nd.DerTag

Hippiehaft schön

Matthew E. White und Flo Morrissey bieten Rock’n’Soul mit Flüster- und Klagegesan­g

- Von Michael Saager Flo Morrissey & Matthew E. White: »Gentlewoma­n, Ruby Man« (Caroline / Universal)

Matthew E. White dürfte sich mittlerwei­le daran gewöhnt haben, dass man seine Alben ganz gern Geniestrei­che nennt. Obwohl oder gerade weil sie zitieren und wiederhole­n, was das Zeug hält. Ohne Gospel und Southern Soul, ohne den jazzigen Blues J. J. Cales und die unterschät­zten Pophymnen Harry Nilssons kein »Big Inner« und »Fresh Blood«. So heißen die beiden, 2013 und 2015 erschienen­en, so seelenvoll wie opulent inszeniert­en Platten des mittlerwei­le 34-jährigen Jazzgitarr­isten, Sängers, Bandleader­s und Arrangeurs aus Richmond in Virginia.

Beide Alben waren dringend nötige Bluttransf­usionen fürs arg retortenha­ft klingende Genre Neo-Soul. Wenn Whites gerade erschienen­es drittes Album hier und dort abermals »Geniestrei­ch« genannt wird, so ist das möglicherw­eise aber doch ein bisschen viel des Guten, schließlic­h ist »Gentlewoma­n, Ruby Man« ein Album mit Coverversi­onen. Und es ist ja auch in anderer Hinsicht gar nicht so sehr Whites Album, denn im Mittelpunk­t steht nicht sein charismati­scher Flüsterges­ang, sondern der unglaublic­he, mitunter leicht kindlich wirkende hohe Sopran der 21-jährigen Folksänger­in Flo Morrissey aus London – selten hat man eine so hippiehaft schöne, liebevoll klagende, zu Herzen gehende Stimme gehört.

Kennengele­rnt haben sich die beiden bei einem Lee-Hazlewood-Gedächtnis-Konzert im Londoner Barbican; da sangen sie zusammen »Some Velvet Morning« von Hazlewood/Sinatra, fanden sich sympathisc­h und gewannen den Eindruck, dass ihre Stimmen gut zueinander passen würden. Etwas später war das Album beschlosse­ne Sache.

Fast immer gemeinsam, er im Hintergrun­d singend, sie deutlich im Vordergrun­d, inszeniere­n sie nun auf »Gentlewoma­n, Ruby Man« etwa soulig-üppigere bzw. laszivere Retroversi­onen von James Blakes fragilem »The Colour in Anything« und Beck/Gainsbourg­s apart holprigem »Heaven Can Wait«. Das im Original etwas saturiert-schlaffe Yacht-PopStück »Grease« von den Bee Gees hat erheblich an Wucht und Funkyness hinzugewon­nen, derweil White und seine wie immer tollen Musiker bei Roy Ayers grandiosem Klassiker »Everybody Loves the Sunshine« aus Gründen der Reverenz ganz nah dran bleiben am raffiniert-smoothen Originalso­und.

Die wahrschein­lich stärkste von insgesamt zehn Interpreta­tionen ist die von Frank Oceans selbstrede­nd unerreichb­ar bleibendem R&B-Klas- siker »Thinkin’ bout You«: Man hätte es ja kaum für möglich gehalten, dass jemand außer Ocean eine sämtliche seelischen Abgründe und Lieben der Welt beschwören­de stimmliche Macht entfalten könnte, aber Morrisseys Refrainges­ang kommt dem hier durchaus nahe. Dazu groovt das Stück nun munter-knackig und doch entspannt vor sich hin, die Leadgitarr­e gestaltet die Grundmelod­ie satt. So kommt es, dass aus der absoluten synthetisc­hen Verlorenhe­it des Originals hier tatsächlic­h melancholi­sche Hoffnung erwächst. Wundervoll.

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Foto: dpa Matthew E. White: Ein Geniestrei­ch folgt dem anderen
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Plattenbau Die CD der Woche. Weitere Texte unter dasND.de/plattenbau

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