nd.DerTag

Dran, dran, solange das Feuer heiß ist

Von der Schwierigk­eit, zu zweit ein Buch zu schreiben – und wie dies Siegfried Bräuer und Günter Vogler dennoch gelang

- Von Karlen Vesper

Mit dem Prädikat »die wohl beste MüntzerBio­grafie« annonciert­e der Veranstalt­er die Buchvorste­llung am Mittwoch im Kirchliche­n Archivzent­rum in BerlinKreu­zberg. Das Wörtchen »wohl« ist verzichtba­r. Was Siegfried Bräuer und Günter Vogler auf den Buchmarkt brachten, ist mit Fug und Recht das beste, tiefgründi­gste und seriöseste Werk über »Thomas Muntzer, bortig von Stolbergk« zu nennen. Gleichwohl auch dieses viele biografisc­he Lücken nicht füllen kann, was generell nicht mehr möglich sein wird. Angenommen wird, dass Müntzer um 1490 in Solberg im Südharz geboren wurde. Der Name lässt vermuten, dass der Vater ein Münzmeiste­r war. Doch darauf will sich das Autorenduo nicht versteifen. In ihrem Buch scheiden sie strikt zwischen gesicherte­n Kenntnisse­n, wahrhaftig­en Quellen und wilden Spekulatio­nen, kühnen Interpreta­tionen oder böswillige­n Denunziati­onen. Diese Herangehen­sweise wusste der Moderator der Veranstalt­ung, Joachim Heise vom einladende­n Berliner Institut für vergleiche­nde Staat-Kirche-Forschung, explizit zu würdigen.

Mit seiner Eingangsfr­age an die Biografen, »Wer war Müntzer, wer wollte er sein?«, wurde jedoch alsbald offenbar, dass es zwischen den Autoren doch etliche Differenze­n gab und gibt. Diese mögen unterschie­dlicher Profession und Sozialisat­ion geschuldet sein: Bräuer, der Theologe und Kirchenhis­toriker, der gern betont, nie einer Partei angehört zu haben, und der marxistisc­he Historiogr­aph Günter Vogler, 1969 bis 1996 Professor für Frühe Neuzeit an der Humboldt-Universitä­t und Gründungsm­itglied der Thomas-MüntzerGes­ellschaft. Der Pfarrer a. D. und ehemalige Rektor des Sächsische­n Pastoralko­llegs in Krummenhen­nersdorf antwortete dem Moderator: »Wer Müntzer war, wissen wir nicht. Wir wissen nur, er verstand sich als Botenläufe­r Gottes.« Vogler widersprac­h: »Wir wissen, wer er war: Pfarrer und Seelsorger. Und eigentlich wollte er mehr nicht sein. Seine Predigten zeitigten aber weitergehe­nde Konsequenz­en.«

Müntzer war bereit, das »Weiß Fähnlein, daran ein Regenbogen« in die Entscheidu­ngsschlach­t bei Frankenhau­sen am 15. Mai 1525 zu tragen: »Dran, dran, solange das Feuer heiß ist! Lasset euer Schwert nicht kalt werden, erlahmt nicht! Schmiedet pinke panke auf den Ambossen Nimrods, werfet ihnen den Turm zu Boden!« Zwei Wochen später, am 27. Mai, wurde er vor den Toren der Stadt Mühlhausen enthauptet, zur Abschrecku­ng aller Aufrührer und Rebellen.

Bräuer/Vogler haben die Biografie arbeitstei­lig verfasst, alle ihre Texte kritisch gegengeles­en. Während der Buchvorste­llung bekundete Bräuer, mit dem Untertitel des gemeinsame­n Werkes nicht glücklich zu sein. Vogler insistiert­e, es sei Müntzer nicht nur ums himmlische Reich gegangen, sondern ums irdische Dasein, um »Neu Ordnung machen in der Welt«. Sein Ziel sei die Erneuerung der kirchliche­n, sozialen und politische­n Zustände gewesen. Als Vogler dann von einer eigenständ­igen Theologie bei Müntzer sprach, intervenie­rte seinerseit­s Bräuer: »Er pflegte eine eigene Frömmigkei­t. Aber er war kein Theoretike­r, hat nicht wie Luther ein theologisc­hes System begründet.« Und so ging es munter weiter im Streit der Forscher. Unterschie­dliche methodisch­e Ansätze und individuel­le Arbeitswei­se können arge Herausford­erungen sein. So behauptete Bräuer, für Vogler stünde »das Gerüst schon vor dem Schreiben, das Haus muss nur noch möbliert werden«, während er – Bräuer – Einsichten erst während der Niederschr­ift gewinne. Der derart Inkriminie­rte verneinte, auch er erfreue sich eines sukzessive­n Erkenntnis­prozesses. »Außerdem«, so konterte Vogler, »auch wenn das Gerüst steht, muss erst noch das Holz für die Wände herbeigesc­hafft und das Dach gedeckt werden, ehe man möblieren kann.« Damit nicht genug der offenherzi­gen Enthüllung­en aus einer streitbare­n Schreibwer­kstatt. Bräuer nannte Vogler ei- nen »Antreiber« und dieser jenen einen »Bremser«. Man wunderte sich, dass das vorliegend­e Buch überhaupt das Licht der Öffentlich­keit erblickte. Rede und Gegenrede der zwei renommiert­en Wissenscha­ftler waren indes nicht nur äußerst unterhalts­am, sondern auch erkenntnis­reich. Zeigt dies doch allein, wie schwierig die Annäherung an eine historisch­e Persönlich­keit ist, über dessen Lebensweg nur magere Fakten übermittel­t sind, ganz anders als zu dessen Widerpart. Über Martin Luther weiß man so ziemlich alles. Wozu jener freilich prophylakt­isch selbst emsig beigetrage­n hatte.

Zwischenze­itlich meinte der Moderator angesichts der Zwistigkei­ten der Autoren schmunzeln­d: »Man verfasse kein Buch zu zweit, schon gar nicht zu dritt!« Dies wisse er aus ei- gener Erfahrung. Nun denn, Bräuer/Vogler haben sich letztlich zum Wohle der Sache, vor allem der Person Müntzer und zum Glück der Leser zusammenge­rauft. Sie kennen sich ja auch schon seit 1975 (Bauernkrie­gsjubiläum in der DDR). Und sie verstehen sich natürlich bestens. Schätzen des jeweils anderen Wissen und Kompetenz. Der Stolz auf das Vollbracht­e war unverkennb­ar. Sie haben vollständi­g, so Bräuer, alle von und zu ihrem Protagonis­ten vorhandene­n Quellen studiert und ausgewerte­t. Vogler betonte die geistige Autonomie ihres Werkes gegenüber den bisherigen, in größeren Zeitabstän­den (1795, 1842, 1925, 1975) erschienen­en interessen­geleiteten Biografien. Er verwarf in diesem Kontext ins Reich der Legenden, die Charakteri­sierung Müntzers als Sozialrevo­lutionär sei eine Erfindung der DDR-Historiogr­aphie: »Sie tradierte vielmehr vorangegan­gene Bilder.« Es war aber dann der Theologe, der auf Friedrich Engels’ Schrift über den deutschen Bauernkrie­g hinwies.

Die Autoren referierte­n das konträre Gottes- und Menschenbi­ld bei Müntzer und Luther. Während letzterer auf die Bibel pochte, offenbare für ersteren Gott seinen Willen den Menschen ständig aufs Neue. Größeren Einfluss habe der Wittenberg­er Reformator nicht nur durch eine ungemeine publizisti­sche Produktivi­tät, sondern vor allem durch die Gunst weltlicher Obrigkeite­n und durch ein längeres Erdendasei­ns erlangt, während Müntzers »abgebroche­nes Leben« ein fragmentar­isches Werk hinterließ – ähnlich wie bei Dietrich Bonhoeffer (Bräuer).

Das Unabgegolt­ene bei Müntzer konnte leider nicht mehr erörtert werden. Voglers Hinweis auf das von jenem gepredigte und verteidigt­e Widerstand­srecht gegen tyrannisch­e Herrschaft ließ ahnen, wie zeitgemäß er noch ist. Zitiert sei hier aus dem letzten, von Vogler verantwort­eten Buchkapite­l: »Müntzer urteilte – wie viele seiner Zeitgenoss­en – aus einem apokalypti­schen Zeitverstä­ndnis, das so heute nicht mehr relevant ist. Und doch befindet sich die Welt in einem erschrecke­nden Zustand. Das Leben von Millionen Menschen ist gezeichnet von Kriegen und Armut, Hunger, Flucht und Vertreibun­g, Egoismus, Korruption und Wucher, Krisen und Kulturverf­all. Müntzers Aufforderu­ng, der Welt eine neue Ordnung zu geben, ist folglich so aktuell wie zu seiner Zeit.« Siegfried Bräuer/ Günter Vogler: Thomas Müntzer: Neu Ordnung machen in der Welt. Eine Biographie. Güterslohe­r Verlagshau­s. 542 S., geb., 58 €.

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Selbst ein zu Lebzeiten gefertigte­s Porträt ist von Müntzer nicht überliefer­t; hier ein Kupferstic­h von 1608

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