auf ein für die Volkswirtschaft gesundes Maß geschrumpft. Dafür boomen Fischerei, Tourismus und Industrieproduktion und Island kann zukunftsweisende Technologiefirmen vorweisen. Der Staatshaushalt weist seit Jahren Überschüsse auf, die die Schuldentilgung im Ausland ermöglicht.
In den vergangenen Jahren konnten die Valuta-Reserven stark ausgebaut werden. Zudem kaufte die Nationalbank systematisch Guthaben an isländischen Kronen im Ausland auf, um Kontrolle über sie zu erlangen und Spekulationen zu verhindern. Nach Angaben der Bank war eine Mehrheit der Besitzer dazu bereit. Die verbleibenden Guthaben sind eingefroren, ihre Inhaber erhielten das Angebot, sie in den nächsten zwei Wochen gegen den gängigen Wechselkurs an die Nationalbank zu verkaufen. Der Wert der isländischen Krone ist in den letzten zwei Jahren um ein Viertel gestiegen.
Vor diesem Hintergrund konnten die Kapitalkontrollen aufgehoben werden, nachdem sie bereits mehrfach gelockert worden waren. Gleichzeitig wurde ein Komitee eingesetzt, das die Entwicklung der Kapitalflüsse überwachen soll, um bei Krisen rechtzeitig Gegenmittel vorzuschlagen. Der sichtlich zufriedene Ministerpräsident Bjarni Benediktsson sprach von einem Wendepunkt im wirtschaftlichen Wiederaufbau.
Die Kehrseite der Medaille ist eine drohende Überhitzung der Wirtschaft, denn jüngste Zahlen weisen Wachstum in chinesischen Dimensionen auf. So wuchs die Wirtschaft 2016 um 7,2 Prozent, während das Bruttoinlandsprodukt im vierten Quartal verglichen mit dem Vorjahreszeitraum sogar um 11,3 Prozent stieg. Dieser Sprung lässt sich in allen Statistiken ablesen, ob es nun das Steueraufkommen, Investitionssummen, CO2-Ausstoß oder die Geburtenanzahl ist. Besonders um die Hauptstadt Reykjavik herum ist ein Bauboom zu beobachten. Die Mehrheit der Isländer arbeitet aber in zwei und manchmal sogar drei Jobs, um sich ein ausreichendes Einkommen zu sichern. In den vergangenen zwei Jahren gab es einige Streiks, etwa im öffentlichen Dienst, aber auch im Tourismus, um die mageren Löhne zu verbessern.
Doch war die Fast-Pleite der Beginn einer neuen Ära. Die Isländer arbeiteten sich aus der Krise heraus.