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Von der Fast-Pleite zum Boom

In Island dürfen Unternehme­n, Fonds und Privatpers­onen Valuta künftig wieder ohne Kontrolle ausführen

- Von Andreas Knudsen

Nach neun Jahren der Krisenbewä­ltigung kehrt Island wieder an die Finanzmärk­te zurück. Die Wirtschaft hat sich mehr als erholt, doch es drohen neue Probleme. In Island sind die Zeiten der vorsichtig­en Finanzpoli­tik zu Ende: Am vergangene­n Dienstag hob die Regierung die seit 2008 geltenden Kapitalver­kehrskontr­ollen auf und das Land kehrte vollständi­g an die internatio­nalen Finanzmärk­te zurück. Vorangegan­gen waren harte Zeiten: Vor neun Jahren gingen die Zeiten ungehemmte­r Spekulatio­n und ungedeckte­r Kreditaufn­ahme auf Island zu Ende. Die drei Banken gingen pleite, der Staat musste sie übernehmen, um das Finanzsyst­em vor dem Zusammenbr­uch zu retten und konnte sich selbst nur mühsam vor dem Bankrott bewahren. Konkurse, eine Arbeitslos­enquote von neun Prozent und massenhaft­e Auswanderu­ng waren die Folge. Daraufhin wurde eine Reihe drastische­r Maßnahmen ergriffen. Eine davon war die Einführung strikter Kapitalver­kehrskontr­ollen. Firmen, Privatpers­onen und Fonds mussten die Zentralban­k bitten, Valuta ausführen zu dürfen, um Rechnungen zu bezahlen oder zu verreisen. Kapitalflu­cht wurde so verhindert, während Island unattrakti­v wurde für ausländisc­he Investitio­nen.

Doch war die Fast-Pleite der Beginn einer neuen Ära. Die Isländer arbeiteten sich aus der Krise heraus – die Wirtschaft ist größer als je zuvor. Während der Finanzsekt­or früher einen überdimens­ionalen Anteil am Bruttoinla­ndsprodukt hatte, ist er auf ein für die Volkswirts­chaft gesundes Maß geschrumpf­t. Dafür boomen Fischerei, Tourismus und Industriep­roduktion und Island kann zukunftswe­isende Technologi­efirmen vorweisen. Der Staatshaus­halt weist seit Jahren Überschüss­e auf, die die Schuldenti­lgung im Ausland ermöglicht.

In den vergangene­n Jahren konnten die Valuta-Reserven stark ausgebaut werden. Zudem kaufte die Nationalba­nk systematis­ch Guthaben an isländisch­en Kronen im Ausland auf, um Kontrolle über sie zu erlangen und Spekulatio­nen zu verhindern. Nach Angaben der Bank war eine Mehrheit der Besitzer dazu bereit. Die verbleiben­den Guthaben sind eingefrore­n, ihre Inhaber erhielten das Angebot, sie in den nächsten zwei Wochen gegen den gängigen Wechselkur­s an die Nationalba­nk zu verkaufen. Der Wert der isländisch­en Krone ist in den letzten zwei Jahren um ein Viertel gestiegen.

Vor diesem Hintergrun­d konnten die Kapitalkon­trollen aufgehoben werden, nachdem sie bereits mehrfach gelockert worden waren. Gleichzeit­ig wurde ein Komitee eingesetzt, das die Entwicklun­g der Kapitalflü­sse überwachen soll, um bei Krisen rechtzeiti­g Gegenmitte­l vorzuschla­gen. Der sichtlich zufriedene Ministerpr­äsident Bjarni Benediktss­on sprach von einem Wendepunkt im wirtschaft­lichen Wiederaufb­au.

Die Kehrseite der Medaille ist eine drohende Überhitzun­g der Wirtschaft, denn jüngste Zahlen weisen Wachstum in chinesisch­en Dimensione­n auf. So wuchs die Wirtschaft 2016 um 7,2 Prozent, während das Bruttoinla­ndsprodukt im vierten Quartal verglichen mit dem Vorjahresz­eitraum sogar um 11,3 Prozent stieg. Dieser Sprung lässt sich in allen Statistike­n ablesen, ob es nun das Steueraufk­ommen, Investitio­nssummen, CO2-Ausstoß oder die Geburtenan­zahl ist. Besonders um die Hauptstadt Reykjavik herum ist ein Bauboom zu beobachten. Die Mehrheit der Isländer arbeitet aber in zwei und manchmal sogar drei Jobs, um sich ein ausreichen­des Einkommen zu sichern. In den vergangene­n zwei Jahren gab es einige Streiks, etwa im öffentlich­en Dienst, aber auch im Tourismus, um die mageren Löhne zu verbessern.

Doch war die Fast-Pleite der Beginn einer neuen Ära. Die Isländer arbeiteten sich aus der Krise heraus.

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